Im Mai 2022 nahm Julian Baumgartlinger Abschied von Bayer Leverkusen.
Im Mai 2022 nahm Julian Baumgartlinger Abschied von Bayer Leverkusen.
IMAGO/Jan Huebner

Bayer 04 Leverkusen ist kein One-Hit-Wonder mehr. Ist ein Klub aus Deutschland seit 40 Pflichtspielen unbesiegt, dann fällt das schon auf, regt zur Fantasie an. "Bayer Neverlusen" titelte "433", das weltweit äußerst beliebte Fußball-Onlinemagazin mit rund 72 Millionen Instagram-Followern.

Julian Baumgartlinger zählt nicht unbedingt dazu, der 36-jährige Salzburger hat seine Karriere beendet. 84-mal schaffte er Ordnung im defensiven Mittelfeld der österreichischen Nationalmannschaft. Von 2016 bis 2022 tat er das 115-mal in Leverkusen, sehr oft als Kapitän. Damals war es Leverkusen und nicht "Neverlusen", immerhin war man in der Champions League engagiert. Aber vom aktuellen Zustand war der Verein doch Lichtjahre entfernt. Der Vorsprung auf die Bayern aus München beträgt sieben Runden vor Schluss 13 Zähler. "Da passiert absolut nichts mehr", sagt Baumgartlinger dem STANDARD. Wohl wissend, dass er sich mit dieser Prognose nicht sehr weit aus dem Fenster lehnt. Aber man kann ja Selbstverständlichkeiten thematisieren.

Problem Europa League

Nach dem 4:0 im Halbfinale gegen Fortuna Düsseldorf wird Leverkusen auch den Pokal gewinnen, Finalgegner in Berlin ist der Zweitligist Kaiserslautern. "Offen ist die Europa League, die wird das größte Problem." Im Viertelfinale wartet West Ham United.

Baumgartlinger verfolgt die Partien seines Ex-Klubs und staunt jedes Mal. "Sie haben eine enorme Spielkontrolle, haben immer einen Plan, treten sehr geschlossen auf. Der Mannschaftsgeist ist großartig, sie werden nie arrogant, lösen die Probleme, sollten welche auftauchen, gemeinsam." Der Spanier Xabi Alonso sei ein "absoluter Toptrainer" und Simon Rolfes ein "hervorragender Sportgeschäftsführer". Er hat im Sommer 2022 Alonso verpflichtet. Laut Baumgartlinger war das eine "sehr mutige Entscheidung. Er war ja ein relativ unbeschriebenes Blatt."

Rolfes kam, als Baumgartlinger schon weg war. "Er hat den Kader perfekt zusammengestellt. Dass alle Neuverpflichtungen voll einschlagen, kommt nur sehr selten vor." Zudem sei der Verein vom gravierenden Verletzungspech verschont geblieben, Alonso musste kaum improvisieren. Leverkusen hat viele Partien erst in der Nachspielzeit gedreht und gewonnen, das zeugt von Moral und auch von etwas Glück. "Glücksmomente gehören zu einer Serie."

Nischenklub im Ruhrpott

Trotzdem bleibt Bayer Leverkusen immer noch Bayer Leverkusen. "Ein Nischenklub im Ruhrpott", weiß Baumgartlinger aus eigener Erfahrung. In dieser Gegend werden der 1. FC Köln, Schalke, Borussia Dortmund oder Borussia Mönchengladbach angehimmelt, ein Werksklub wie Leverkusen rennt eigentlich nur mit. Wolfsburg oder Hoffenheim haben ein ähnliches Los, Schicksal wäre etwas übertrieben. Stress hat man trotzdem. "Früher bei Mainz war es völlig egal, dreimal hintereinander zu verlieren. In Leverkusen hat man schon auch großen Druck."

Baumgartlinger haben diese Jahre geprägt. "Fußballerisch, menschlich, meine Kinder wurden in dieser Zeit geboren, und ich hatte schwere Knieverletzungen. Es war schön, aber auch der Anfang vom Ende." In sechs Jahren hat er unter sechs Trainern gearbeitet, immerhin die Wechsel auf dem Schleudersitz hatten Kontinuität. Sportgeschäftsführer Rudi Völler stand im Vordergrund. "Er kommt in Deutschland gleich nach Franz Beckenbauer. Bei Spielen im Ausland hat sich alles um ihn gedreht." Die Kultfigur stand also gar nicht auf dem Fußballplatz.

Florian Wirtz, Xabi Alonso
Trainer Xabi Alonso hat in Florian Wirtz einen Musterschüler.
IMAGO/nordphoto GmbH / Meuter

Baumgartlinger hat trotzdem große Karrieren begleitet, begleiten dürfen. Jene von Kai Havertz, aktuell ist der 24-Jährige für Arsenal tätig. Oder jene von Florian Wirtz. Der ist während der Corona-Pandemie aufgetaucht. "Ein Unterschiedsspieler." Der erst 20-Jährige wird irgendwann bei Real Madrid oder einer ähnlichen Adresse landen. "Wirtz ist einer der weltweit begehrtesten Kicker."

Der Garant, der bleibt

Leverkusen hat die Fadesse beendet, Bayern München war ja elfmal in Serie Meister. Ausgerechnet Leverkusen hat das Dutzend verhindert, damit rechnete in Deutschland niemand, der Österreicher Baumgartlinger inklusive. Das Image der grauen Maus ist freilich nicht leicht abzulegen. Aber es gibt Anzeichen, die Nische zu verlassen. Wolfsburg, Meister 2009, ist daran kläglich gescheitert, war kurz da und wieder weg, aber die müssen ja kein Vorbild sein.

Alonso bleibt, hat Bayern München mit den Worten abgesagt "Ich habe das Gefühl, dass ich hier noch nicht am Ende bin. Das ist für mich der richtige Ort". Baumgartlinger hat großen Respekt vor dieser Entscheidung. "Das ist ein tolles Zeichen punkto Nachhaltigkeit." Am Samstag gastieren die Leverkusener in der Bundesliga bei Union Berlin. Deren Trainer Nenad Bjelica sagt: "Wer müssen wie die Außerirdischen spielen, um zu reüssieren." Leverkusen muss lediglich wie Leverkusen spielen. Baumgartlinger sagt: "Vielleicht bleibt alles kein One-Hit-Wonder." (Christian Hackl, 6.4.2024)