Zwei Kinder in kleinen Go-Karts nebeneinander kurz vor einem Rennen
Mit Wettrennen werden Buben schon früh Risikofreude und Mut antrainiert, sagt eine Verkehrspsychologin.
Getty Images/RichVintage/Andrew Rich

Quietschende Reifen, heulende Motoren: Öffentliche Straßen werden zunehmend als Rennstrecken für illegale Duelle missbraucht. Das bringt naturgemäß eine gewisse Gefahr mit sich – nicht nur für die Fahrer und Fahrerinnen selbst, sondern auch für andere Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer.

Den Raserinnen und Rasern ist das auch durchaus bewusst, wie eine Umfrage des Instituts "Sicher unterwegs" zeigt. Auf die Frage, womit die Lenkerinnen und Lenker Geschwindigkeit assoziieren, antworten die allermeisten mit: Gefahr. Aber – und auch da sind sich alle Raserinnen und Raser einig – es hat auch etwas mit Freiheit und Spaß zu tun, die beiden Schlagworte folgen unmittelbar auf Platz zwei und drei.

Wer ist der Größere, Stärkere, Schnellere?

Befragt wurden dabei vor allem junge Männer. Denn sie sind es, die die größte Gruppe unter den Raserinnen und Rasern ausmachen. Schnellfahren ist zum Großteil männlich. Dabei kommen auch Geschlechterstereotype zum Tragen, sagt die Verkehrspsychologin Bettina Schützhofer. Gemeinsam mit ihrem Team bietet sie Nachschulungen für verkehrsauffällige Lenkerinnen und Lenker an. "Bei Burschen werden Risikofreude und Mut schon sehr früh gesellschaftlich gefördert. Wer ist der Größere, Stärkere, Schnellere? Mädchen hingegen wird eher zur Vorsicht geraten", sagt sie.

Für viele Männer habe Schnellfahren außerdem etwas mit Kompetenzzeigen zu tun. "Man darf nicht vergessen, dass das Fahrzeug zu den wenigen Dingen gehört, die wirklich genau das tun, was man will. Man kann es steuern. Und wer im Job oder im Privatleben nicht sehr viel Selbstwirksamkeit hat, kompensiert durch das Schnellfahren etwas", erklärt die Expertin. Das Rasen stillt also vereinfacht gesagt tieferliegende psychologisch Bedürfnisse.

Hohe Akzeptanz für Schnellfahren

Man muss Geschwindigkeitsüberschreitungen allerdings auch immer im Rahmen der österreichischen Verkehrskultur betrachten, findet die Verkehrspsychologin. Und die Verkehrskultur hierzulande trage das Motto: "Ein bisserl was geht schon noch." "Wir haben nämlich im internationalen Vergleich die großzügigsten Toleranzgrenzen, und die werden gerne ausgereizt. In einer 80er-Zone fahren fast alle mindestens 85", berichtet Schützhofer.

Die Toleranzspielräume kämen aus einer Zeit, in der die Messgeräte noch wesentlich ungenauer waren. "Heute sind sie wesentlich genauer. Es würde helfen, wenn es bundesweit einheitliche Toleranzgrenzen und einen Strafhöhenkatalog gäbe, das wäre schon einmal eine gute Maßnahme", findet die Expertin.

Strafen müssen unmittelbar erfolgen

Denn grundsätzlich sind Strafen in dem Bereich sehr wirksam – zumindest dann, wenn sie unmittelbar erfolgen und der Raser oder die Raserin die Strafe auch gedanklich direkt mit dem Vergehen verknüpft, erklärt Schützhofer: "Wenn die Strafe erst Wochen später ins Haus flattert, wird sie psychologisch nicht mehr mit dem Fehlverhalten verknüpft. Es braucht die unmittelbare zeitliche Komponente."

Aber auch wenn die Strafe unmittelbar erfolgt, ist es individuell unterschiedlich, wie gut sie wirkt und ob die Person ihr Verhalten künftig ändern wird. "Manche Personen fahren so gerne schnell und wollen den Adrenalinkick, da ist eine gewisse Anzahl von Strafen im Haushaltsbudget schon eingeplant. Die werden sich nicht ändern", berichtet die Expertin. Eine zweite Gruppe, die man auch mit Strafen oder bewusstseinsfördernden Maßnahmen nicht erreichen wird, sind jene mit "dissozialen Persönlichkeiten", sagt Schützhofer. Das sind Menschen, die Regeln und Normen ganz grundsätzlich ablehnen.

Und dann gibt es noch die dritte und größte Gruppe unter den Rasern – die jungen Männer, die mit dem hohen Tempo ihren Selbstwert steigern wollen. Für sie ist die Wahrnehmung ihrer Peergruppe entscheidend, berichtet die Verkehrspsychologin: "Die meisten von uns orientieren sich auch an der Bewertung durch andere. Und für einen junge Fahranfänger, der entwicklungsbedingt ohnehin schon sehr viel Wert auf die Meinung seiner Peers legt, kann die Bewertung durch andere womöglich mehr zählen als eine mögliche Strafe."

So kann es sein, dass beispielsweise ein Jugendlicher bei der Nachschulung im Zweiergespräch mit Schützhofer durchaus Einsicht und Vernunft zeigt, "aber bei der Aussicht auf Anerkennung seiner Peers verhält er sich trotzdem wieder sehr riskant".

Hohe Geschwindigkeiten, geringe Fahrkenntnisse

Das hat etwas mit der Verkehrsreife zu tun, betont die Expertin. Im jugendlichen Alter sind das Kontrollzentrum und die Impulskontrolle im Gehirn noch nicht ganz ausgereift und können dem Belohnungszentrum teilweise zu wenig entgegenhalten. "Das Gehirn ist erst mit etwa 25 Jahren vollständig entwickelt. Und damit auch der präfrontale Lappen. Das ist der Bereich des Gehirns, den wir brauchen, um einzuschätzen, welche Folgen unser Handeln hat", erklärt sie. Das zeigt sich auch in der Unfallstatistik. Bei Lenkerinnen und Lenkern ab 25 Jahren gehen die Unfallzahlen stark hinunter.

Wäre es dann nicht eine Idee, das Alter, ab dem man den Führerschein machen kann, anzuheben? Nicht zwingend, findet Schützhofer. Ja, man weiß zwar, dass Fahrer umso unauffälliger sind, je später sie den Führerschein machen. "Aber man kann auch bei jüngeren Fahrerinnen und Fahrern mit begleitenden Maßnahmen, Schulungen und Bewusstseinsbildung viel erreichen." (Magdalena Pötsch, 6.5.2024)