Auf wie viel Platz wächst ein Huhn heran? Erhalten Ferkel Frischluft oder Auslauf? Dürfen Rinder auf die Weide? Ein Blick auf eine Packung Fleisch im Supermarkt verrät wenig über die Art der Tierhaltung. Suchen Konsumenten Transparenz auf dem Teller, sind sie in Österreich schlecht bedient. Es sei denn, sie leisten sich Bioprodukte oder vertrauen auf den wachsenden Wildwuchs an individuellen Siegeln der Handelsketten, die weniger Tierleid versprechen.

Verpacktes Fleisch verrät in Österreich wenig über das Leben der Schweine. Das soll sich schrittweise ändern.
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Schon bald zwei Jahre ist es her, dass Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) einen Tierwohlgipfel einberief und eine einheitliche Haltungskennzeichnung für Fleischprodukte ab 2023 ankündigte. Er machte die Rechnung ohne die Bauern, die sich von Politik und Supermärkten übergangen fühlten. Im Jahr darauf versuchte die Branche erneut, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, diesmal auf einer weit breiteren Basis, doch ebenso vergeblich.

Deutschland hatte sich derweilen auf eine freiwillige Auslobung der Haltungsform von Nutztieren geeinigt, um sie im Vorjahr im zweiten Schritt um eine verpflichtende Kennzeichnung zu ergänzen.

Zwar sind ihre Kriterien nicht in Stein gemeißelt: Kritiker schimpfen diese lasch und lückenreich, da sie nicht alle Lebensphasen der Tiere umfassen und nur wenig über deren Wohlergehen an sich aussagen. Viele Produzenten wiederum würden die schlechtesten zwei der nunmehr fünf Stufen lieber zu Grabe tragen, um Lebensmittel ausschließlich mit positiven Schulnoten zu versehen.

Auf freiwilliger Basis

Dennoch läutet der Vorstoß einen Paradigmenwechsel mit Sogwirkung ein, denn wer nach Deutschland liefern will, braucht damit kompatible Modelle: Aus Supermarktregalen des kaufkräftigen Exportpartners zu fliegen können sich Österreichs Produzenten nicht leisten.

Abgesehen davon, dass auch die Landwirte hierzulande höhere Standards in der Tierhaltung für Konsumenten eingängig sichtbar machen müssen, um sich ihrerseits von billigeren Importen zu differenzieren.

Also startete Österreich den dritten Anlauf für mehr Ehrlichkeit im Fleischkonsum. Nägel mit Köpfen machen will die Regierung bis Ende Juni, jedenfalls vor der Nationalratswahl. Geplant ist eine Verordnung, wie DER STANDARD erfuhr.

AMA als Kontrollinstanz

Ihr Entwurf, der von Sozial- und Landwirtschaftsministerium erarbeitet wird, soll in den kommenden Wochen vorliegen. Ziel ist es, stufenweise mehr Einblick in die Tierhaltung rund um Fleisch, Milch und Eier zu geben. Als Basis dafür dient eine freiwillige Verpflichtung des Lebensmittelhandels. Die tragende Rolle als Kontrollinstanz kommt der Agrarmarkt Austria (AMA) zu.

Hinter den Kulissen laufen seit Wochen intensive Verhandlungen. Von einem Kraftakt ist die Rede. Groß ist die Zahl an Interessen, die unter einen Hut gebracht gehören. Und der Teufel steckt in Details, die sich in alle Richtungen verästeln. Für Österreichs Landwirtschaft bedeuten sie eine Weichenstellung: Es geht um die künftige Ausgestaltung der Ställe, die mit Millioneninvestitionen verknüpft ist.

Dem Vernehmen nach zeichnet sich daher ein politischer Abtausch zwischen Grün und Schwarz ab. Als Verhandlungsmasse liegt neben Klimaschutzthemen das geplante Verbot der unstrukturierten Vollspaltenböden auf dem Tisch. Minister Rauch will dieses ab 2030. Die Landwirtschaft pocht auf längere Übergangsfristen.

Fünf Stufen

Was erwartet die Konsumenten? Läuft alles nach Plan, geben ihnen im Lebensmittelhandel ab 2025 fünf Stufen auf der Verpackung Orientierung über die Art der Tierhaltung.

Als realistisch gilt die deutsche Variante der Zahlen und Farben. Alternativ bieten sich Herzchen oder Häkchen an. Weitgehender Konsens herrscht darüber, dass die Angabe um jene der Herkunft, die bei Milch, Frischfleisch und frischen Eiern ohnehin Pflicht ist, erweitert wird.

Die Kennzeichnung soll Kaufentscheidungen erleichtern. Verändert sie das Leben der Nutztiere? Großen Illusionen geben sich Tierschützer nicht hin. Mehr Einblick in die Ställe ist nicht per se Anreiz, für höhere Standards auch mehr Geld auszugeben. In Zeiten der Teuerung blieben viele Bauern, die sich strengere Auflagen verordneten, als ihnen der Gesetzgeber vorgibt, auf ihren kostspieligeren Lebensmitteln sitzen.

Viel Luft nach oben

Vor allem jedoch liegt der größte Hebel für mehr Tierwohl in höheren Standards für verarbeitete Fleischprodukte. Diese bleiben von einer Kennzeichnung vorerst ausgeklammert. Nicht weniger Macht zur Veränderung haben die öffentliche Beschaffung und die Gastronomie. Auch sie sollen erst in weiteren Etappen eingebunden werden.

Denn ein Spießrutenlauf ist allein der Weg zur Auslobung des Frischfleischs im Handel, wiewohl das Gros der Beteiligten annähernd gleiche Ziele vor Augen hat. Für heftige Irritationen sorgten etwa kurzzeitige Überlegungen, den Verein "Land schafft Leben" in neuer Form eine federführende Rolle bei der neuen Kennzeichnung spielen zu lassen.

Heikle Frage der Importe

Der Verein wird nach eigenen Angaben zu 40 Prozent von Bund und Land gefördert. Zu 58 Prozent finanziert er sich über Händler und Produzenten. Vor allem Hofer, der zu den größten Treibern von Tierwohlprogrammen zählt, soll ihm eng verbunden sein. Spar zählt anders als Rewe und Lidl nicht zu seinen Unterstützern, legte sich quer und stärkte der AMA den Rücken.

Knackpunkt bei der Kennzeichnung von Tierhaltung ist der Umgang mit Importen. Rechtlich gesehen dürfen Händler internationale Produzenten dazu nicht verpflichten. Es steht ihnen aber frei, ihre Lebensmittel auszulisten. Entschließt sich Österreich dazu, Importe in die Haltungskennzeichnung zu integrieren, fassen diese rund um Geflügel die niedrigste Stufe aus. Die Frage ist nicht nur EU-rechtlich heikel. Sie sorgt auch für Reibereien unter Handelsriesen, die unterschiedliche Einkaufsstrategien verfolgen.

Nicht einfacher ist es, in der weit komplexeren Landwirtschaft auf einen grünen Zweig zu kommen. Nur schwer sind unterschiedliche Tiermasten miteinander zu vergleichen. Schweinehalter etwa befürchten, dass die geplante Verordnung die Kontrollintervalle der Ställe neu regeln könnte. Im Raum steht, die AMA diese statt alle drei Jahre künftig jährlich kontrollieren zu lassen. Wobei die Frage der Finanzierung der Kontrollen, ob externer oder interner Natur, für zusätzlichen Zündstoff in den Debatten sorgt.

Angst vor Verzerrung

Nach Lösungen rund um Freilauf, Anbindehaltung und Spaltenböden ringen auch Rinderzüchter. 365 Tage Weide im Jahr erlaubt Österreichs Witterung nicht. Die Branche treibt die Sorge um, dass die Kennzeichnung die Tierhaltungsbilanz für importiertes Rindfleisch zu ihren Ungunsten zulasten anderer klimarelevanter Kriterien verzerren könnte.

Die Regierung übt sich jedenfalls in Zuversicht, das Paket diesmal in trockene Tücher zu bekommen. Auf Anfrage beim Sozialministerium ist von einem "konstruktiven Dialog" mit dem Lebensmitteleinzelhandel, verarbeitenden Betrieben und der Landwirtschaft über eine Tierhaltungskennzeichnung im Handel die Rede. "Die konkrete Umsetzung soll bis Sommer präsentiert werden." (Verena Kainrath, 8.4.2024)