Künftig gilt eine widerlegbare Vermutung, dass Plattformarbeiter als Arbeitnehmer gelten.
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Im Gastbeitrag erklären die Juristinnen Florina Thenmayer und Julia Huber, welche Neuerungen die EU-Richtlinie für Plattformarbeit bringt.

Wenn Menschen Botendienste in Anspruch nehmen oder im Internet Nachhilfelehrer engagieren, steckt dahinter oft Plattformarbeit: Kundinnen und Kunden greifen auf eine zentrale Website oder App zurück, die schnell und gezielt einen geeigneten Boten oder eine geeignete Nachhilfelehrerin vermittelt.

Laut Daten der EU-Kommission waren im Jahr 2021 geschätzt 28 Millionen Menschen für Plattformen tätig – die arbeitsrechtliche Einstufung dieser Personen ist in der Praxis durchaus unterschiedlich: Oftmals handelt es sich um Dienstnehmer, die direkt bei der Plattform beschäftigt sind und von arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen profitieren. Möglich ist aber auch eine Tätigkeit als Selbstständige, die flexibel arbeiten dürfen, ihre Steuern und Abgaben aber selbst abführen müssen.

Eine neue EU-Richtlinie, die die Rechte von Plattformarbeitern genauer regelt, soll nun einheitliche Regelungen schaffen. Als "Plattformarbeit" gelten demnach Dienstleistungen, die auf elektronischem Weg angeboten werden, durch eine Plattform organisiert werden und mit automatisierten Überwachungs- oder Entscheidungssystemen einhergehen.

Zentrales Element der Richtlinie ist eine widerlegbare gesetzliche Vermutung, dass Plattformarbeiter ein echtes Dienstverhältnis haben, wenn die Plattform "Kontrolle und Steuerung" über sie ausübt. Der Plattformanbieter kann – zum Beispiel in einem Rechtsstreit – aber den Beweis erbringen, dass die Tätigkeit auf selbstständiger Basis ausgeübt wird. Der Wortlaut der Richtlinie ist bewusst weit gefasst, sodass die Mitgliedsstaaten die genauen Kriterien für die Einstufung als selbstständige oder unselbstständige Tätigkeit selbst bestimmen können.

Schwierige Abgrenzung

Das österreichische Arbeitsrecht unterscheidet im Wesentlichen zwischen echten Dienstverträgen auf der einen Seite und freien Dienstverträgen und Werkverträgen auf der anderen Seite. Echte Dienstnehmer haben ein hohes Maß an persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Dienstgeber, unterliegen dessen Weisungen hinsichtlich Arbeitszeit und -ort, verwenden dessen Arbeitsmittel und sind organisatorisch im Unternehmen eingegliedert. Freie Dienstnehmer sind hingegen nur lose im Unternehmen eingegliedert. Werkverträge wiederum sind auf die Erbringung einer klar definierten Leistung ausgerichtet. Echte und freie Dienstnehmer schulden im Prinzip ihre Arbeitszeit, Werkbeauftragte hingegen ein konkretes Werk.

Diese Unterscheidung ist zum einen für arbeitsrechtliche Bestimmungen maßgeblich, die weitgehend nur für echte Dienstnehmer gelten. Zum anderen spielt sie sozialversicherungsrechtlich eine wesentliche Rolle. Echte Dienstnehmer gelten als unselbstständig tätig, während Werkbeauftrage selbstständig tätig sind und Sozialversicherungsbeiträge selbst entrichten. Freie Dienstnehmer können – je nach dem Grad ihrer Eingliederung im Unternehmen – entweder selbstständig oder unselbstständig tätig sein. Eine falsche Einordnung von Mitarbeitern kann schwerwiegende Folgen für Unternehmen haben, vor allem in Form von Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen.

Auch Chance für Unternehmen

Die Unterscheidung bereitet in der Praxis oft Schwierigkeiten, nicht zuletzt aufgrund von Kriterien, die mitunter nur schwer mit der unternehmerischen Realität vereinbar sind – etwa das nahezu uneingeschränkte Recht von selbstständig Tätigen, die Leistung jederzeit auch ohne Einwilligung des Werkbestellers an Dritte auszulagern. Wird also beispielsweise ein Projektmitarbeiter auf selbstständiger Basis beauftragt, muss sich das Unternehmen mit der unangekündigten Anwesenheit von betriebsfremden Vertretern in den Unternehmensräumlichkeiten abfinden.

Die Umsetzung der Richtlinie bietet nun eine Möglichkeit, die Grenze zwischen selbstständigen und unselbstständigen Tätigkeiten zu schärfen und diese an die Realität der digitalen Arbeitswelt anzupassen – und das könnte auch für Unternehmen Vorteile bringen.

Mit Plattformarbeit kann nämlich die aktuell vielthematisierte, aber schwer greifbare Flexibilisierung der Arbeit erzielt werden. Dem geringeren Schutz von selbstständigen Plattformbeschäftigten steht ein hohes Ausmaß an Autonomie gegenüber. So handelt es sich bei Plattformbeschäftigten oft um Studenten, deren Kursplan mit regelmäßigen Arbeitszeiten schlicht unvereinbar ist, oder um Personen, die kurzfristig selbst ihr Arbeitspensum bestimmen möchten.

Regelung von Algorithmen

Plattformen unterliegen künftig Auskunftspflichten gegenüber Beschäftigten, wenn diese von Entscheidungen durch Algorithmen betroffen sind. Entscheidungen zu zentralen Aspekten des Vertrags (zum Beispiel der Suspendierung des Kontos oder der Bezahlung) müssen Anbieter sogar unaufgefordert begründen. Dies wird eine genaue Dokumentation der Entscheidungen erfordern. Außerdem werden Anbieter bestimmte Arten von personenbezogenen Daten nicht mehr verarbeiten dürfen, etwa bestimmte Gesundheits- oder biometrische Daten. Zu hoffen bleibt, dass bei Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht keine Widersprüche zu den bestehenden Datenschutzbestimmungen entstehen.

Die Richtlinie muss nun in einer Plenarsitzung des EU-Parlaments und anschließend vom EU-Rat förmlich angenommen werden. Nach der Veröffentlichung im Amtsblatt haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. (Florina Thenmayer, Julia Huber, 9.4.2024)