Ein Verdächtiger des Terroranschlags in Moskau.
Die tadschikischen Verdächtigen des Anschlags in Moskau verübten eines der tödlichsten Attentate des IS-Ablegers "Khorasan".
AFP/TATYANA MAKEYEVA

Emomalij Rachmon lässt sich als "Führer der Nation" besingen, als Sonne, die dem Volk das Licht bringt, als Führer, dank dem "die Welt uns gehört". Rachmon, 71 Jahre alt, herrscht seit 1992 über Tadschikistan, der ärmsten Ex-Sowjetrepublik Zentralasiens. Und das wird wohl bis zu seinem Tod so bleiben.

Rachmon änderte die Verfassung und ernannte sich selbst zum Präsidenten auf Lebenszeit. Auch sonst regiert er sein Land mit voller Härte. Der ausgebildete Elektriker zerschlug die ohnehin kaum vorhandene Opposition. Den Islam versucht er in dem mehrheitlich muslimischen Tadschikistan mit rigiden Mitteln einzuhegen: Männer müssen sich den Bart stutzen, ansonsten gelten sie als radikale Islamisten. Tragen Frauen öffentlich ein Kopftuch, geht die Polizei gegen sie vor. Minderjährigen ist der Moscheebesuch verboten.

Terrorpläne in Wien durchkreuzt

Wahrscheinlich treibt aber gerade diese Repression viele Tadschiken in die Hände von Terroristen. Konkret in jene des "Islamischen Staats" in Zentralasien, dem afghanischen Ableger "Provinz Khorasan" (ISPK). Die momentane Speerspitze des jihadistischen Terrorismus weltweit bekannte sich zu dem Anschlag auf die Crocus-Konzerthalle in Moskau im März mit mehr als 130 Toten. Die Tatverdächtigen sollen Tadschiken sein.

Auch in Westeuropa wütet der ISPK: Kurz vor Weihnachten kam es in Österreich und Deutschland zu Verhaftungen. Der Tadschike Mukhammadrajab B. (30) soll federführend in mutmaßliche Anschlagspläne auf den Wiener Stephansdom und den Kölner Dom verwickelt sein. Im vergangenen Sommer nahmen deutsche Behörden eine siebenköpfige ISPK-Terrorzelle in Gewahrsam. Die Mehrheit der Männer kommt einmal mehr aus Tadschikistan.

Aber warum geraten ausgerechnet Tadschiken in die Fänge von Terroristen? Die Gründe dafür sind vielfältig.

Wanderarbeiter als leichte Beute

Zunächst einmal ist Tadschikistan eine sehr junge Gesellschaft. Fast die Hälfte des Landes ist laut öffentlichen Daten des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes (CIA) unter 25 Jahre alt. Die Zukunftsaussichten für die jungen Tadschiken sind schlecht. Die Armut im Land zwingt sie zur Arbeitsmigration – überwiegend nach Russland, wo meist Ausbeutung auf sie wartet. Allein ein Drittel der tadschikischen Wirtschaftsleistung speist sich aus dem Geld, das Tadschiken aus dem Ausland an ihre Familien überweisen.

Ein idealer Nährboden für Radikalisierung also. So überrascht es den deutschen Terrorexperten Peter Neumann im Gespräch mit dem STANDARD keineswegs, dass die vier tadschikischen Moskau-Attentäter nach Spiegel-Informationen zuvor in Russland gearbeitet hatten, als Friseur, Taxifahrer und in einer Parkettfabrik – und womöglich in der Fremde gezielt vom ISPK angesprochen und rekrutiert wurden.

Das bisher bekannteste Gesicht des tadschikischen Jihadismus: Gulmurod Chamilow.
Arte-Dokumentation über den "Islamischen Staat" in Zentralasien.

Die Rekrutierung in Russland war schon zur Blütezeit des "Islamischen Staats" in Syrien und dem Irak vor gut zehn Jahren ein gängiges Phänomen. Etwa 2000 tadschikische Kämpfer sollen sich damals dem IS angeschlossen haben. Zum Vergleich: Mit schätzungsweise 9,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern liegt Tadschikistan auf einem ähnlichen Niveau wie Österreich. Hierzulande gelang 271 Jihadisten die Ausreise in das syrische Kampfgebiet des IS. Damit gehörte Österreich – pro Kopf gerechnet – zu den Top-Nationen Europas.

Der bisher prominenteste Tadschike beim IS war Gulmurod Chamilow. Der Polizeichef tauchte im Jahr 2015 für drei Wochen unter und bei den Jihadisten wieder auf. Chamilow, der von Anti-Terroreinheiten in den USA und Russland ausgebildet wurde, wurde "Kriegsminister" der Jihadisten und soll in Syrien gefallen sein.

Prestige für Rekruten und Geldgeber

"Mittlerweile hat sich aber auch in Westeuropa, etwa in Österreich, eine tadschikische Diaspora etabliert", gibt Neumann zu bedenken. "Und nirgendwo geht es den Tadschiken besonders gut." Gerade deshalb sei die Diaspora in Europa Neumanns Einschätzung nach besonders anfällig für die Propaganda des ISPK.

Hierzulande ist die tadschikische Community in den vergangenen zwei Jahren von 442 auf 569 Personen angewachsen. Viele davon dürften vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine geflohen sein. Jene Fluchtrouten nutzten laut Staatsschützern auch Kämpfer des IS-Ablegers "Khorasan", und sie ließen sich mitunter in Österreich nieder.

"Zwar ist das Potenzial der Flüchtlinge aus Zentralasien im Vergleich zu jenen, die damals aus Syrien und dem Irak kamen, deutlich kleiner", sagt Neumann. "Auch die Gefahr, die vom IS ausgeht, ist noch viel geringer als vor zehn Jahren, aber sie ist wieder ernst zu nehmen, und mit jedem erfolgreichen Anschlag steigt das Prestige der Terroristen und macht den ISPK attraktiver für Rekruten und Geldgeber."

Russlands Präsident Wladimir Putin schüttet dem Oberhaupt Tadschikistans, Emomalij Rachmon, die Hand.
Enge Verbündete: Russlands Präsident Wladimir Putin und sein Pendant in Tadschikistan, Emomalij Rachmon.
AFP/POOL/ALEXANDER KAZAKOV

Hinzu kommt, dass die Geschichte Tadschikistans seit dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit 1991 eine für die Gesellschaft stets instabile war. Es tobte ein Bürgerkrieg mit 150.000 Toten. Wichtige politische Ämter verteilte Präsident Rachmon in der Familie. Korruption gehört zum Alltag. Und nicht zuletzt, sagt Neumann, war das Land in den vergangenen 30 Jahren von sämtlichen Konflikten Afghanistans betroffen, an das Tadschikistan grenzt. Über diese Grenze verläuft der illegale Drogenhandel Richtung Russland und Osteuropa. Ein eminentes Sicherheitsproblem Tadschikistans: Erst im vergangenen Sommer kam es zu Schießereien zwischen Schmugglern und Grenztruppen.

Stichwort: Russland. Den Anschlag in Moskau erklären Beobachter unter anderem damit, dass Russlands Präsident Wladimir Putin enge Beziehungen zu den Taliban pflegt: ein erbitterter Gegner des ISPK in Afghanistan. Einen guten Draht hält Putin auch zu Rachmon. Vergangenen November verlieh Putin seinem Verbündeten einen Verdienstorden.

Nur einen Monat später bekamen es österreichische Ermittler mit Mukhammadrajab B. zu tun. Der Tadschike soll im Dezember extra nach Wien gereist sein, um den Stephansdom als potenzielles Terrorziel auszukundschaften. Gemeinsam mit zwei mutmaßlichen Komplizen des ISPK sitzt B. in Untersuchungshaft. Vor allem ein Indiz lässt Ermittlern keine Ruhe: Womöglich könnten die Verdächtigen im Wienerwald Waffen vergraben haben.

Und dass die Gefahr noch längst nicht gebannt ist, stellt der ISPK in seinem Propagandamagazin klar: Darin wird Österreich zu den "Kreuzritter"-Nationen gezählt, also zu den Hauptzielen für Anschläge. (Jan Michael Marchart, 11.4.2024)