Ein sonniger Frühlingstag: Auf der Mariahilfer Straße, Wiens größter Einkaufsstraße, sind kurz nach Geschäftsöffnung bereits einige Touristen unterwegs. Die Straße ist mit einer Verkaufsfläche von fast 30 Fußballfeldern sogar österreichischer Spitzenreiter. Doch die Leerstände werden mehr. Etwa drei Kilometer südlich befindet sich die 900 Meter lange Fußgängerzone der Favoritenstraße, die Geschäftsmeile des zehnten Bezirks. Während sie zu Pandemiezeiten noch als Sorgenkind in Sachen Leerstandsquote galt, steht sie heute auf den ersten Blick besser da. DER STANDARD hat sich vor Ort genauer angesehen, was dran ist an diesen Eindrücken – und wie es um den Handel steht.

In der Nähe der U-Bahn-Station Neubaugasse: Hier befindet sich wegen U2-Verlängerung und U5-Baus eine große Baustelle. Anfangs seien die Auswirkungen extrem spürbar gewesen, erzählt eine Modeverkäuferin. Es sei sehr laut gewesen, die Kundschaft merklich ausgeblieben. Mittlerweile sei es wieder um einiges besser. Das Geschäft lebe am Wochenende von den Touristen, unter der Woche kämen eher Stammkunden. "Die wissen schon, dass sie am Wochenende nicht zu kommen brauchen, wenn die ganzen Touristen da sind", sagt die Verkäuferin. Das Geschäft laufe so gut wie schon lange nicht mehr. Vergangenes Jahr habe sie noch mit Sorge in die neue Saison geblickt, denn "wollen die Leute wirklich noch eine Hose, die gleich aussieht wie diejenigen, die schon im Schrank hängen?". Doch die Befürchtung war unbegründet: Dass Kundinnen und Kunden durch die Teuerung außerordentlich belastet seien, sei nicht spürbar. Das Geschäft bediene aber auch nicht unbedingt jene Klientel, die jeden Euro zweimal umdrehen müsse.

Zwei leerstehende Geschäfte in der Mariahilfer Straße.
Auffallend bei einem Spaziergang durch die Mariahilfer Straße: Die Leerstände mehren sich, hier an der Ecke zur Zollergasse.
Regine Hendrich

Stets im Wandel

Ein paar Meter weiter: Das Fachgeschäft Walter Weiss, das Produkte für den täglichen Bedarf verkauft. Geschäftsführer Daniel Weiss erzählt, dass die Mariahilfer Straße zeitlebens "einem gewissen Wandel unterzogen" war. Die ursprünglich vieldiskutierte Begegnungszone sei mittlerweile Normalzustand. Aber die Rahmenbedingungen würden "immer härter und unangenehmer", das Konsumverhalten ändere sich. Einige Ketten könnten die geforderten Mieten nicht mehr erwirtschaften und müssten schließen. Auch für Weiss ist es schwieriger geworden, "für Investitionen bleibt da kaum was übrig". Er sei glücklich, wenn er seinen Mitarbeitenden regelmäßig und pünktlich die Gehälter zahlen könne.

Zum auf Eis liegenden Prestigeprojekt Lamarr von René Benko findet Händler Weiss klare Worte: Einerseits sei es ein "Spiegelbild unserer aktuellen Zeit und Situation", andererseits bestätige das Scheitern des Immobilienmoguls seine persönliche Motivation, "im Kleinen zu wirtschaften, möglichst schuldenfrei zu sein". So, wie es ein "redlicher Kaufmann" tun sollte.

Die Bauruine Lamarr schlägt sich auch in den Zahlen nieder: Fast zehn Prozent der gesamten Verkaufsfläche der Mariahilfer Straße – gerechnet von Gürtel bis Getreidemarkt – entfallen auf das Einkaufszentrum, so Roman Schwarzenecker von der Beratungsfirma Standort + Markt, die sich seit 2015 mit den Leerständen in Österreichs Innenstädten befasst. Es sei zu hoffen, dass hier "etwas Ordentliches" auf die Beine gestellt werde, der untere Teil der Mariahilfer Straße sei ohnehin schon schwächer.

Bei den Handelsketten sieht der Experte eine neue Entwicklung: Hier werde oft der "Rotstift angesetzt". Der Expansionskurs sei vorbei – viele Doppelbesetzungen werden gecancelt, unrentable Flagshipstores aufgelöst. Grund dafür seien die ungünstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen: Hohe Lohnnebenkosten, Mieten und Kollektivvertragsabschlüsse würden die Händler in die Knie zwingen. Aber: Der KV-Abschluss im Dezember war mit durchschnittlich plus 8,4 Prozent im Vergleich niedrig und lag unter der Inflation. Der stationäre Handel in der Mahü – wie die Mariahilfer Straße umgangssprachlich genannt wird – ist laut einer E-Commerce-Erhebung vom boomenden Onlinehandel besonders bedroht: Das bekleidungsorientierte Mittelpreissegment ist demnach überrepräsentiert, es wird von Zalando und Co besonders bedrängt.

Ein leerstehendes Geschäft, im Schaufenster ist ein großes Gemälde.
In seltenen Fällen wird das Schaufenster einer leerstehenden Geschäftsfläche für eine Kunstinstallation genutzt.
Regine Hendrich

Blickfang Gastronomie

In der Fußgängerzone der Favoritenstraße: Verkäuferin Silvia aus einer Kindermodenfiliale von Dohnal fällt die viele Gastronomie auf. Es gebe nur noch "Essen, Essen, Essen". Leerstände, oftmals von ehemaligen Bekleidungsgeschäften, werden häufig durch Lokale ersetzt. Das Geschäft, in dem sie arbeitet, gibt es an diesem Standort schon mindestens 40 Jahre. Die Verkäuferin selbst ist auch schon sehr lange hier, man merke schon, "dass sich was tut auf der Straße über die Jahre". Sie erzählt von vielen Schließungen, darunter: Kleider Bauer und das Modehaus Tlapa. Weiter Richtung Reumannplatz gebe es noch vereinzelt Filialen von großen Ketten, aber die seien stark in der Unterzahl.

Auch der Geschäftsinhaberin von Dingsda, Qin Hanzl Li, fällt die augenscheinlich stark wachsende Gastronomie auf. Als Herausforderung für ihr Damen- und Herrenmodegeschäft sieht sie die extrem steigenden Mietkosten. Einst, bei der Gründung – ihre Schwiegermutter eröffnete den Laden im Jahr 1986 –, habe die Miete lediglich 200 Euro betragen, mittlerweile zahle sie 2.500 Euro. Bei diesen Mietpreisen könne sie keine zusätzliche Mitarbeiterin anstellen, das wären einfach zu hohe zusätzliche Kosten. Daher steht sie allein im Geschäft.

Eine Frau mit dunklen Haaren und heller Kleidung steht im Eingang zu ihrem Modegeschäft.
Qin Hanzl Li,Inhaberin des Dingsda in der Favoritenstraße, klagt über stark steigende Mietkosten.
Regine Hendrich

Findet man den wahrgenommenen Anstieg der Lokale auch in den Zahlen? "Nein, nicht wirklich", sagt Experte Schwarzenecker. Auch wenn es so wirken mag, die Zusammensetzung der Branchen auf den Geschäftsflächen der Favoritenstraße unterscheide sich nicht wesentlich von anderswo. Zwischen 2015 und 2024 "gab es bei der Gastronomie nur einen leicht positiven Trend", dafür sei der Bekleidungssektor massiv zurückgegangen. Die starken Einbußen in Favoriten seien vor allem durch die Schließungen von Kleider Bauer und Tlapa zustande gekommen, da hier "auf einen Schlag gleich einmal 5.000 bis 6.000 Quadratmeter weggefallen sind". Dass nur wenige Ketten in der Favoritenstraße vertreten sind, ist auch für Schwarzenecker auffallend. Die Zielgruppe sei dort eher migrantisch geprägt, das wirke sich auch auf die Händlerstruktur aus: weniger Filialen großer Ketten, dafür mehr inhabergeführte Geschäfte. (Sarah Kirchgatterer, 8.4.2024)