Martha Mechows
Martha Mechows "Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin" gewann den Großen Diagonale-Preis.
Viennale

Wie wenig traditionell und national die Diagonale – Festival des österreichischen Films denkt, spiegelten die am Montagabend vergebenen Preise wider. Die Jungregisseurin Martha Mechow erhielt für ihr ungezähmtes Kunstdrama Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin den Großen Diagonale-Spielfilmpreis. Die deutsch-österreichische Koproduktion begibt sich auf die Spuren eines kunstsinnigen und humorvollen feministischen Kinos. Mechow erzählt von den Schwestern Furia und Flippa, deren Mutter kurioserweise von der Couch eingesaugt wurde. Nun ist Flippa Furia nach Italien in eine feministische Kommune gefolgt, wo die Frauen Lebensweisen fern von patriarchalen Zwängen erproben. In Wien ist das ungewöhnliche Regiedebüt der aus Berlin stammenden Endzwanzigerin ab Samstag im Metro-Kino zu sehen.

Dass die weiteren Preise auffällig häufig an Regieduos gingen, bezeugt den Trend weg vom Geniekult hin zur Zusammenarbeit: The Klezmer Project von Leandro Koch und Paloma Schachmann wurde für seine Montage ausgezeichnet, und Severin Fialas und Veronika Franz' Historienpsychodrama Des Teufels Bad erhielt den Thomas Pluch-Drehbuchpreis sowie den Preis für das beste Sounddesign. Im Dokumentarfilm reüssierten Helin Çeliks Anqa, eine Studie über Trauma und Gewalt an Frauen, sowie Julia Gutwenigers und Florian Koflers Blick hinter den Adria-Tourismus in Vista Mare, der derzeit österreichweit in den Kinos zu sehen ist.

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Gelungener Festivalauftakt

Der Diagonale-Festivalauftakt von Claudia Slanar und Dominik Kamalzadeh machte somit mustergültig vor, was seit langem diskutiert wird: Mit historischen Programmen zum Filmschaffen von und über Gastarbeit, einem Schwerpunkt zur Avantgardefilmerin Lisl Ponger und einer Frauenquote im Regiebereich von 50 Prozent war das Programm nicht nur repräsentationspolitisch gelungen, es bewies zudem, dass Diversität auch den künstlerischen Ausdruck bereichert.

Dass diese außerdem nicht ausschließlich im Kunstfilm zu finden ist, zeigte sich auf der Premiere der ersten österreichischen lesbischen Mainstream-Komödie What a Feeling von Kat Rohrer: Darin verlieben sich Proschat Madani und Caroline Peters, und am Wiener Nachthimmel explodieren die Feuerwerke.

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Film-Gender-Report

Das Bemühen um Diversität ist indes noch ein recht junges Thema, wie die Diskussionsveranstaltungen der Diagonale konstatierten. Am Freitag und Samstag stellten Birgit Moldaschl vom Österreichischen Filminstitut (Öfi) und Paul Scheibelhofer von der Universität Innsbruck die Ergebnisse des dritten Film-Gender-Report vor, einer statistischen Auswertung von österreichischen Filmen in Kino und Fernsehen.

Die Ergebnisse der Untersuchung, die den Zeitraum von 2012 bis 2021 sowie die Produktionsjahre 2020 bis 2021 abdeckt, bezeugen, dass sowohl bei Fördergeldvergaben wie auch in ausführenden Filmstabsstellen Frauen unterrepräsentiert waren. Besonders düster sieht es im TV-Bereich aus. Dort gingen Förderungen kaum an Projekte mit weiblichen Kernteams, darunter war keine einzige Serie. Inhaltlich habe der heimische Film generell, wie Scheibelhofer bemerkte, einen "Hang zur Noblesse": Während reiche weiße Menschen die Handlungen dominierten, sei die Darstellung von migrantischen Personen häufig stereotyp und in ärmeren Milieus angesiedelt.

Regienachwuchs ist weiblich

Dabei sei das Interesse an authentischen Geschichten und einer jüngeren, diverseren Generation Kreativer vorhanden, betonte Katharina Schenk (ORF) in der Diskussion "Feminist Perspectives". Es gelte aber, so war man sich einig, weitere Maßnahmen in Gang zu setzen, um marginalisierte Gruppen zu integrieren, wie Förderanreize oder gegebenenfalls auch Quoten.

Die Diskussionsrunde von
Die Diskussionsrunde von "Feminist Perspectives": Judith Benedikt (Kamerafrau), Katharina Mückstein (Regisseurin), Elisabeth Scharang (Regisseurin), Katharina Schenk (ORF), Laura Wiesböck (Soziologin).
vd

Apropos Quote: Die Frauenquote (Gender Incentive) in der heimischen Filmförderung wurde, wie Moderatorin und Regisseurin Elisabeth Scharang und Regisseurin Katharina Mückstein betonten, gegen viel Widerstand erst 2021 implementiert. Der vorgestellte Report spiegelt somit das Filmschaffen vor Einsetzen der strukturellen Frauenförderung wider.

Und so lautet denn auch das teils erfreuliche Fazit der Veranstaltung und des Festivals: Der Regienachwuchs ist weiblich. Hinsichtlich der Chancengleichheit von Frauen in technischen Filmberufen, das betonte Kamerafrau Judith Benedikt, sowie der Inklusion queerer Personen, von People of Color und von Menschen mit Behinderungen liegt indes noch eine Wegstrecke vor der Branche. Wie eine solche Neuerfindung der Film- und vor allem Fernsehbranche funktionieren könnte, zeigt auf besonders kluge und witzige Weise der Kurzfilm C-TV (Wenn ich dir sage, ich habe dich gern) von Cordula Thym und Eva Egermann. Dieser ist noch bis Mai im Kunsthaus Graz zu sehen. (Valerie Dirk, 8.4.2024)