Wasser fließt aus einem Rohr
Gewässerproben übertreffen vielerorts die Richtwerte für Ewigkeitschemikalien.
AP/Matt York

Nicht alles, was natürlich ist, ist gut – und nicht alles Künstliche verwerflich. Bei den sogenannten Ewigkeitschemikalien, die natürlicherweise nicht in der Umwelt vorkommen, verdichtet sich jedoch die Beweislage, dass es sich um eine äußerst problematische Klasse von mehr als 10.000 Stoffen handelt.

Diese Chemikalien, die PFAS heißen, stecken in Produkten aller Art: Pfannen, Textilien, Schminke, Fastfoodverpackungen, Löschschaum. Sie sind fast unzerstörbar, sammeln sich im Körper an und können zu Krebs und anderen Erkrankungen beitragen. Aus der Natur sind sie kaum noch wegzubekommen (über die Probleme berichtete DER STANDARD hier ausführlich).

Eine neue Studie im Fachjournal "Nature Geoscience" sammelte nun Daten von mehr als 45.000 Gewässerproben, die in rund 270 Studien seit 2004 veröffentlicht wurden. Sie stammen aus Grundwasser und Oberflächengewässern. Der weitaus größte Teil der Proben wurde in Europa, Nordamerika und Ostasien gesammelt sowie in Australien, wo der Großteil des Autorinnen- und Autorenteams forscht.

Weltkarte mit Punkten in rot, gelb und blau
Proben aus diesen Weltregionen wurden für die Studie berücksichtigt. Je gelber und röter der Kreis, desto höher die gemessene PFAS-Konzentration im Wasser. Die Schwelle von 100 ng/l im gelben Bereich gibt den EU-Richtwert für Trinkwasser an.
Ackerman Grunfeld et al. Nature Geoscience 2024 (Ausschnitt)

Viele Proben überschreiten Grenzwerte, wie sie in der EU, Kanada, Australien und den USA gelten. Das Team um die Erstautorin Diana Ackerman Grunfeld von der University of New South Wales in Sydney schreibt schon im Titel des Papers, es handle sich um eine "unterschätzte Bürde".

Strenge Regeln in Nordamerika

In manchen Ländern gibt es PFAS-Richtlinien für Trinkwasser, teils auch für Oberflächengewässer wie Seen und Flüsse. Doch diese gelten etwa in der Europäischen Union nur für 20 ausgewählte Verbindungen, denen man eine Maßzahl für ihre Giftigkeit zugeschrieben hat. Gemäß der internationalen Stockholm-Konvention sind nur zwei gut erforschte, hochproblematische Stoffe verboten, PFOS und PFOA – von mehreren Tausenden Einzelstoffen. Aber auch sie tauchen in der Umwelt weiterhin auf, da die damit behandelten Produkte weiterverwendet werden und sich die Partikel weiter ansammeln.

In Kanada sind die Regeln im globalen Vergleich besonders streng. Während die EU für Trinkwasser summierte PFAS-Werte unter 500 Nanogramm pro Liter empfiehlt, liegt dieser Grenzwert in Kanada bei 30 ng/l. In den USA wurden die Grenzwerte vor wenigen Jahren massiv nachgeschärft.

In Europa verschlafen

Das macht auch die Studie deutlich. Von den Grundwasserproben aus unbekannten PFAS-Quellen überschreiten sechs Prozent den EU-Richtwert (für die 20 ausgewählten PFAS-Verbindungen) für Trinkwasser, wohingegen der kanadische Richtwert in fast 70 Prozent dieser Proben übertroffen wird. Aber wie die violetten Balken im untenstehenden Diagramm zeigen: Auch nach EU-Normen sind beim Gesamtwert für PFAS aus bekannten Quellen – Löschschaum und anderen Kontaminationen – mehr als 60 Prozent der weltweiten Proben zu stark belastet. Normalerweise werden Ewigkeitschemikalien nicht aus Wasser herausgefiltert, dafür bräuchte man ein massives Upgrade in Wasserwerken und Kläranlagen.

Balkendiagramm
Die Grafik zeigt, wie viel Prozent der Proben die Grenzwerte überschreiten. Die violetten Balken geben dies für die EU-Grenzwerte an, die kanadischen Regeln (blau) sind strenger. Auf der x-Achse sind die Proben sortiert nach Gewässer (dreimal Oberflächenwasser SW, dreimal Grundwasser GW) und PFAS-Quelle: unbekannt, Löschschaum (AFFF) und weitere Quellen. Auffällig: EU-Grenzwerte für die Gesamtzahl an PFAS aus Löschschaum und anderen bekannten Quellen werden in Grundwasser und Oberflächengewässern in 60 bis 70 Prozent der Proben aus aller Welt überschritten. Für die 20 einzeln regulierten PFAS läge dieser Wert immerhin noch bei 20 bis 55 Prozent.
Ackerman Grunfeld et al. Nature Geoscience 2024

In den USA ist man Europa in der Debatte um Ewigkeitschemikalien um zehn Jahre voraus, sagt Umweltwissenschafter Thilo Hofmann von der Universität Wien, der nicht an der Studie beteiligt war. Hier ist das Thema erst in den vergangenen drei Jahren allmählich in Fachdiskussionen und auf der politischen Agenda gelandet – wenn nicht gar "mit Wucht eingeschlagen". Im Gegensatz dazu sei Europa beim Thema Plastik schneller gewesen. Derzeit werden die Grenzwerte durch das zunehmende Wissen aber immer wieder stark nach unten korrigiert, sagt Hofmann, "so unglaublich drastisch, wie ich es in den letzten 30 Jahren als Umweltanalytiker nicht erlebt habe".

Update für die USA

Wie die US-amerikanische Umweltbehörde EPA am Mittwoch bekanntgab, wurden dort erstmals landesweite Grenzwerte für PFAS in Leitungswasser eingeführt. Der Leiter der Behörde, Michael Regan, sagte, dass es sich um die stärkste jemals von der EPA zu PFAS ergriffene Maßnahme handle. Sie solle "tausende Todesfälle" verhindern. Fünf gut erforschte Einzelverbindungen, die am häufigsten vorkommen, werden dadurch reguliert. Bisher hatten nur einzelne Bundesstaaten solche Obergrenzen für Trinkwasser.

Für die Praxis bedeutet das: Staatliche Wasserversorger müssen ihre Anlagen verbessern, damit sie die neuen Grenzwerte einhalten können. Dafür soll es einen Zuschuss der Regierung von einer Milliarde Dollar geben, umgerechnet 921 Millionen Euro. Für das Aufrüsten haben die Wasserversorger insgesamt fünf Jahre Zeit, erst für das Testen ihrer Belastung, die sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern mitteilen müssen, dann für den Einbau von Aktivkohlefiltern. Die neuen Grenzwerte zählen laut Melanie Benesh von der gemeinnützigen Environmental Working Group (EWG) international zu den strengsten Regulierungen. Damit habe man einen historischen "Sieg für die öffentliche Gesundheit in den USA" erreicht.

Kontamination in Österreich

Die starken Korrekturen nach unten verdeutlichen, wie sehr die Industrie das Problem jahrzehntelang unterschätzte. Die Verbindungen galten gerade aufgrund ihrer Stabilität als harmlos. Man ging davon aus, dass sie wenig mit anderen Stoffen reagierten und daher wenig Schaden anrichten könnten. Doch die Analysen gesundheitlicher Auswirkungen zeichnen ein anderes Bild, von erhöhtem Krebsrisiko bis hin zu Entwicklungsstörungen bei Kindern.

In Österreich gibt es bereits stark kontaminierte Regionen, in denen die empfohlene maximale PFAS-Dosis im Trinkwasser überschritten wird. Meist ist es der Löschschaum von Flugplätzen und anderen Orten, an denen Feuerwehrübungen durchgeführt wurden, der dort die Umwelt verschmutzt und im Grundwasser landet. Experten zufolge dürften hierzulande in den kommenden Jahren immer mehr solcher Fälle entdeckt werden, man steht erst am Anfang.

Signal an die Politik

Dem Studienteam zufolge unterschätzt das derzeitige Monitoring der Ewigkeitschemikalien die Verschmutzung in der Umwelt, weil nur eine begrenzte Anzahl von PFAS überwacht wird. Für Hofmann und andere Fachleute sind die gesammelten Studienergebnisse keine Überraschung, sondern sehr erwartbar. Sie mache aber das Problem deutlich und zeige, wie stark sich die Grenzwerte unterschieden.

Unterschätzt werde die Lage aber sehr wohl von Politik und Umweltämtern. Die Studie ist laut Hofmann also ein "wichtiges Signal" an Politik und Öffentlichkeit, die Stoffgruppe stärker zu regulieren. Eine entsprechende Entscheidung innerhalb der Europäischen Union wird erwartet: Die EU-Chemikalienagentur bewertet derzeit einen Vorschlag von fünf Staaten, PFAS für viele Anwendungen massiv zu beschränken. (Julia Sica, 10.4.2024)