Der neue Asyl- und Migrationspakt der EU (GEAS) soll am Mittwochabend im Europaparlament beschlossen werden. Laut dem Europareferenten des deutschen Vereins Pro Asyl, Karl Kopp, wird er zu massiven asylrechtlichen Rückschritten führen. Menschen, die sich der Verfolgung entziehen, drohe in Europa künftig Haft, warnt er.

STANDARD: Die Zustimmung zum Asylpakt gilt als so gut wie fix. Welche Folgen wird die Reform für Asylsuchende haben?

Kopp: Das Sterben und das Leid an den Außengrenzen werden weitergehen, samt illegaler Zurückweisungen – also Pushbacks – wie jetzt. Künftig würden Menschen aufgrund europäischer Gesetze unter haftähnlichen Bedingungen ein Asylschnellverfahren durchlaufen. Das gilt verpflichtend für alle, die aus Ländern mit einer Asylwahrscheinlichkeit unter 20 Prozent kommen. Nicht einmal Familien mit Kindern sind ausgenommen, nur unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden verschont.

STANDARD: Warum "haftähnlich"? Werden die Asylsuchenden in den geplanten Zentren in EU-Grenzstaaten eingesperrt sein oder nicht?

Szene aus dem Lager für Flüchtlinge und Migranten in Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos am 11. Oktober 2020
Schon jetzt müssen viele Schutzsuchende ihr Asylverfahren in EU-grenznahen Lagern verbringen, etwa im Zentrum Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos.
Foto: Imago/Panagiotis

Kopp: Ja – denn während der Asylgrenzverfahren sollen die Schutzsuchenden als "nicht eingereist" gelten. Es wird von der "Fiktion der Nichteinreise" ausgegangen, einem rechtlich fragwürdigen Konstrukt, das schon an deutschen Flughäfen zu De-facto-Inhaftierungen von Schutzsuchenden führt. In der Praxis wird das auf monatelange Haft hinauslaufen. Viele Abgelehnte im Asylschnellverfahren werden nach monatelanger Festsetzung wiederum einer elenden Lebenssituation auf der Straße ausgesetzt sein, weil sie nicht rück- oder abgeschoben werden können. Statt mehr Humanität sind Chaos und Elend zu befürchten.

STANDARD: Haft kann laut europäischen Gesetzen nicht so einfach verhängt werden. Welche Möglichkeiten werden NGOs, Anwältinnen und Anwälte haben, hier Einspruch zu erheben?

Kopp: Das wird schwer, denn unter haftähnlichen Bedingungen gibt es keine rechtliche Fairness. Eine Vielzahl Geflüchteter wird künftig ihr Asylverfahren abgeschottet von der Außenwelt durchlaufen – und wir erleben seit Jahren, dass in den EU-finanzierten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln keine gerechten Asylverfahren möglich sind. Es gibt dazu keine ausreichende rechtliche, medizinische oder psychologische Unterstützung. So der Pakt tatsächlich beschlossen wird, wird das auch in den geschlossenen Asylzentren passieren. Die Zentren werden eine Art Blackbox sein.

"Die Verschärfungen werden nicht dazu beitragen, dass die Asyldebatte in ruhigere Bahnen gerät."

STANDARD: Das klingt nach viel Arbeit für die Zivilgesellschaft.

Kopp: Ja, das ist eine große Herausforderung. Die Nationalstaaten haben zwei Jahre Zeit, um den Pakt umzusetzen. Das werden sie meines Erachtens nicht schaffen. Die Zivilgesellschaft muss in dieser Zeit die Rechte von Asylsuchenden unter den heutigen Bedingungen weiter verteidigen und sich gleichzeitig auf die künftigen Bedingungen vorbereiten. Das ist jetzt schon schwer, und das wird künftig noch komplizierter.

STANDARD: Im Mittelpunkt des Asyl- und Migrationspakts steht der Schutz der EU-Außengrenzen. Reiben sich die Sicherheitsfirmen schon die Hände?

Kopp: Ja, das ist ein großer Expansionsbereich. Schon in den vergangenen Jahren wurden Milliardensummen in die Grenzüberwachung investiert – und beschämend wenig in bessere Aufnahmebedingungen und Integration.

STANDARD: Teil des Asyl- und Migrationspakts ist aber auch ein Solidarpakt. Er verpflichtet die 27 EU-Staaten, einander im Hinblick auf Asyl zu unterstützen. Wird das helfen?

KARL KOPP (PRO ASYL EUROPAREFERENT) WÄHREND EINER PK DER HILFSORGANISATION PRO ASYL ZUM THEMA 'FLUCHT AUS DEM IRAK
Karl Kopp sieht infolge des EU-Asylpakts viel Arbeit auf die Zivilgesellschaft zukommen.
Foto: ACTION PRESS/picturedesk.com

Kopp: Nein, denn der Staat, in dem ein Asylantrag gestellt wurde, bleibt dafür zuständig, so wie es jetzt schon ist. Was kommt, ist Solidarität à la carte. EU-weit sollen 30.000 Menschen umverteilt werden, aber niemand ist verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen. Man kann Geld zahlen, nachweisen, dass man Kooperationen in Drittstaaten finanziert, und so weiter. Echte Verantwortungsverteilung sieht anders aus. Stattdessen könnte man die Erfahrungen mit den Ukraine-Vertriebenen nutzen.

STANDARD: Wie das?

Kopp: Die Ukraine-Vertriebenen konnten legal einreisen. Es wurde das Integrationspotenzial der Communitys genutzt. Das ist gelebte Solidarität auf Basis der EU-Massenzustromrichtlinie – während im Asylbereich hochkomplexe technokratische Vorstellungen umgesetzt werden, mit denen das Leben von Schutzsuchenden über Jahre hinweg bestimmt und eingeschränkt wird.

STANDARD: Sie sehen für den Pakt also wenig Chancen. Wie wird es asylpolitisch in der EU weitergehen?

Kopp: Die Verschärfungen werden nicht dazu beitragen, dass die Asyldebatte in ruhigere Bahnen gerät. Die Befürworter einer Ruanda-Lösung, einer völligen Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten, werden direkt nach Annahme des Paktes ihre Kampagne weiterführen. Hätte jemand vor fünf Jahren vorhergesagt, dass heute die CDU als größte Volkspartei Deutschlands einen solchen Plan befürwortet, man hätte es nicht geglaubt. Die Zivilgesellschaft wird also um den Erhalt des individuellen Asylrechts kämpfen müssen – und um die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention sowie die Grundrechtecharta der EU. (Irene Brickner, 10.4.2024)