Johannes Anzengruber beim Wahlkämpfen
Politischer Eismann im Rapoldipark: Johannes Anzengruber ist gern "draußen bei den Leuten", wie er sagt.
Florian Scheible

Innsbruck – Wenn man Johannes Anzengruber anruft, hebt er selbst ab. Nicht ungewöhnlich, könnte man jetzt sagen. Schließlich tun das ja die meisten Menschen, nachdem man ihre Nummer gewählt hat. Nur: Anzengruber war bis vor kurzem Vizebürgermeister von Innsbruck, immerhin. Und: Seine Handynummer steht auf seiner Website, es ist seine private. Innsbruckerinnen und Innsbrucker, die mit ihrem Ex-Vizestadtchef sprechen wollen, brauchen ihn also nur zu googeln – und haben einen direkten Draht zu ihm.

Dass Anzengruber jeden Anruf persönlich entgegennimmt, hat denselben Grund, wie dass er den geliehenen Kastenwagen heute selber lenkt. Er bringt ein Lastenrad mit, das auch ein Eiswagen ist, in den Rapoldipark im Stadtteil Pradl, wo er an diesem sonnigen Nachmittag Gratiseis an die Parkbesucher ausgibt.

Vorher hat Anzengruber in der Altstadt Radieschen in Sackerln mit seinem Gesicht darauf verteilt. Die Frau, die ihm beim Verteilen hilft, ist seine Mutter. Die Radieschen sind aus dem Anbau seiner Schwester. Und der Mann, der mit ihm die Kisten in sein Auto lädt, ist sein Schwager. Denn das Projekt "Anzengruber kandidiert noch einmal" ist eine Art Familienbetrieb. "Anders geht's nit", sagt der 44-Jährige, "als dass die Leut' zusammenhelfen."

Gespaltene Konservative

Anzengruber hat in seinem Leben zwar immer schon viel selber gemacht. Aber nie so viel wie jetzt. Der Grund für die neuentdeckte Do-it-yourself-Mentalität des Innsbruckers: Er wurde aus seiner Partei ausgeschlossen. Und das war die in Tirol bekanntlich nicht ganz unwichtige ÖVP.

Eigentlich saß der gelernte Gesundheitswissenschafter und politische Quereinsteiger auf dem Ticket der Volkspartei in Innsbrucks Gemeinderat, wo er 2020 zum Stadtchef-Stellvertreter gewählt wurde. Doch in der notorisch zerstrittenen Innsbrucker Kommunalpolitik hielt diese Karriere nicht allzu lange. Die am Inn bereits gespaltenen Konservativen einigten sich auf den einstigen Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky (ÖVP) als Spitzenkandidaten für die Bürgermeister- und Gemeinderatswahl am Sonntag. Dafür schloss die Volkspartei sogar mit Ex-Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer Frieden. Sie prägte jahrelang mit ihrer eigenen Liste "Für Innsbruck" die Stadtpolitik. Nun kandidiert sie auf Listenplatz zwei nach Tursky für die ÖVP, die sich in der Tiroler Hauptstadt offiziell "Das neue Innsbruck" nennt.

Politische Affäre

Nachdem Anzengruber im Herbst überraschend ankündigte, mit einer eigenen Liste kandidieren zu werden, folgte postwendend der Ausschluss aus der Volkspartei. Und auch eine politische Affäre trug zur Entfremdung zwischen Anzengruber und seiner politischen Heimat bei. Der damals noch amtierende Vizebürgermeister hatte mehrere Tausend Stück der sogenannten Erlebnis-Card von einem Unternehmen geschenkt bekommen, die laut dem Betrieb sonst weggeworfen worden wären. Die Karte berechtigt zu Ermäßigungen und freien Eintritten bei etlichen Freizeitinstitutionen in Tirol. Anzengruber vermittelte daraufhin über 3.000 solcher Karten an Organisationen wie die Innsbrucker Berufsfeuerwehr und Angestellte der städtischen sozialen Dienste. Mit der Stadt und ihren Compliance-Regeln hat er das allerdings nicht abgestimmt.

Johannes Anzengruber im Wahlkampf
Die im Wahlkampf verteilten Radieschen stammten aus dem Anbau von Anzengrubers Schwester. Überhaupt ist die Kandidatur eine Art Familienunternehmen.
Florian Scheible

"Ich habe die Karten nicht verschenkt, das war das Unternehmen. Ich habe nur vermittelt", sagt Anzengruber. Das Problem dabei: Das betreffende Unternehmen arbeitete für diverse andere Projekte mit der Stadt Innsbruck zusammen – nicht zuletzt mit dem Ressort des damaligen Vizebürgermeisters. Das rief auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft auf den Plan. Sie ermittelt wegen des Verdachts der Vorteilszuwendung und Vorteilsannahme. Anzengruber bestreitet die Vorwürfe. Ein Ergebnis steht noch aus. Und wie immer, wenn die Korruptionsjäger am Ruder sind, gilt: Werden die Ermittlungen eingestellt, ist die Sache rechtlich abgeschlossen. Ein Reputationsschaden aber bleibt.

Zwei Hände und ein Kastenwagen

Wo es also früher Mitarbeiter und sattes Budget aus der Parteikasse gab, gibt es jetzt zwei Hände und einen Kastenwagen. Eine improvisierte Rampe aus zwei Holzbrettern und mit Unterstützung des Schwagers geht das Eisdielen-Lastenrad schon irgendwie aus dem Van. Und das Auto, in dem der Schwager den Aufsteller mit dem Parteilogo transportiert hat, mit dem Listenlogo auch an den Türen? Ist das für den Wahlkampf geleast? "Na Hallo!", sagt Anzengruber. "Das ist mein Privates. Eigenhändig beklebt, so wie hundert andere von Freunden, Verwandten und Unterstützern."

Das E-Lastenrad steuert der Politiker dann zielsicher auf die kleine Grünfläche neben dem Spielplatz. "Ja, ein Eis!", ruft ein Volksschüler. Hinter ihm bildet sich schnell eine beachtliche Traube aus Müttern, Vätern und Halbwüchsigen: potenzielle Wähler von morgen. Aber auch zu ein paar Studierenden, die beim nahen Weiher Volleyball spielen, hat sich der Eiswagen schnell herumgesprochen.

"Nix tun" geht nicht

Was will Anzengruber politisch – außer selbst anpacken? "Unser Programm habe ich aus allen Stadtteilen erarbeitet", sagt er. "Für mich war's wichtig, draußen bei den Leuten zu sein." Er wolle von ihnen selbst hören, wo die Probleme liegen. "Die wohnen und arbeiten da schließlich täglich."

Wahlgeschenke von Johannes Anzengruber
Auch ein parteipolitischer Underdog braucht Wahlgeschenke.
Florian Scheible

Im Gemeinderat habe man sich viel zu viel um Parteipolitik und Eigeninteressen gekümmert. Als Bürgermeister würde er als Erstes wieder eine wöchentliche Sprechstunde für die Innsbruckerinnen und Innsbrucker einführen. Inhaltlich sei das Wohnthema ebenso zentral wie das der Mobilität. "Wir haben alle Tage 65.000 Pendler." Bei 130.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Der öffentliche Verkehr in Innsbruck solle nach Anzengrubers Vorstellung bis 2030 kostenlos nutzbar sein.

Um eine Chance zu haben, Projekte wie dieses als Stadtchef umzusetzen, wird der einstige Pächter der beliebten Innsbrucker Arzler Alm bis zum Sonntag noch viel selbst anpacken und weiterlaufen müssen. Dass er das auch tun wird, daran lässt er wenig Zweifel. "Weil nix tun", sagt Anzengruber, "des konn' i nit." (Martin Tschiderer, 10.4.2024)