Verhandlung vor dem EGMR.
Österreichs Regierung stärkte der Schweiz vor dem EGMR den Rücken, allerdings ohne Erfolg.
AFP/FREDERICK FLORIN

Die Verurteilung der Schweizer Klimapolitik vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) könnte weitreichende Folgen haben – auch für Österreich. Das dürfte mit einer der Gründe dafür sein, warum Österreich seinem Nachbarn Schweiz in der Klage der Klimaseniorinnen zur Seite gesprungen ist. Wie aus dem Urteil hervorgeht, war Österreich eines von acht Ländern, die sich freiwillig am Verfahren beteiligt haben.

Laut einer Stellungnahme, die die Republik Ende 2022 ins Verfahren eingebracht hat, gebe es in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) "kein allgemeines Recht auf Schutz vor dem Klimawandel". Die Klage der Klimaseniorinnen gegen die Schweizer Regierung war aus Sicht Österreichs deshalb unzulässig. Der Gerichtshof für Menschenrechte sah das in seiner Entscheidung bekanntlich anders.

Zuständig für Stellungnahmen in internationalen Gerichtsverfahren ist der Verfassungsdienst, der im ÖVP-geführten Bundeskanzleramt angesiedelt ist. Dass sich Österreich in dieser Form an dem heiklen Verfahren beteiligt hat, dürfte innerhalb der türkis-grünen Koalition aber nicht akkordiert gewesen sein – zumindest nicht auf politischer Ebene.

Verfassungsdienst zuständig

Aus dem Verfassungsministerium heißt es auf Anfrage des STANDARD, dass für die Prozessvertretung Österreichs der Verfassungsdienst gemeinsam mit dem Völkerrechtsbüro im Außenministerium zuständig sei. Die jeweiligen Stellungnahmen werden "mit den jeweils inhaltlich betroffenen Ressorts" koordiniert. Im aktuellen Fall sei die Stellungnahme mit "allen betroffenen Ressorts" inklusive des grünen Klimaschutzministeriums akkordiert gewesen.

Von dort heißt es, dass der Verfassungsdienst die Stellungnahme eigenständig erarbeitet habe. Man könne aber nicht ausschließen, dass es auf fachlicher Ebene einen Austausch mit Beamten des Klimaschutzministeriums gegeben habe. Für Stellungnahmen an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebe es kein geregeltes Prozedere in der Koalition und – anders als bei Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof – auch keinen Ministerratsbeschluss.

Zankapfel im Klimaschutzgesetz

Glücklich dürften die Grünen über die Stellungnahme wohl nicht sein. Schließlich forderte die Partei in der Vergangenheit immer wieder ein Grundrecht auf Klimaschutz. Ein derartiges Verfassungsrecht war unter anderem Zankapfel in dem Regierungsstreit über das nach wie vor ausständige Klimaschutzgesetz.

In seiner Stellungnahme vor dem EGMR weist der Verfassungsdienst darauf hin, dass die Klimaziele im Pariser Übereinkommen nicht rechtlich bindend seien. Es handle sich nur um eine "Verhaltenspflicht", nicht aber um eine Pflicht, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention scheint es "kein allgemeines Recht auf eine gesunde Umwelt oder ein allgemeines Recht auf Schutz vor dem Klimawandel zu geben".

Am Dienstag hat das der EGMR anders gesehen: Er verurteilte die Schweiz und stellte eine Verletzung der EMRK fest. Menschen hätten ein Recht darauf, "vor den schwerwiegenden negativen Auswirkungen des Klimawandels auf Leben, Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität" geschützt zu werden. Die Schweiz habe jedoch keine ausreichenden Klimaschutzmaßnahmen beschlossen, um das zu verhindern. (Jakob Pflügl, 11.4.2024)