Gerhard Karner
Ein Gericht hob vor sechs Jahren die Suspendierung von Egisto Ott auf, die das Innenministerium damals durchsetzen wollte. Der heutige Ressortchef Gerhard Karner sieht keine Verantwortung bei seinem Haus.
APA/EVA MANHART

Seit der Festnahme des Ex-Verfassungsschützers Egisto Ott vor zwei Wochen werden täglich neue Facetten des Spionageskandals publik. Besonders erstaunlich dabei ist, ein wie leichtes Spiel Ott noch bis in die jüngste Vergangenheit hatte, als er mutmaßlich geheime Informationen abgezapft und durch Ausnutzung seiner Position als Polizeibeamter Personen zugunsten Russlands ausspioniert haben soll – wobei Ott die Vorwürfe bestreitet oder sich nicht dazu äußert, es gilt die Unschuldsvermutung.

Immerhin gab es laut dem ehemaligen Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), Peter Gridling, bereits im Jahr 2017 ernsthafte Warnungen eines ausländischen Geheimdienstes vor Otts Verstrickungen mit Russland. Daraufhin entdeckte das BVT damals auch schon, dass Ott zwischen 2015 und 2017 zahlreiche illegale Abfragen bei Polizeidatenbanken gemacht haben dürfte und streng geschützte Informationen von seiner dienstlichen an seine private Mailadresse weitergeschickt hatte. Das BVT ergriff Konsequenzen und suspendierte den Beamten vorläufig vom Dienst, zur selben Zeit gab es in Otts Wohnung in Kärnten schon eine Hausdurchsuchung. Wieso konnte Ott dann 2018 flugs wieder – nach einem Wechsel zur Sicherheitsakademie – als Polizist seines Amtes walten?

ÖVP will Innenministerium nichts vorwerfen

Diese Frage zur Vergangenheitsbewältigung hat nun die politische Ebene erreicht, wie die Fernsehauftritte zweier hochrangiger ÖVP-Politiker am Dienstagabend gezeigt haben. Sowohl Generalsekretär Christian Stocker als auch Innenminister Gerhard Karner versuchten, die Verantwortung auf die Justiz zu schieben – und damit das einst und jetzt ÖVP-geführte Innenministerium aus der Schusslinie der Kritik zu nehmen. Karner betonte in der "ZiB 2", dass "der Bundesverwaltungsgerichtshof" die Suspendierung Otts aufgehoben habe.

Das ist zunächst insoweit falsch, als in Österreich keine Institution namens Bundesverwaltungsgerichtshof existiert – es gibt einerseits den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) und andererseits das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Gemeint hat Karner das Bundesverwaltungsgericht, das im Februar 2018 tatsächlich einen Beschluss zu Ott gefällt hat. Stocker sprach die schwarze Stoßrichtung im ORF-"Report" denn auch unumwunden an: "Vom Bundesverwaltungsgericht – das ist nicht das Innenministerium – ist diese Suspendierung aufgehoben worden. Das kann man wohl dem Innenminister nicht vorwerfen."

Hat also – wie die ÖVP im Subtext andeutet – die Justiz bei Ott mit Samthandschuhen agiert und damit die harte Maßnahme des 2017 von Wolfgang Sobotka (ÖVP) angeführten Innenressorts konterkariert? Bei einer Lektüre der Gerichtsentscheidung, die online in anonymisierter Form zugänglich ist, stellt sich die Situation doch etwas anders dar.

Disziplinarkommission suspendierte Ott

Nachdem Ott vom BVT im November des besagten Jahres vorläufig suspendiert – sprich: vom Dienst enthoben – worden war, war zunächst die sogenannte Disziplinarkommission des Innenministeriums am Zug. Binnen weniger Wochen entschied sich die Disziplinarkommission im Dezember für die Bestätigung der Suspendierung und führte in einem Bescheid ihre Gründe dafür aus: Ott stehe im Verdacht, geheime dienstliche Informationen privat aufbewahrt zu haben und als mögliche nachrichtendienstliche Quelle für Staatsgeheimnisse fungiert zu haben. Dieser Verdacht von Dienstpflichtverletzungen sei geeignet, "wesentliche Interessen des Dienstes zu gefährden" und das öffentliche Vertrauen in das BVT zu erschüttern.

Dazu muss man wissen, dass für eine Suspendierung – die kein Disziplinarverfahren darstellt – eine Dienstpflichtverletzung durch den betroffenen Beamten noch nicht nachgewiesen sein muss. Es handelt sich vielmehr um eine Sicherheitsmaßnahme, die eine Behörde bereits bei Vorliegen eines begründeten Verdachts ergreifen kann, um weiteren Schaden abzuwenden und das Ansehen der Behörde nicht zu gefährden.

Gericht fand Bescheid mangelhaft

Allerdings darf die Behörde die Verdachtslage, mit der sie die Suspendierung untermauert, nicht allzu vage beschreiben, zumal eine Suspendierung ja auch zu einer teilweisen Gehaltskürzung führt. Insbesondere fordern die Gerichte, dass die Zeitpunkte der vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen von der Behörde benannt werden.

Genau hier hakte das Bundesverwaltungsgericht als nächsthöhere Instanz ein, an die sich Ott mit seiner Beschwerde gewandt hatte: Die Disziplinarkommission des Innenministeriums habe nämlich die nötige Angabe der Zeiträume von Otts mutmaßlichen Verfehlungen vermissen lassen, urteilte das BVwG. Überdies habe es die Kommission auch verabsäumt, die Zahl der Dokumente anzuführen, die von seinen Aktionen betroffen waren. Aus dem Bescheid ergab sich laut Gericht mangels Genauigkeit insgesamt "nicht das zur Last gelegte Verhalten und kann dieses daher nicht nachvollzogen werden". Daher wurde Bescheid aufgehoben.

Seit 2021 suspendiert

Rückblickend rechtfertigt das Innenministerium die fehlende Präzision damit, dass der Verdacht gegen Ott von einem ausländischen Nachrichtendienst an das BVT herangetragen wurde. Ohne dessen Zustimmung habe die Dienstbehörde die zugespielten konkreten Informationen seinerzeit leider nicht verwerten dürfen, hieß es am Mittwoch aus Karners Ressort. Wie auch immer man diese kaum überprüfbaren Beteuerungen einstufen mag, das Innenministerium hat jedenfalls seinen Teil beigetragen, dass die Suspendierung keinen Bestand hatte.

Was freilich nicht heißt, dass sich die Justiz in der Causa Ott einer kritischen Rückschau pauschal entziehen kann. Bemerkenswert scheint etwa ein Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Wien, der dem STANDARD vorliegt: Demnach trug das OLG der Staatsanwaltschaft noch im März 2023 auf, die Spionage-Ermittlungen gegen Ott einzustellen, weil sich der Tatverdacht nicht erhärtet habe. Nach heutigem Wissen war Otts von Russland gesteuertes Netzwerk in der Phase in brandgefährliche Aktivitäten verwickelt.

Suspendiert war Ott damals übrigens sehr wohl: Der zweite Anlauf zu dieser Maßnahme, den das Innenministerium Anfang 2021 unternahm, hält bis heute. (Theo Anders, 10.4.2024)