Das Ganze klingt wie eine Provinzposse aus dem Burgenland. Dort streiten sich zwei Richter am Landesverwaltungsgericht Eisenstadt seit inzwischen fast zwei Jahren darüber, wer für einen anhängigen Fall zuständig ist, in dem es um Entschädigungen in Zusammenhang mit der Pandemie geht. Der Innsbrucker Verfassungsjurist Peter Bußjäger sagt zu der Causa, dass, wenn man sie seinen Studierenden als Prüfungsstoff vorlegte, "diese sofort wütend protestieren würden, weil der Sachverhalt so lebensfremd wirke". Doch die Causa ist echt und mehr als ein skurriler Streit innerhalb der Justiz. Berührt ist nämlich ein in der Verfassung garantiertes Grundrecht, das dafür sorgen soll, dass Verfahren vor der Justiz fair verlaufen. In der Causa steht also der Rechtsstaat selbst auf dem Prüfstand. Involviert ist inzwischen auch ein Höchstgericht, eingeschaltet wurde ebenso die Staatsanwaltschaft.

Die strittige Causa

Worum geht es überhaupt? Das Landesverwaltungsgericht im Burgenland wird interimistisch schon länger durch seinen Vizepräsidenten Thomas Giefing geleitet. Der Rechtsstreit, um den es geht, geht in das Jahr 2022 zurück: Damals hatte der Vizepräsident im April und Mai erfolglos versucht, eine neue Geschäftsordnung zu erlassen, die regelt, welchen Richtern welche Fälle zugeteilt werden. Mit einer neuen Geschäftsordnung wollte sich Giefing selbst entlasten, weil ihm die Leitung des Gerichts neben seinen Fällen zu viel wurde. Nachdem der Antrag auf Entlastung zunächst im Kollegium von den übrigen Richtern abgelehnt wurde, hat er auf der Homepage des Gerichts dennoch eigenständig einen Anhang zur bisherigen Geschäftsverteilung kundgemacht.

Landesverwaltungsgericht Burgenland, Eisenstadt. Im Gericht wird heftig gestritten.
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Mit diesem hat er die Zuständigkeiten doch nach seinen Wünschen verändert. Im Juni 2022 wandten sich zwei Unternehmen mit einer Beschwerde gegen Entscheidungen zweier Bezirkshauptmannschaften an das Landesverwaltungsgericht in Eisenstadt. Es ging beim Streit um eine Entschädigungen für in der Pandemie abgesonderte Mitarbeiter. Nun aber fühlte sich kein Richter zuständig für den Fall: Der Richter, der laut kundgemachtem Anhang auf der Website zuständig sein sollte für die Sache, lehnte den Fall ab und verwies ihn an den Vizepräsidenten des Gerichts. Dieser sei laut gültiger Geschäftseinteilung eigentlich zuständig. Der Vizepräsident Giefing schickte den Akt zurück an den Richter, drohte ihm mit disziplinar- und dienstrechtlichen Konsequenzen, falls er den Fall nicht akzeptiere. Der Richter akzeptierte nicht, er hielt per Beschluss seine Unzuständigkeit fest.

Warum der Fall übers Burgenland hinaus Bedeutung hat

Dazu muss man wissen, dass in Österreichs Verfassung festgelegt ist, dass in den Verwaltungsgerichten die Zuteilung der Fälle im Vorhinein festgelegt sein muss, und zwar entscheidet eine Vollversammlung des Richterkollegiums. Das gilt im Übrigen auch für Strafverfahren. Das ist seit dem 19. Jahrhundert ein "elementarer Grundsatz des Rechtstaates", erklärt der Verfassungsjurist Bußjäger. "Durch eine fixe Geschäftsverteilung soll gesichert sein, dass ein Fall ohne politischen Einfluss einem Richter zugeteilt wird." Das Prinzip ist also ein Fundament des Rechtsstaates und des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter. Eine Rolle spielte das Prinzip zum Beispiel erst kürzlich im Strafverfahren gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Die ÖVP wirft dem dort zuständigen Richter Nähe zu Ex-Politiker Peter Pilz vor. Dabei ist der Richter nicht durch eine eigene Entscheidung mit dem Fall betraut worden. Die Aufteilung der Fälle war im Vorhinein nach festgelegten Kriterien erfolgt.

Das Höchstgericht schaltet sich ein

Zurück ins Burgenland. Der Fall wanderte von Eisenstadt zum Verwaltungsgerichtshof nach Wien. Dass hier kein Richter zuständig sein wollte, war Grund der Beschwerde. Während der Gerichtshof in der Sache aus formellen Gründen nicht entschied, hielt er in einem vor kurzem ergangenen Beschluss seinen Standpunkt unmissverständlich fest. So stellt das Höchstgericht klar, dass die Geschäftseinteilung nur von der Vollversammlung der Richter geändert werden kann. Ein Richter kann aus Überlastung heraus seine Fälle abgeben wollen, das sei ein legitimes Anliegen. Eine Änderung der Geschäftsverteilung aus "eigener Machtvollkommenheit" eines Richters sei nicht möglich, fasst Bußjäger die Passagen des Urteils zusammen. Es gebe eine "Garantie auf eine Entscheidung durch den gemäß der Geschäftsverteilung zuständigen Organwalter", heißt es im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs weiter. Und er merkt an: Entscheidet ein laut Geschäftsverteilung nicht zuständiger Richter, werde der Verfassungsgerichtshof diese Urteile aufheben, weil das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt werde. Der Fall wurde an das Landesverwaltungsgericht retour überwiesen.

Die Anzeige

Dort geht die Causa nun weiter. Der Vizepräsident des Gerichts Giefing steht nämlich weiter auf dem Standpunkt, dass er nicht für den Fall zuständig ist. Er beruft sich dabei auf eine Geschäftsordnung, die im Herbst 2022 dann schließlich tatsächlich von den Richtern im Kollegium beschlossen wurde und die von ihm gewünschte Entlastung absegnete. Juristisches Gegenargument: Der Fall wurde vor diesem Beschluss am Landesverwaltungsgericht aufgenommen, fällt demnach noch unter das Regime der alten Geschäftsordnung. Inzwischen hat Giefing den Richter, der sich für nicht zuständig erklärte, bei der Staatsanwaltschaft Wien angezeigt. Er wirft ihm Amtsmissbrauch vor, der Richter betreibe "Rechtsverweigerung". Stellte der Verwaltungsgerichtshof in der Sache nicht klar, dass er selbst zuständig ist? Giefing sieht das anders. Der Verwaltungsgerichtshof habe sich mit der Sache inhaltlich noch gar nicht befasst.

Ein offener Posten

Die ganze Geschichte steht jedenfalls auch in zeitlichem Zusammenhang mit der Neubesetzung des Präsidentenamts am Landesverwaltungsgericht, das für alle Landesrechtssachen wie Naturschutz oder Baurecht zuständig ist, aber auch für Bundessachen, die von den Landesbehörden vollzogen werden. Pikant: Beide Richter, die hier um die Zuständigkeit streiten, haben sich um das Amt beworben neben zwei weiteren Kandidaten. Das Landesverwaltungsgericht ist seit 2019 de facto ohne fixen Präsidenten.

Ein erstes Verfahren zur Vergabe der Stelle wurde abgebrochen, weil die Richter gegen die Ernennung eines Präsidenten aus dem Umfeld von Ex-SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl protestierten. Im Rahmen einer weiteren Ausschreibung wurde die bisherige Bezirkshauptfrau-Stellvertreterin von Güssing ins Amt gehievt. Schon kurze Zeit nach ihrem Amtsantritt stellte sie einen Antrag auf Pensionierung wegen Dienstunfähigkeit. Seitdem führt Thomas Giefing das Gericht provisorisch. Aktuell läuft die dritte Ausschreibung seit 2019, kommende Woche sind Hearings angesetzt. Deren Ausgang ist ebenso offen wie jener des Verfahrens rund um die Corona-Hilfen. Vor einem Urteil müsste zunächst ein Richter gefunden werden. (András Szigetvari, 10.4.2024)