Es ist eine besonders qualvolle Methode, jemanden ums Leben zu bringen, bei der italienischen Mafia kennt man die Praxis als "incaprettamento": Während sich das Opfer in Bauchlage befindet, wird ein Seil eng um seinen Hals geknüpft und mit den Knöcheln der zum Rücken zurückgebogenen Beine verbunden. Der Tod tritt dabei durch langsames Ersticken ein, das Opfer stranguliert sich also selbst, da es unmöglich ist, die Beine auf Dauer in dieser erzwungenen Position zu halten.

Jahrtausendelang bewährte Praxis

Diese grausame Tötungsart ist keineswegs eine Erfindung der Moderne, ganz im Gegenteil: Wie ein französisches Forschungsteam nun nachweisen konnte, haben die Menschen der Jungsteinzeit in Europa "incaprettamento" über Jahrtausende hinweg regelmäßig praktiziert. Das zumindest legen 7.000 bis 5.500 Jahre alte Grabfunde nahe. Welchem Zweck diese vermutlich rituellen Morde gedient hatten, darüber können die Wissenschafter allenfalls spekulieren.

Die Gebeine der drei Frauen aus der Vorratsgrube von Saint-Paul-Trois-Châteaux. Das Opfer am unteren Bildrand wurde wahrscheinlich von einem großen Stein erstickt. Die Haltung des linken Körpers deutet auf Fesselung mit Todesfolgen durch "positionelle Asphyxie" hin.
Foto: Ludes et al., Sci. Adv.

Die im Fachjournal "Science Advances" präsentierte Studie basiert auf einer Neubewertung eines neolithischen Grabes, das vor mehr als 20 Jahren in Saint-Paul-Trois-Châteaux in der Nähe von Avignon in Südfrankreich entdeckt wurde. Das Grab enthielt die Überreste von drei Frauen, die dort vor rund 5.500 Jahren beigesetzt worden waren.

Ein Team um Eric Crubézy, Anthropologe an der Paul-Sabatier-Universität in Toulouse, untersuchte die Haltung von zwei der Skelette noch einmal eingehend und kam zu dem Schluss, dass die Menschen wahrscheinlich ermordet worden waren: Während die eine Frau nach Incaprettamento-Art gefesselt war, hatte man der anderen auf Brust und Bauch einen großen Felsen gelegt, der ihr das Atmen zweifellos unmöglich gemacht hat.

Landwirtschaftliche Symbolik

Die dritte Frau in dem Grab scheint älter gewesen zu sein und starb wahrscheinlich eines natürlichen Todes, so die Forscher. Sie wurde auf herkömmliche Weise auf der Seite liegend in der Mitte des Grabes beigesetzt. Dies deutet darauf hin, dass sie nach ihrem natürlichen Tod zeremoniell bestattet wurde und dass die beiden jüngeren Frauen geopfert wurden, um mit ihr begraben zu werden.

Eine grafische Rekonstruktion der Fundsituation. Einige Indizien sprechen dafür, dass die beiden Frauen links und unten noch gelebt haben, als man das Grab zugeschüttet hat.
Illustr.: Ludes et al., Sci. Adv.

Dass hier ein ritueller Aspekt eine Rolle spielte, darauf weisen auch einige entscheidende Faktoren hin, meinte Crubézy. Diese zeigten sich vor allem in einer stark landwirtschaftlichen Symbolik: Über dem Grab war eine Holzstruktur errichtet worden, die nach der Winter- beziehungsweise Sommersonnenwende hin orientiert war. Weiters fanden sich dort mehrere zerbrochene Steine, die man zum Mahlen von Getreide benutzt hatte. Überhaupt hatte das Grab die typische Form eines damals gebräuchlichen Getreidespeichers. "Man hat die Ausrichtung, das Silo und die zerbrochenen Steine – alles scheint auf einen landwirtschaftlichen Zusammenhang hinzuweisen", sagte Crubézy.

Beispiele aus ganz Europa

Nach der Untersuchung der Toten von Saint-Paul-Trois-Châteaux machte sich Crubézy gemeinsam mit dem forensischen Pathologen Bertrand Ludes von der Universität Paris Cité auf die Suche nach ähnlichen Beisetzungen in anderen Teilen Europas. Die Forscher wollten feststellen, ob es sich hier um Einzelfälle handeln könnte oder um eine damals verbreitete Tötungsart.

Tatsächlich fand das Team Beweise für insgesamt 20 derartige Menschenopferungen an 14 jungsteinzeitlichen Stätten von Tschechien bis Nordspanien aus einem Zeitraum zwischen 5.400 und 3.500 v. Chr. Sogar in Untersuchungsberichten zu mesolithischer Felskunst, die vor über 13.000 entstanden ist, entdeckten die Forschenden Hinweise auf dieses spezielle Tötungsritual.

Ritzzeichnungen in der Addaura-Höhle auf Sizilien
Bereits auf über 13.000 Jahre alten Bildern in der Addaura-Höhle auf Sizilien tauchen Menschen auf, die auf Incaprettamento-Art gefesselt waren (oberes Drittel in der Mitte).
Foto: Budano/Open Archaeology

Eine noch ältere Praxis?

Möglicherweise hatte das neolithische Incaprettamento seinen Ursprung als Opferbrauch im Mesolithikum, also noch vor der Verbreitung der Landwirtschaft, so Crubézy. Später in der Jungsteinzeit könnte die Praxis dann für Menschenopfer im Zusammenhang mit der Landwirtschaft angewendet worden sein. Die zeitliche Streuung der Funde deutet jedenfalls darauf hin, dass diese rituellen Tötungen durch sogenannte positionelle Asphyxie im Neolithikum mindestens 2.000 Jahre lang praktiziert wurden, sagte der Anthropologe.

Aber warum gerade Incaprettamento als Tötungsmethode für die Menschenopfer? Darauf haben die Forschenden zwar auch keine Antwort, aber immerhin eine Vermutung: Vielleicht wählten die Menschen diese Praxis, weil sich damit niemand die Hände schmutzig machen musste. Wer auf diese spezielle Weise gefesselt zu Tode kam, hat sich quasi selbst erwürgt. (Thomas Bergmayr, 12.4.2024)