"Er beschloss, sich auf siebzig Kilo zu beschränken oder sich zu erschießen." – Edward John Trelawny

Im Mai 1823 verriet Lord Byron der Schriftstellerin Lady Blessington: "In dieser Welt fürchte ich zwei Dinge am meisten, für die prädisponiert zu sein ich einigen Anlass zu glauben habe – dass ich fett und dass ich verrückt werde; und müsste ich mich zwischen einem von beiden entscheiden, würde mir die Wahl äußerst schwerfallen."

Byrons rechter Fuß behinderte kaum seine sportlichen Aktivitäten, und noch weniger seine Karriere. Ließ sich aus dem Hinken noch einiges an tragischem Pathos schinden, wäre ein dicklicher Byron unmöglich gewesen, und die Kongruenz von Dichter und Byron’schem Helden, auf der seine Bewunderer und Verächter bestanden, hätte alles, bloß nicht einen adipösen Childe Harold oder Korsaren zugelassen.

Der Bocksfuß stand dem verführerischen Teufel gut, nicht aber, wenn zu viel Gewicht darauf lastete. Hierin waren die gesellschaftlichen Wertungen eindeutig. Früh musste Byron erkennen, dass die äußere Erscheinung und die gesellschaftlichen Bilder, die sich daran knüpfen, unduldsame Tyrannen sind. Wer wie ein Tiroler Skilehrer aussieht, mag erotische Erfolge bei deutschen Touristinnen erzielen, aber um als Robert-Walser-Fachmann oder Lacan-Schüler durchzugehen, müsste er umso mehr Überzeugungsenergie aufwenden als der anämische Brillenträger mit dem tranigen Scheitel.

Abspeckprogramme

Nicht anders zu Zeiten Byrons, dessen Mythos ohne seine ephebische Erscheinung nie in Blüte gestanden wäre. Über einen Dichter mit dem Karstgesicht eines westirischen Fischers oder ein Dickerchen wie den Prinzregenten, so abgründig und formvollendet ihre poetischen Visionen auch immer sein mochten, hätten die Damen hinter ihren Fächern wohl niemals getuschelt, er sei "mad, bad and dangerous to know" (Lady Caroline Lamb über Byron).

Gertenschlank, aber nicht immer, und der Inbegriff des romantisch-revolutionären Künstlers. Lord Byron auf einer Illustration aus dem Jahr 1904.
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Seine Schulfreunde in Harrow scheinen weniger oberflächlich gewesen zu sein: Obwohl ziemlich pummelig, pflegte er zärtliche Freundschaften mit Gleichaltrigen. In Cambridge erst begann das Abspeckprogramm. 1806 hatte der einen Meter einundsiebzig große Jüngling noch 88 Kilo gewogen, 1811 machte er sich daran, mit nur 57 Kilo Körpergewicht durch die Londoner Salons zu schweben.

Zeitlebens kasteite sich Byron durch frugale, meist fleischlose Kost und focht Titanenkämpfe mit seinem genetischen Stoffwechsel. Kaltes, zerkochtes Gemüse oder Kartoffel mit Essig übergossen verzehrte er mit Gleichmut, während neben ihm kalorienreichere Köstlichkeiten verschlungen wurden. Einer berühmten Anekdote zufolge soll er gleich bei seiner ersten Einführung in die literarische Welt durch seine exzentrischen Essgewohnheiten aufgefallen sein.

Der Poet Samuel Rogers hatte für ein Dinner groß auftischen lassen und erlesene Weine erstanden. Kühl gab Byron seinem Gastgeber zu verstehen, dass er nur trockene Biscuits und Sodawasser zu sich nehmen werde. Diese Wünsche brachten Rogers in einige Verlegenheit. Als Byron den Abend dann in St. James fortsetzte, ließ er sich ein großes Steak schmecken. Eine von unzähligen Geschichten, die Byrons Wankelmütigkeit illustrieren.

Erschwerte ihm sein hedonistisches Sozialleben den asketischen Stoffwechsel, so half er mit Abführmittel nach: Pillen aus Koloquinte, Gummigutta und Skammonium (Purgierwinde), dazu schluckte er zu viel Magnesium, als Elektrolyte trank er Wasser mit Epsom-Salz, unter genannten Ingredienzien die einzige seiner Gesundheit förderliche – die anderen Inhaltsstoffe gelten nach heutigen Standards als gesundheitsschädlich und werden nur in der Homöopathie eingesetzt.

Sündhaftes Leben

Viele werteten diese Diäten als untrügliche Indizien seiner übersteigerten Eitelkeit – einmal mehr das grausame Doublebind, ein Idol für die Arbeit an seiner Attraktivität zu verspotten, ohne die man es nicht bewundern würde. Der exzessive Sport, die Hungerkuren und die Laxative waren aber weder bloß Kompensation seiner Behinderung noch nur Ausdruck eines Schlankheitswahns, sondern notwendige Maßnahmen, sein schwaches, verkürztes Bein nicht zu überlasten.

In Venedig, befreit vom Voyeurismus der britischen Society, ließ er die Zügel wieder schießen und durchlebte die ausschweifendste Phase seines Lebens, die ihm erneut Übergewicht bescherte. Mit Genugtuung verbreiteten englische Italienreisende in ihrer Heimat die Kunde vom fetten Dichter, und schadenfroh empfand man dies Imago als Ausdruck wie Strafe für sein sündhaftes Leben.

Byron selbst flüchtete sich wie gewohnt in Selbstironie: "Meine persönlichen Reize haben keineswegs zugenommen, meine Haare sind zur Hälfte grau, und die Krähenfüße waren recht verschwenderisch mit ihren untilgbaren Schritten. Mein Haar, wenn auch noch nicht verschwunden, scheint es doch bald zu sein, und meine Zähne bleiben nur aus Höflichkeit."

Jahre der Kasteiung präsentierten der Welt um 1822 dann wieder einen abgemagerten Poeten, aber glauben wir der Zeichnung, die der junge Dandy Alfred d’Orsay von ihm gemacht hat, war das nicht mehr die Schlankheit des Epheben, sondern die Ausgemergeltheit eines gezeichneten Mannes, verstärkt durch einen leicht gebückten Gang, hohen Haaransatz und missmutigen Gesichtsausdruck.

Opfer des Schlankheitswahns

Das klassizistische Ideal des Schönen, Guten, Wahren hatte durch die Romantik einen Drall hin zum asthenischen leidgeplagten Körper erhalten. Der kraftstrotzende Apoll war abgemagert, schwindsüchtig und somnambul geworden, musste aber ungebrochen hübsch und erlösungsbedürftig bleiben. Mit dem Starkult des traurigen Vampirs war die Magersucht in die Welt gekommen, deren Opfer natürlich hauptsächlich, wenngleich nicht nur, Mädchen und Frauen waren. So wie Byron selbst ein zentraler Auslöser des Schlankheitswahns war, verkörperte er auch dessen frühes Opfer.

Als aus Veranlagung korpulenter Mensch hatte er das Pech, in der Zeit des bislang größten Lookismus mit seiner Idealisierung statuenhafter antiker Normschönheit posieren zu müssen, und am Vorabend eines wissenschaftlichen Positivismus, der mit dem Anspruch rationaler Kriterien die Religion darin ablöste, die Menschen in Wohl- und Fehlverhalten, in nützlich und schädlich, in gesund und siech zu sortieren. Beleibtheit, zuvor und in ländlichem Umfeld lange noch Insignie von Wohlstand und Gesundheit, war zum Schandmal von Dekadenz, Ausschweifung, Maßlosigkeit, Gier, Effeminierung und schmieriger Geilheit geworden. Führende Tory-Karikaturisten der Zeit wie James Gillray zeichneten politische Feinde immer um eine Spur fetter als sie waren.

Fatales Image: Ein dicklicher Lord Byron (1788–1824) war undenkbar, zu groß wäre die Diskrepanz zu seinen Helden gewesen.
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Eignete in Zeiten von Hungersnöten und unzureichender Nahrung der Symbolik von Korpulenz als asozialem Schwelgen in Überfluss zumindest ein relativer Wahrheitsgehalt, so wurde sie in unserer Zeit, da Adipositas überwiegend in unteren Gesellschaftsschichten anzutreffen ist, ad absurdum geführt und stellt erstmals die psychosozialen und genetischen Ursachen von Übergewicht zur Disposition.

Im 19. Jahrhundert hob jene ungebrochene Mischung aus pseudowissenschaftlicher Dummheit und protofaschistoider Bösartigkeit an, die das durch Veranlagung beleibtere Kind, das nicht mehr und nichts anderes isst als seine Altersgenossen, zu lebenslangen Minderwertigkeitsgefühlen verdammt, ihm Fresssucht, Unbeweglichkeit, Gier vorwirft, es zur Witzfigur abstempelt und als zukünftiges Objekt erotischen Begehrens annihiliert.

Eigene Modelle

Körperfülle, einst in größerem Ausmaß als heute Quell sinnlicher Freude, mutierte am Markt der Begierde zur ekelerregenden Wucherung krankhaft gestörter Drüsenfunktionen, der dicke Mensch zur schmierigen Packung Schweineschmalz, die libidinös bestenfalls als Fetisch für Perverse taugt.

Die Wissenschaften in ihrem Triumph, alles Individuelle, Inkommensurable, der Empirie Entnommene allgemeinen Gesetzen, Regeln und Formeln zu unterwerfen und jegliches vom postulierten System Abweichende zuerst als Systemfehler zu markieren und dann auszumerzen, schufen ihre je eigenen Modelle, die Abweichung von der als gesund behaupteten Normschönheit zu sanktionieren. Gesundheit und Schönheit, seit Winckelmann und Lavater in unzertrennlicher Union, geraten zum begehrten und nie erreichten Fetisch der Vermassung und Gleichschaltung des modernen Subjekts.

In der kapitalistischen Normethik verstößt der Übergewichtige gegen das Leistungsdiktat, in dessen protestantischer Ausformung trägt er zusätzlich das Signum sündhaften Hedonismus, im Faschismus ist er das sexuell-ambivalente und verweichlichte Symbol kosmopolitischer Dekadenz (als Gegenmodell zum gestählten soldatischen Übermenschen); auch der sich ähnlicher Körperbilder und eines wissenschaftlichen Vulgärpositivismus bedienende autoritäre Sozialismus greift das Bild vom Übergewicht als Eigenschaft der Schmarotzerklasse auf; und der Neoliberalismus als die raffinierte Vollendung gesellschaftlicher Normopathie hat all diese Imperative in die Individuen selbst eingepflanzt und verkauft sie ihnen als die Illusion ihrer freien Wahl.

Zugerichteter Mensch

Körperliche Abweichung von der Pflicht zu Wellness und dynamischer Selbstoptimierung erscheint als bedauerliches Fehlverhalten und Selbstschädigung, an deren Überwindung ein unüberschaubar riesiger Markt an Reparaturmethoden schmarotzt. So wurde der zugerichtete Mensch in einem bemerkenswert sadistischen Leerlauf von einem Jo-Jo-Effekt zum anderen, in Teufelskreise aus Anorexie, Bulimie, Hometrainer und Frustfressen gepeitscht.

Byrons Diätetik übte mächtigen Einfluss aus. Für das von ihm eher unabsichtlich initiierte Ideal blass-kränklicher Schönheit bot sich natürlich die in Thomas Moores Byron-Biografie und anderen Zeugnissen nachzulesende "Byron-Diät" an. Generationen von Romantikern hungerten sich mit Reis und Essig zur gewünscht gespensterhaften Gestalt hin. Insbesondere Frauen eiferten dem androgynen Vorbild nach. "Unsere jungen Damen", schrieb der amerikanische Arzt George Miller Beard um 1870, "leben ihr gesamtes heranwachsendes Mädchenalter in einem Zustand halber Verhungertheit." Dies geschehe aus Angst, behauptete er, "die Abscheu der Jünger Lord Byrons auf sich zu ziehen".

In der Tat bestätigen die meisten heute verfügbaren Studien, dass leichtes Übergewicht (und die Kriterien dafür, was Normal- und was Übergewicht sei, variieren und sind höchst zweifelhaft) mit einer im Vergleich zu "Normalgewichtigen" längeren Lebenserwartung korreliert, eine folgenschwere Erkenntnis, die erwartungsgemäß noch immer von den Bollwerken der Vorurteile abprallt.

Wenn leichte Korpulenz die genetische Veranlagung Byrons war, so wäre das, nach einem medizinischen Verständnis, das sich gerade erst durchsetzt und dem die Zukunft gehören wird, seine gesunde Façon gewesen, und er hätte lediglich verhindern müssen, dass sie sich wie bei seiner Mutter in Adipositas auswächst. Seine Hungerkuren hingegen, der dürre Körper seiner letzten italienischen Periode, könnten durchaus mit seiner zunehmenden Hinfälligkeit, einem supprimierten Immunsystem und seinem frühen Tod zusammenhängen.

Pionier des Fastens

"Ach, was wäre Byron für ein Dichter geworden", resümierte der Schriftsteller William Makepeace Thackeray eine Generation später, "wenn er bloß anständige Mahlzeiten eingenommen und sich erlaubt hätte, fett zu werden – so ihn die Natur dazu bestimmt hatte –, und seinen Verstand nicht mit elenden Opiumpillen und beißendem Essig gepeinigt hätte, die ihm die Prinzipien sedierten und die Gefühle sauer werden ließen! Hätte dieser Mann auf sein Essen geachtet, hätte er niemals den Don Juan geschrieben."

Ganz gleich, ob man in Byron nun einen Pionier der diätischen Selbstzerstörung oder des intermittierenden Fastens sieht, er wusste natürlich alles von der Grausamkeit, mit der Gesellschaft auch unverschuldete Abweichungen als Folge moralischen Fehlverhaltens ahndet. Und er wusste, dass viele seiner Zeitgenossen nicht hätten verstehen können, warum er bei derselben Quantität von Nahrungszufuhr zunahm und sie nicht, oder schneller zunahm als sie.

Es wäre wohl schwacher Trost für ihn gewesen, dass die Menschen es 100 und auch 200 Jahre später noch weniger verstehen könnten. Diese und andere Unwägbarkeiten inspirierten ihn zu erstaunlich zukunftsweisenden und lebensweisen Reflexionen zu Medizin und Ernährung.

In seinen Gesprächen mit Lady Blessington legte er seine Ansichten dar, und betont werden muss, dass seine Häme gegen Doktoren nichts mit der Wissenschaftsfeindlichkeit aktueller Querdenker zu schaffen hat, denn zu Byrons Zeiten verhielt es sich umgekehrt, die Medizin verharrte noch, ehe sie sich nach seinem Tod in erstaunlichen Fortschritten überschlug, im Stadium der Pseudowissenschaft, in durch oft hochstaplerische Fachautorität behauptetem Glaubenswissen. Lord Byron schien jedenfalls aus eigener kritischer Erfahrung mehr über Psychosomatik und personalisierte Medizin gewusst zu haben als irgendjemand zu seiner Zeit, und die bahnbrechenden Entwicklungen der letzten Jahrzehnte bei der Gensequenzierung individueller Krankheitsprofile, Entwicklungen, die den Menschen nicht länger über das Prokrustesbett einer verallgemeinerten Theorie schlagen, scheinen ihm recht zu geben.

"Mediziner beachten zu wenig", sprach Byron zu Lady Blessington, "die persönlichen Idiosynkrasien (...), wovon so vieles abhängt, und treiben den einen Patienten mit einer Behandlung ins Grab, die sich bei einem anderen erfolgreich erwiesen hat. Sobald sie eine Krankheit als eine ihnen bekannte diagnostizieren, folgern sie, dass dasselbe Mittel, das bei der ersten geholfen hat, auch dem weiteren Patienten helfen muss, ohne die Besonderheiten von dessen Temperament, seiner Gewohnheiten und Veranlagung zu berücksichtigen; Letzteres aber hat einen großen Einfluss auf Krankheiten. Was ich an Ärzten bisher getroffen habe, hat mir permanente Angst vor ihnen eingepflanzt."

Heutige Erkenntnisse

Dann kam er auf die Ernährung zu sprechen. Aus heutiger Sicht dürften seine Diäten nur kontraproduktiv gewesen sein, weil sie von Phasen der Völlerei abgelöst wurden und dadurch seine Korpulenz forcierten. Doch das waren wenige Phasen; viele seiner Freunde und Bekannten erstaunte doch die Disziplin seiner Konsequenz. Und seine Gedanken über Kalorienreduktion decken sich mit heutigen Erkenntnissen zu maßvollem Fasten, Verdauungsstress und Autophagie.

"Ich wage die Behauptung, fuhr Byron fort, dass mehr als die Hälfte unserer Krankheiten auf die Gewohnheit zurückzuführen ist, uns mehr Nahrung zuzuführen, als zur Erhaltung unserer natürlichen Funktionen nötig ist. Füllen wir zu viel Öl in die Lampe, erstickt die Flamme; aber gießen wir nur so viel nach, dass die Flamme gespeist wird, so wird sie hell und stetig brennen. Wir haben, weiß Gott, ausreichend Reserven in unserer Konstitution, ohne sie durch Überfütterung noch mehr dem wilden Tier angleichen zu müssen.

Ich denke, einer der Gründe, warum Frauen den Männern im Allgemeinen voraus sind, wovon ich fest überzeugt bin, was Gegenteiliges ich auch immer behauptet haben mag, liegt darin, dass sie nicht in dem Ausmaß wie die Männer der gourmandise erliegen; und folglich nicht unter den vielfältigen Qualen leiden, welche Verdauungsstörungen hervorrufen, die eine schreckliche Wirkung auf die Stimmung haben; beides habe ich erlebt und erlitten." (Richard Schuberth, 14.4.2024)