Meine Schwester und ich haben als Kinder wirklich viel gestritten. Wie das eben so ist bei zwei Geschwistern im Alter von zwölf und dreizehn Jahren. Aber wenn es eines gab, das uns nach jedem Ärger wieder zusammengeschweißt hat, war es diese eine Stunde, Montag bis Freitag, abends vor dem Fernseher. Da sind wir zusammen in Gedanken nach Stars Hollow geflogen, um die lebendigen, verzwickten und durchaus lustigen Ausschnitte aus dem Leben von Lorelai und Rory Gilmore aufzusaugen.

Zeit für Kuscheldecke und Tasse Tee:
Zeit für Kuscheldecke und Tasse Tee: "Gilmore Girls" Lauren Graham und Alexis Bledel anno 2001.
Imago / Cinema Publishers Collection / Lance Staedler

Wohlfühlserie

Gilmore Girls ist die Wohlfühlserie, die zahlreiche Millennials vom Sofa aus, eingewickelt in eine Kuscheldecke und mit einer Tasse Tee, kennen. Sie lädt auch fast ein Vierteljahrhundert nach Erstausstrahlung wie fast keine andere Serie zum "comfort binge" ein – dem wiederholten Sehen einer Serie, die man längst kennt und die einen gut fühlen lässt. Die von 2000 bis 2007 gelaufene TV-Serie erlebt heute ein starkes Comeback.

Auf Netflix hatte Gilmore Girls im vergangenen Jahr von Jänner bis Juni weitaus höhere Zuseherzahlen als Klassiker wie Seinfeld oder der Gen-Z-Hit Stranger Things. Aber warum ist Gilmore Girls noch so ein Schlager? Für mich kann es heute Jahre später nicht genug Action und Spannung in Filmen und Serien geben.

Frecher Humor

Bei Gilmore Girls wird einem hingegen ein fast schon viel zu kitschiges, klischeehaftes amerikanisches Leben in einem kleinen Dorf präsentiert, Actionfaktor gleich null. Was die ganze Geschichte aber doch so fesselnd und nahbar macht, ist das unperfekte Leben der jungen Mutter und ihrer Teenagertochter und den zahlreichen Eigenheiten ihrer Freunde und Partner in der glänzenden Kleinstadt.

Unbestritten ist außerdem, wie witzig und authentisch der Sarkasmus und freche Humor von Lorelai und auch Rory ist und wie gerne man im echten Leben mal mit den beiden einen Kaffee trinken würde (zumal die beiden wohlgemerkt sehr süchtig nach dem Heißgetränk sind). Trotzdem lässt mich der Gedanke beim Wiederansehen nicht los, wie wenig Anerkennung Lorelai für ihre Standhaftigkeit bekommt: Sie flüchtete mit 16 aus ihrem einengenden reichen Elternhaus, schaffte es von der Hausangestellten zur Geschäftsführerin eines Hotels, erzieht nun ihre Tochter alleine und versucht alles, um Rory die Aufnahme an die Eliteuni in Harvard zu ermöglichen.

Stereotype

Stattdessen wird sie für ihre wechselnden Partnerschaften kritisiert, vor allem die spießige Mutter Emily macht ihr immer wieder Vorwürfe. Deren Leben mit Lorelais Vater Richard hingegen wirkt heute nahezu wie eine Reichensatire. Welche Wohlhabenden dinieren zu Hause mit Anzug und Fliege auf feinstem Porzellan, von einer Hausdame im Rüschenkostüm angerichtet? So spaßbefreit, wie es dort jedes Mal zugeht, wundert wohl kaum jemanden, dass Lorelai dieses Leben ablehnt.

Hingegen gar nicht spaßbefreit ist Rorys beste Freundin in der Serie: Lane Kim. Ihre Darstellung ärgert heute allerdings. Der koreanische Teenager lebt mit einer unheimlich strengen und gläubigen Mutter zusammen. Lane darf keinen Kontakt zu männlichen Gleichaltrigen pflegen und ihrem Lieblingshobby, der Rockmusik, nicht nachgehen. Während ihre Mutter ihr also jeglichen Spaß verbietet, erlebt sie viel Leichtigkeit mit Lorelai und Rory. Auch wenn Lanes Lebensrealität in der Serie Abwechslung bieten soll: Es reproduziert ein stereotypisches Bild einer strengen koreanischen Familie, neben einer "lockeren" amerikanischen – weder zeitgemäß noch notwendig.

"Y2K"-Mode

Problematisch sind aber aus heutiger Perspektive auch einige Burschen, mit denen Rory in Beziehung tritt. Während ihr Schulkollege sie absichtlich in unangenehme Situationen bringt und ihr so seine Zuneigung zeigen will, ist ihr Freund Dean immer wieder vorwurfsvoll, ja fast schon besitzergreifend.

Was aber wiederum sehr gut in die heutige Zeit passt, ist Lorelais Style: Ihre bunten T-Shirts mit Aufdruck und die Low-Cut-Jeans finden sich heute überteuert als "Y2k"-Mode in jeglichen Vintageshops. (Melanie Raidl, 13.4.2024)