Als sich am 22. Juni 1950 Modeexperten und Kaufleute im schicken Hotel Astor am New Yorker Times Square zum Mittagessen trafen, war die Modewelt noch eine völlig andere. Marken brachten vier Kollektionen jährlich heraus. Zu wenig, befand Earl Puckett damals, Präsident der US-amerikanischen Kaufhauskette Allied Stores.

"Eine blühende Bekleidungsindustrie ist auf der Grundlage einfachen Nutzwerts nicht möglich", sagte er vor den rund 400 versammelten Menschen an den Tischen im Hotel Astor. Stattdessen, schlug er vor, müsste man den Verschleiß beschleunigen, damit Menschen immer wieder in die Geschäfte kommen, um neue Ware zu kaufen. "Unsere Aufgabe besteht darin, den Frauen die Freude an dem, was sie haben, zu nehmen", sagte Puckett. Man müsse sie so unzufrieden machen, dass ihre Ehemänner – wir reden hier immerhin von 1950 – weder Ruhe noch Frieden fänden.

Alttextilien auf einem Markt in Thailand
Viele Kleidungsstücke sind heute schon nach einigen Wäschen stark abgenutzt.
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Ein neues Outfit alle sechs Sekunden

Mehr als 70 Jahre später dreht sich die Modewelt so schnell wie noch nie. Fast-Fashion-Ketten wie H&M und Zara machten aus den vier Kollektionen pro Jahr zwölf und 24. Dann kam Shein. Der chinesische Onlinehändler listet täglich bis zu 9.000 neue Kleidungsstücke auf seiner Website – eines alle sechs Sekunden. Ultrafast Fashion ist geboren, noch schneller geht es kaum. Die Vision des Kaufhausbetreibers Earl Puckett ist wahr geworden. Mit Konsequenzen für die Umwelt.

Zwischen acht und zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen gehen inzwischen auf die Bekleidungsindustrie zurück, die jährlich zwischen 80 und 150 Milliarden Kleidungsstücke produziert. Der Großteil davon landet innerhalb weniger Jahre in der Müllverbrennungsanlage oder auf Deponien. Dazu belastet der pestizidintensive Baumwollanbau die Umwelt, die Chemikalien für Gerben, Färben und Imprägnieren ebenso. Die Schätzungen schwanken stark – und sind mit Vorsicht zu genießen. Denn niemand weiß, wie hoch die Natur- und Klimaschäden der Textilindustrie genau sind.

Ziemlich sicher sagen lässt sich hingegen, dass die Menschheit mehr Kleidung kauft und besitzt – und sie schneller denn je entsorgt. Wurde ein neues Kleidungsstück im globalen Durchschnitt im Jahr 2002 noch rund 200-mal getragen, waren es im Jahr 2016 nur noch 130 Benutzungen. Wobei der Wert in Industrieländern und bei bestimmten Kategorien noch niedriger ausfällt – so ging Greenpeace 2015 etwa davon aus, dass ein Party-Top in Deutschland im Schnitt nur 1,7-mal getragen wird. Was nicht mehr gefällt, wird eben aussortiert.

Doch dass so viel Kleidung im Müll landet, liegt nicht nur am Hunger der Konsumierenden nach neuen Styles. Vieles deutet darauf hin, dass auch die Qualität von Kleidung abnimmt.

Mehr, dafür minderwertiger

Nico Brischke muss es wissen. Seit 27 Jahren arbeitet er in der Altkleiderbranche, er leitet die Österreich-Niederlassung von Texaid, einer der größten privaten Textilsammler Europas. Und er merkt: Die Ware, die da über seine Förderbänder läuft, wird immer mehr – aber gleichzeitig immer schlechter.

Brischke erklärt das Geschäft mit der Altkleidung so: "Das Modell funktioniert nur noch deshalb, weil die Verwerter mit fünf bis sieben Prozent der Mengen tatsächlich Gewinn produzieren. Mit 60 Prozent kommst du auf null und mit dem Rest Verlust". Mit den kleinen Mengen brauchbarer Kleidung wird das gesamte System finanziert. Sollten die wiederverwendbaren Mengen weiter zurückgehen, müsste man sich Gedanken über das gesamte Refinanzierungsmodell machen, sagt Brischke.

Denn Textilien zu recyclen gilt als schwierig und lohnt sich noch kaum – weshalb nur aus weniger als einem Prozent der weltweit entsorgten Kleidung wieder Neuware wird. Geld verdienen lässt sich vor allem mit alter Kleidung, die wiederverwendet und -verkauft werden kann. "Aber die Produkte der Ultrafast-Fashion-Hersteller sind nach drei, vier Monaten kaum noch tragbar", sagt Brischke. Doch es ist nicht nur die Billigstkleidung, die immer kurzlebiger wird. Nach zwei Jahren, sagt Brischke, sei bei fast jedem Kleidungsstück das Ende erreicht.

Fäden, Farbe, Reißverschlüsse: Es gibt viele Stellen, an denen man bei einem Kleidungsstück sparen kann.
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Teuer ist nicht automatisch gut

Bei einem Versuch, den das französische Forschungsinstitut Gemtex 2021 durchführte, waren von 29 getesteten T-Shirts verschiedener Marken mehr als die Hälfte nach 15 Wäschen nicht mehr tragbar, nur fünf überlebten mehr als 50 Waschgänge. Eine andere Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Preis kein sonderlich guter Indikator dafür ist, wie lange ein Kleidungsstück hält – und auch teure Outfits schnell verschleißen können. Doch wie findet man das richtige Stück, wenn man gezielt Langlebiges kaufen möchte?

Die Textilingenieurin Gesine Köppe sitzt für das Videointerview mit dem STANDARD in einem grauen Pullover vor der Webcam. Der Pulli aus Alpakawolle gehörte einst ihrem Vater, erzählt sie. Nach einer zu heißen Wäsche trägt nun sie ihn bereits seit Jahren – und, weil er kaum Abnutzungsspuren zeigt, wohl noch einige Jahre länger. "Solche Kleidungstücke, die richtig lange halten, gibt es auch heute noch", sagt Köppe. Nur mischen nun eben auch die Fast-Fashion-Hersteller im Markt mit.

Das drückt den Preis. Während die Verbraucherpreise in der EU seit 1996 um 80 Prozent gestiegen sind, wurde Kleidung im gleichen Zeitraum nur um zwölf Prozent teurer. Um den Preis halten zu können, schrauben Hersteller deshalb an den Qualitätsschrauben. Von denen gibt es so einige.

Es beginnt mit der Baumwolle, die aus verschieden langen Fasern besteht. "Die kurzen Fasern sind in der Regel schlechter und die langen besser – aber eben auch teurer", erklärt Köppe. Spinnt man aus Kostengründen auch die kurzen Fasern zu Garn, entsteht später minderwertiger Stoff, der eher reißt und zum Pilling (siehe Infobox am Ende des Artikels) neigt. Auch Fadendicke und -dichte bestimmen den Herstellungspreis – und die Qualität.

Mit der heißen Nadel genäht

Dazu kommt, dass oft mit der sprichwörtlichen heißen Nadel genäht wird. "Wenn ein T-Shirt zu schnell durch den Produktionsprozess gejagt wird, können sich die Fasern nicht an die neue Form gewöhnen", sagt Köppe. Dann verliert das Kleidungsstück insbesondere beim späteren Waschen und Trocknen schnell seine Form. Textilfachbücher empfehlen deshalb, Stoff nach dem Abrollen zuerst bis zu 48 Stunden entspannen zu lassen, bevor er weiterverarbeitet wird. Aber das dauert eben.

Pilling auf einem Sweatshirt. Kleine Fuseln können Kleidung schnell alt aussehen lassen.
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Doch auch Konsumentinnen und Konsumenten erwarten sich heute vielleicht auch zu viel von Kleidung, meint die Textilingenieurin. Wenn eine Hose früher jahrelang getragen wurde, inkludierte das auch regelmäßige Pflege und Reparaturen. Heute ist eine Jeans mit Loch eben einfach kaputt.

Gegen die Berge an Kleidungsmüll will nun auch die EU etwas unternehmen. Rat und Parlament haben sich Ende vergangenen Jahres auf die Ökodesign-Verordnung für Textilien geeinigt. Sie soll Kleidung in Zukunft recyclingfähiger, reparierbarer, aber auch langlebiger machen. Doch wie will man die Lebensdauer eines Kleidungsstücks messen?

Eine illegale Kleidungsmüll-Deponie in der Atacama-Wüste in Chile.
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Tests gegen Spucke und Salzwasser

Grundsätzlich existieren bereits Standards. Es gibt Normen für die Beständigkeit von Farbe und Form, Tests für den Widerstand gegenüber Salzwasser für Badehosen und Speichel für Kinderkleidung. Geräte, welche die Qualität von Reiß- und Klettverschlüssen testen. Es wäre also grundsätzlich möglich, jede Hose, jedes Kleid zu testen, bevor es in Serie geht. Nur wäre die Modeindustrie wohl eine ganz andere, langsamere als die von heute. Täglich 9.000 Produkte auf den Markt zu werfen wäre dann wohl nicht mehr drin.

"Das klingt sehr charmant, aber die Tücke liegt im Detail", sagt Markus Meissner, Kreislaufwirtschaftsexperte beim Österreichischen Ökologie-Institut. Denn wer kontrolliert, ob diese Standards auch tatsächlich eingehalten werden? Müssen 95 Prozent oder 99 Prozent der Produkte die Norm erfüllen? Langwierigen Umweltrechtsprozessen wäre Tür und Tor geöffnet.

Er hält es für wahrscheinlicher, dass die EU die Pflicht zu einer Langlebigkeit im Rahmen einer sogenannten Erweiterten Produzentenverantwortung (EPR) umsetzt. Hersteller wären dann für die Entsorgung ihrer Produkte verantwortlich. Diese hätten dann einen Anreiz, langlebigere Produkte zu produzieren – zumindest wenn die Regel richtig ausgestaltet wird. "Weil es könnte auch einfach heißen, dass letztlich nichts wiederverwendet und alles zu Putzlappen verarbeitet oder verbrannt wird", sagt Meissner.

In Frankreich müssen Hersteller zahlen

Oder man macht es wie in Frankreich, das bisher einzige Land weltweit, wo es eine EPR für Textilien gibt. Dort müssen Textilhersteller Gebühren, etwa drei Cent für ein T-Shirt, an die Organisation Refashion zahlen, die wiederum die getrennte Sammlung, die Aufbereitung und das Recycling von Altkleidung organisiert. Auch einen Fonds für einen Reparaturbonus und Forschung finanzieren die Bekleidungshersteller so mit. Wer Kleidung produziert, die am Ende nicht nur Müll ist, zahlt weniger.

Langfristig müsse die Branche ihr Geschäftsmodell überdenken. "Ist es noch zeitgemäß, in zehn Jahren ein Ballkleid zu verkaufen? Oder wäre es nicht besser, der Hersteller wäre auch Dienstleister für ein schönes Erscheinungsbild beim Ball?" Auch dann hätten Designer einen Anreiz, das Kleid haltbar zu gestalten. Das wäre dann das genaue Gegenteil von dem, was Kaufhausbetreiber Earl Puckett 1950 propagierte. (Philip Pramer, 21.4.2024)