Bodenlang und mit viel Volumen: Peek & Cloppenburg hat Prinzessinnenkleider im Programm.
Peek&Cloppenburg

Links Cocktailkleider, rechts bodenlange Roben in Türkis, Grün, Koralle. Dazwischen platziert sind Regale mit nahtloser Unterwäsche, Pumps und schimmernden Abendtaschen. Unterwegs an einem frühen Abend im April bei Peek & Cloppenburg auf der Kärntner Straße in Wien. Im dritten Stock des Kaufhauses hängen im Cocktailkleid- und Ballmodeeck zehn glitzernde Luster von der Decke. Feierlich geht es hier aber weniger zu. Während zwei, drei, vier junge Frauen in den Umkleidekabinen verschwinden und in langen Kleidern wieder hervorkommen, warten Omas und Mamas auf den Sitzpolstern. "Das schmeichelt deinem Typ", kommentiert die eine. Mit "das" ist ein bodenlanges dunkelblaues Kleid gemeint. Eine andere nickt herüber: "Stimmt, so von Mama zu Mama."

In den Kaufhäusern treten sich gerade Mütter, Töchter und Omas gegenseitig auf die Zehen. Zumindest an diesem Dienstagabend hat sich kein Vater in die Ballkleid-Abteilung in der Kärntner Straße verirrt. Während die Auswahl der Outfits der Maturanten offenbar recht geräuschlos über die Bühne geht, ist das Maturaballkleid eine große Sache. Die Aufregung um den großen Auftritt beim Schulball ist zwar nicht neu, doch Social Media sei Dank haben sich die Vorbilder verändert. Auf Pinterest und Tiktok wurden in den vergangenen Jahren die Kleider von Cassie Howard, Protagonistin der US-amerikanischen HBO-Serie Euphoria, gefeiert, die Kultur der glamourösen "Prom-Dresses" scheint österreichische Maturantinnen nicht kaltzulassen. Dazu passt, dass der Begriff "Prom-Dress" in Onlineshops mittlerweile verbreitet ist: "Entdecke dein absolutes Traum-Prom-Kleid für den großen Auftritt und avanciere zur Abschlussballkönigin", heißt es bei Zalando.

Prom-Dresses auf Tiktok

Auch Lisa, 18, hat sich neben den Ballkleidern des Vorjahres an ihrer Schule im 17. Bezirk von den Prom-Dresses auf Tiktok inspirieren lassen. Ihre Feier hat sie schon hinter sich. Die Kleider an ihrer Schule hätten jenen aus den USA durchaus ähnlich gesehen, die "Prom-Dresses" aus den USA fielen nur eine Spur pompöser aus – und seien oft weiter ausgeschnitten, sagt sie. Im Jänner hat die Wienerin begonnen, sich mit ihren Outfits zu beschäftigen. Sie brauchte schließlich zwei Kleider – eines in Weiß zum Eintanzen, gewechselt ist sie danach in ein dunkelgrünes Kleid. Das musste, so die Vorschrift der Schule, mindestens knielang sein. Zugeschlagen hat Lisa in einem Geschäft in der Neulerchenfelder Straße, die Mutter hat das Kleid abgenickt. 160 Euro hat sie für die beiden Modelle ausgegeben, inklusive Änderungen.

Liegt sie damit im Schnitt? Bei Peek & Cloppenburg werden für das Outfit durchschnittlich 150 bis 250 Euro ausgegeben, sagt Andrea Kumhera. Sie ist bei der Kaufhauskette als "Cocktail Buyer" für die festlichen Kleider verantwortlich. Welche Stücke in Österreich für den Maturaball gekauft werden? Lange, fast ausschließlich, sagt Kumhera. Die Nachfrage sei gleichzeitig "modischer und mutiger" geworden: Cut-outs, Schlitze, tiefe Rücken sind gefragt. Die Kundinnen seien informierter als früher und kämen mit klaren Vorstellungen, die sie auf Pinterest und Instagram fänden. Dass die Nachfrage gestiegen ist, glaubt Kumhera, sei der neuen Bedeutung der Schulbälle zu verdanken. "Es finden viel mehr statt", sagt sie, erstmals auch zwischen schriftlicher und mündlicher Matura, das sei vom Zeitpunkt her neu für Österreich.

War die Aufregung um das Maturaballkleid eigentlich schon immer so groß, frage ich mich als Zugezogene. Ich konsultiere eine Freundin, die in Wien aufgewachsen ist. Sie schickt mir wenig später ein Foto von ihrem ersten Ball, dem Elmayerkränzchen. Das dunkle Kleid, das ihre Mutter nach ihren Entwürfen geschneidert hat, hat sie später auch beim Maturaball getragen. In den Neunzigerjahren sei das mit den Kleidern eine schwierige und teure Angelegenheit gewesen: "Der Stil war eher tantig."

Abikleider in Deutschland

Ich frage mich, wie das bei mir so war. Abi '98 – ich trug damals eine Hose, aber die anderen? Nachricht an die Abi-Gruppe auf Whatsapp: "Was hattet ihr damals an?" Erstaunlich viele können sich erinnern. Ein Sommerkleid von C&A für 50 Mark, zuvor schon mehrmals im Einsatz. Ein anderes selbst genäht von einer Freundin der Mutter, ein geblümtes Kleid wurde aus Mamas Kasten entwendet. "Ich war noch nicht mal geschminkt", schreibt eine ehemalige Mitschülerin.

Das klingt alles ziemlich unaufgeregt – vielleicht weil es in der westdeutschen Kleinstadt statt eines Balls nur eine Feier gab. Bis heute ist die Ballkultur an deutschen Schulen nicht so verbreitet wie in Österreich. Dafür werden nun die Abiturfeiern höchst professionell aufgezogen. Deren Besuch werde für Familien mittlerweile richtig teuer, meint ein Schulkollege, der heute als Lehrer in Rheinland-Pfalz arbeitet. Da kämen einige Hundert Euro zusammen. Wechseloutfit, Friseurtermin und der Besuch bei der Kosmetikerin gehörten schon dazu, wurde eine Lehrerin in der Whatsapp-Gruppe unlängst von ihren Schülerinnen aufgeklärt. Nur die Jungs, schiebt sie hinterher, seien jetzt in Anzug und Sneakern legerer unterwegs, Krawatten quasi ausgestorben.

Der Tonfall bei deutschen Anbietern spiegelt die heutige Bedeutung der Feierlichkeiten wider. Man empfehle lange Abiballkleider, heißt es beim Hersteller Viviriy, "weil sie zu diesem einmaligen und festlichen Ereignis so gut passen". Nachsatz: Viele Abgängerinnen wählten ein kurzes, eher schlichtes Kleid für die Zeugnisvergabe und ein langes Abiballkleid zum abendlichen Ball.

Es gibt allerdings auch Gegenbewegungen. Die 19-jährige Mirja aus Oberösterreich hat ihr bodenlanges Kleid gebraucht gekauft, bei der App Vinted. Und ja, es gibt Maturantinnen, die dem Auftritt im Kleid eine Absage erteilen. Auch bei Mirja hatten Mitschülerinnen einen Anzug oder einen Jumpsuit an. Es geht immer anders, wenn man Lust drauf hat. (Anne Feldkamp, 27.4.2024)