Gäbe es eine EU-Armee, wäre Robert Brieger so etwas wie ihr Chef. Auch ohne gemeinsame europäische Streitkräfte ist der österreichische General der höchstrangige Militär der EU. Vor zwei Jahren wurde Brieger, damals Generalstabschef im Bundesheer, zum Vorsitzenden des Militärausschusses der Europäischen Union in Brüssel gewählt. Und genau dort steht der Offizier mit der geschliffenen Sprache und der sonoren Stimme jetzt im Zwielicht.

General Robert Brieger bei einer Pressekonferenz in Moldawien im September 2023.
General Robert Brieger bei einer Pressekonferenz in Moldawien im September 2023.
EPA/DUMITRU DORU

Warum? Darüber hatten die Plattform Stoppt die Rechten und DER STANDARD am Samstag berichtet: Brieger hatte ein Facebook-Posting eines mittlerweile pensionierten Polizisten, mit dem er auf dem sozialen Netzwerk befreundet war, wohlwollend kommentiert. Und das Posting hatte es – so wie der gesamte Facebook-Account des Beamten im Ruhestand – in sich.

Russland-Propaganda

Massenhaft rassistische, antisemitische und revisionistische Inhalte postete Polizist M. Dazu auch EU-feindliche und Russland-freundliche Propaganda sowie Holocaust-Leugnung, die wohl strafrechtlich relevant ist.

In vielen Postings bemüht M. eine in rechtsextremen und neonazistischen Kreisen beliebte Verschwörungserzählung: Die Alliierten hätten in den sogenannten Rheinwiesenlagern, wo nach 1945 deutsche Kriegsgefangene festgehalten wurden, Millionen von ihnen absichtlich verhungern lassen. Und: Man habe nach Schließung der Lager ausgegrabene Leichen deutscher Kriegsgefangener als Juden ausgegeben, um die Zahl der Opfer des Holocaust künstlich in die Höhe zu treiben.

Allerdings: Nichts davon ist wahr. Denn von Historikerinnen und Historikern wurden die 23 Rheinwiesenlager tatsächlich seit den 1970er-Jahren ausgiebig erforscht. Dem Polizisten hatte es der Verschwörungsmythos offenbar trotzdem ganz besonders angetan – seit Jahren postete er immer wieder geschichtsrevisionistische Inhalte zu diesen Lagern. So auch im November 2023: Da teilte er ein Posting mit dem Titel: "Die Rheinwiesenlager. Ein verschwiegenes Kapitel deutscher Geschichte".

Brieger, zu diesem Zeitpunkt bereits oberster EU-Militär, kommentierte unter dem Posting: "Es ist vor allem ein verschwiegenes Kapitel in der Geschichte der Sieger." Der einstige Generalstabschef der Republik und heute höchstrangige EU-General antwortet zustimmend auf ein geschichtsrevisionistisches Posting? Wie kann das sein?

Brieger distanziert sich

Am Mittwoch entschied sich das Verteidigungsministerium in Wien zu einer Aussendung: Brieger teile die "Ansichten des Herrn M. in keiner Weise" und distanziere sich davon. Es sei ihm nicht bekannt gewesen, dass auf dessen Facebook-Seite revisionistische und antisemitische Stellungnahmen und Kommentare geteilt würden.

Welche Details konkret seiner Meinung nach "von den Siegern verschwiegen" worden seien, beantwortete Brieger so: "Mein Kommentar hat sich ausschließlich an der meines Wissens erst spät erfolgten historischen Aufarbeitung des Schicksals der Insassen der 'Rheinwiesenlager' orientiert. Da dieser Kommentar jedoch missverständlich interpretiert werden kann, habe ich die Facebook-Beziehung gelöscht."

Auch die Historikerin Brigitte Bailer kennt die Verschwörungserzählungen rund um die Rheinwiesenlager, die sich seit den 1990er-Jahren verbreiten. Angestoßen wurde deren Narrativ 1989 durch eine revisionistische Veröffentlichung des Kanadiers James Bacque. "Sensationsheischend" nennt diese der deutsche Historiker Rüdiger Overmans in einem Jahrbuch des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) 1997. Die Behauptung, dass deutsche Leichen ausgegraben und als jüdische ausgegeben wurden, "war allerdings selbst mir neu", betont Bailer. Tatsächlich habe es nach dem Krieg allgemein zu wenig Nahrung in Deutschland gegeben – so auch in den Lagern.

Schon 1957 war die Aufarbeitung der Rheinwiesenlager von einem deutschen Ministerium angestoßen worden, indem man eine Untersuchungskommission zu deutschen Kriegsgefangenen in Lagern der Alliierten eingesetzt hatte. Der 22-bändige Bericht war zunächst in "Universitätsbibliotheken zugänglich, ab den 1970er Jahren überhaupt öffentlich zugänglich", so Bailer zum STANDARD.

"Sicherheitsrisiko" für EU?

Den Druck auf Brieger erhöht hatte bereits am Dienstag eine dringliche Anfrage an die EU-Kommission und den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz forderte eine Überprüfung, ob Brieger "noch als Vorsitzender des EU-Militärausschusses agieren sollte oder nicht längst ein Sicherheitsrisiko für die EU ist".

Waitz verwies auf die "explizite FPÖ-Nähe" Briegers – dieser war unter dem blauen Verteidigungsminister Mario Kunasek zum Generalstabschef ernannt worden und zudem in FPÖ-internen Chats als "einer von uns" bezeichnet worden. Briegers Sohn ist FPÖ-Gemeinderat in einer niederösterreichischen Gemeinde und seit 2018 parlamentarischer Mitarbeiter der FPÖ. Waitz sorgte sich, ob durch Brieger Informationen an Putins Russland weitergeleitet werden könnten. Die EU-Kommission reagierte bereits: Man werde sich um "weitere Klarstellungen" bemühen. "Alle Formen der Leugnung, Verzerrung oder Verharmlosung des Holocaust sind inakzeptabel", ließ eine Sprecherin gegenüber der APA wissen.

Und auch im österreichischen Parlament hat die Causa ein Nachspiel: Der grüne Abgeordnete David Stögmüller brachte am Mittwoch eine parlamentarische Anfrage an Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) ein. Stögmüller will wissen, ob das Posting Briegers und "der dadurch entstandene Eindruck der Nähe zu neonazistischem Gedankengut und der Holocaust-Leugnung mit seinem Amt als Vorsitzender des Militärausschusses vereinbar sind". (Colette M. Schmidt, Martin Tschiderer, 24.4.2024)