Kapstadt – Wenn die Menschen im Norden des Wüstenstaats Niger in diesen Tagen auf die Straße gehen, dann geht es ausnahmsweise mal nicht immer um Frankreich, sondern auch um die USA: Man demonstriert für einen sofortigen Abzug von rund tausend US-Soldaten, die dort "Air Base 201" betreiben. Der Drohnenbasisstützpunkt ist der wichtigste – schon allein, weil so ziemlich der letzte verbliebene – Pfeiler des Westens im Kampf gegen bewaffnete Gruppen der Sahel- und Sahara-Zone bis in den Süden Libyens, die mal mehr, mal weniger islamistisch geprägt sind.

Amis, go home! Sinngemäß kennt man das geflügelte Wort auch in Afrika sehr gut (Bild: Niger im April 2024).
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Im März hatte die nigrische Militärjunta den Rauswurf der Truppen angeordnet, nachdem eine Delegation der USA recht deutlich gegen die Ankunft von rund 100 russischen Soldaten gewettert hatte. Washington hatte dem Abzug zugestimmt – aber mit einem gewissen Zögern, in der Hoffnung auf ein spätes Einlenken der Generäle. Offenbar vergeblich, die konkreten Gespräche zum Abzug haben begonnen.

Zuletzt hatten die sonst besonders in Afrika eher verschwiegenen US-Soldaten offenbar schon den republikanischen Abgeordneten Matt Gaetz informiert, dass Niger die Lieferung von Elementarem unterbinde, etwa Medizin. Gaetz warf der Regierung von US-Präsident Joe Biden "die aktive Unterdrückung von Geheimdienstberichten" vor, die über das Ausmaß der Verwerfungen mit der Junta Aufschluss geben würden: "Sie lassen unsere Truppen praktisch im Stich."

Wo bleibt der Neuanfang?

Nicht nur im Niger kollidiert die ambitionierte Afrika-Strategie der Biden-Regierung bisweilen mit der Realpolitik. Nach den verlorenen Jahren unter dem Republikaner Donald Trump – der Afrika außer wüsten Beleidigungen ("Scheißloch-Länder") wenig Beachtung schenkte – sollte es einen Neuanfang geben. Es galt, den gewaltigen chinesischen Einfluss auf dem Kontinent zurückzudrängen – und die zunehmenden Avancen aus Russland. Vor dem US-Afrika-Gipfel im Jahr 2022, dem ersten seit acht Jahren, schnürte Biden deshalb ein 55-Milliarden-Dollar-Paket zur Unterstützung afrikanischen Wirtschaftswachstums. Die USA würden in Afrika "aufs Ganze" gehen, versprach er den fast vollständig angereisten Präsidenten des Kontinents, das sei "erst der Anfang". Alles im Dienst der Demokratie, die man in Afrika weit stärker als zuletzt fördern wolle, so seine Botschaft. Es hatte etwas Marktschreierisches.

Doch statt erhoffter demokratischer Transitionen in bestehenden Militärdiktaturen wie Mali oder Burkina Faso kamen seitdem der Krieg im Sudan und die Putsche im Niger und Gabun hinzu, sodass es nun einen durchgehenden Gürtel an Ländern vom Atlantik bis zum Roten Meer gibt, in denen Generäle das Sagen haben. Umfragen in diesem Teil des Kontinents offenbaren zudem sinkende Unterstützung für die Demokratie. Und auch das Wirtschaftswachstum bleibt natürlich weit hinter den Zeiten des globalen Rohstoffbooms von Anfang der 2000er bis etwa 2013 zurück, während dem sich China zur einflussreichsten Weltmacht auf dem Kontinent entwickelt hatte.

Zwar vermeldeten die USA im vergangenen Dezember 550 neue Handels- und Investitionsvereinbarungen mit afrikanischen Ländern. Das entspreche einem Plus von 67 Prozent und einem Gesamtvolumen von immerhin 14,2 Milliarden Dollar (13,3 Milliarden Euro). Doch an das Volumen Chinas im Rahmen seiner Neuen Seidenstraße kommt das nicht heran, auch wenn Peking inzwischen sehr viel zögerlicher auf dem Kontinent agiert als noch vor einigen Jahren. Zudem geht der Effekt der US-Offensive fast unter angesichts des inzwischen deutlich höheren Schuldenberges in Afrika, zu dem längst nicht nur die chinesischen Kredite beigetragen haben. Der Kontinent, auf dem 17 Prozent der Weltbevölkerung leben, Tendenz steigend, trägt nur zwei bis drei Prozent zum Welthandel bei. Tendenz seit Jahrzehnten sinkend.

Innenpolitischer Druck

Auch der Hebel der Zollerleichterungen zum US-Markt für 35 afrikanische Länder (Agoa) ist längst nicht so lang, wie man in Washington bisweilen denkt. Sie machen zusammen etwa ein Prozent der amerikanischen Importe aus, ein geringerer Anteil als vor dem Beginn des Handelsprogramms im Jahr 2000. Zuletzt drohten US-Politiker Russland-freundlichen Ländern immer offener mit ihrem Agoa-Ausschluss. Erstmals spüren sie in Washington in diese Richtung innenpolitischen Druck. Das würde in Afrika zahlreiche Jobs in der arbeitsintensiven verarbeitenden Industrie kosten, vor allem in Südafrika. Aber die Adressaten der Appelle beharren darauf, sich ihre wirtschaftlichen und militärischen Partner ohne Rücksicht auf westliche Befindlichkeiten auszusuchen. Alles andere würde Unterstützung im Volk kosten.

Unter dem Strich hat sich das Kräfteverhältnis für die USA auf dem Kontinent während der bisherigen Biden-Präsidentschaft eher weiter verschlechtert. Zwar scheint ihr größtes afrikanisches Truppenkontingent (4000) in Dschibuti nicht gefährdet, auch in Somalia sind einige Hundert Soldaten für den Kampf gegen die Al-Shabaab-Miliz stationiert. Doch neben Russland hofft inzwischen auch der Iran auf eine Militärbasis am Roten Meer – und damit an einer der wichtigsten Handelsrouten, an der Küste des Sudans. Und das ebenfalls bereits in Dschibuti vertretene China fühlt weiter westlich auf der Suche nach seiner ersten Basis an der Atlantikküste bei Ländern wie Äquatorialguinea vor.

Immerhin schickte Biden im vergangenen Jahr verstärkt hochrangiges Personal auf den Kontinent. Darauf hatte man lange weitgehend verzichtet, was ebenfalls ein Kontrast zu China war, wo die erste Reise eines neuen Außenministers traditionell nach Afrika führt. Präsident Xi Jinping ist bekannt dafür, sich für Staatsoberhäupter des Kontinents mehr Zeit zu nehmen. Und nicht nur auf Präsidentenebene werden afrikanische Politiker in Peking meist ungewöhnlich hochrangig und ausführlich empfangen. Auch das hat zur Stellung Chinas beigetragen. Zuletzt schickte Biden also unter anderem Außenminister Antony Blinken, die US-Botschafterin bei den UN, selbst seine Frau Jill Biden. Er selbst werde bis Ende 2023 ebenfalls in ein afrikanisches Land reisen, hatte der Präsident bei seinem Gipfel jovial versprochen – doch der Besuch steht bis heute aus. (Christian Putsch, 26.4.2024)