Astrid Lindbergh vor dem Wäsche-Geschäft Amour Fou.
Astrid Lindbergh betreibt seit gut zehn Jahren das Wäschegeschäft Amour Fou.
Sascha Aumüller

Vor gut zehn Jahren eröffnete Astrid Lindbergh in Wien-Mariahilf ein Damenwäschegeschäft. Davor hat sie in Berlin gelebt und erzählt von einer Art Erweckungserlebnis. Nach dem Abstillen besorgte sie sich zum ersten Mal ein Set hochwertiger Unterwäsche in einem kleinen Geschäft. Gedacht war es für Samstagabende zum Ausgehen oder für besondere Momente. Allerdings war das Set dann so bequem, dass sie es jeden Tag trug. Sie war überrascht, dass Dessous, die hübsch ausschauen, gleichzeitig so gut sitzen und bequem sein können. Als sie bereits auf dem Sprung nach Wien war und wieder einmal in dem Berliner Geschäft einkaufte, wurde sie von der Besitzerin gefragt, wo sie denn in Wien hochwertige Wäsche von kleinen Labels einkaufe. Weil Lindbergh keine Antwort darauf wusste, beschloss sie nach ihrer Rückkehr, bald selbst eines zu eröffnen. Das klingt nach einer schönen Gründungslegende, aber ...

STANDARD: ... war das tatsächlich Ihre Motivation, damals ein Dessousgeschäft in Wien aufzumachen?

Lindbergh: Definitiv. In meinen Zwanzigern habe ich nämlich entweder gar keinen BH getragen oder einen von H&M, klassisch Größe 75 B – der war superunangenehm. Jedes Mal, wenn ich nach Hause gekommen bin, war das Erste, den BH auszuziehen.

STANDARD: Meine Frau behauptet, viele Frauen kennen ihre BH-Größe gar nicht. Stimmt das?

Lindbergh: Ich dachte zuerst immer, das sei ein Märchen aus den Medien. Mit der Erfahrung vom Geschäft kann ich sagen: Das ist tatsächlich so, vor allem in Österreich, weil anscheinend Palmers in den 90er-Jahren so groß war, dass sie den Handel dominierten und nur eine kleine Range herstellten – also nur Größe A- bis D-Cup. Dadurch mussten alle Frauen in diese Range hineingepresst werden, und sie tragen oft bis heute noch die falsche Größe.

STANDARD: Das hält sich so lange?

Lindbergh: Es passiert jeden Tag, dass eine Frau reinkommt und ihre Größe nicht kennt. Die sind ja auch nicht standardisiert, also von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich. Ich kann aber mit meinem Sortiment umrechnen. Ich weiß, manche schneiden enger, manche schneiden großzügiger.

Astrid Lindbergh vor vielen BHs.
Kunst- oder Naturfaser? Ist keine Glaubensfrage, sondern kann beides angenehm sein.
Sascha Aumüller

STANDARD: Woran merkt man denn, dass ein BH richtig sitzt?

Lindbergh: Man muss es einfach ausprobieren. Aber am Anfang soll jeder BH schön fest sitzen, man sagt, er soll "wie eine feste Umarmung" sein. Denn jeder BH gibt später nach, durch die Körperwärme und durch das Waschen.

STANDARD: "Wie eine feste Umarmung" klingt schön. Probieren Sie alle Stücke an, die Sie im Geschäft haben?

Lindbergh: Meine Mitarbeiterinnen und ich sind bekannt dafür, dass wir uns überall ausziehen, um alles anzuprobieren.

STANDARD: Und kommunizieren Sie auch mit den Herstellern?

Lindbergh: Absolut. Ich habe fast nur kleine Labels im Programm, die von Frauen geführt werden. Diese Frauen sahen offensichtlich einen Bedarf, ihr Label zu gründen, weil sie davor nichts Passendes gefunden haben. Und das ist natürlich eine andere Zusammenarbeit, wenn man direkt mit den Designerinnen kommunizieren und Feedback anbringen kann wie "Wir brauchen das" oder "Das passt nicht" und so weiter.

STANDARD: Woher kommen diese Designerinnen?

Lindbergh: Körbchen Wien näht zum Beispiel in der Stadt, dann habe ich noch Herstellerinnen aus Istanbul und aus Paris, um nur ein paar zu nennen. Hanro ist meine größte Marke, weil die halt noch in Vorarlberg die Stoffe machen. Sie lassen zwar in Portugal nähen, weben aber selber in Österreich.

STANDARD: Bei größeren Marken sind meist Männer am Ruder. Wirkt sich das negativ auf das Produkt aus?

Lindbergh: Hanro ist eh meine einzige Marke im Programm, bei der ein Mann Chef ist. Aber der beschäftigt ein Designerinnenteam, die die Schnitte entwickeln. Es kommt halt etwas anderes dabei raus, wenn man etwas konzipiert, das man selber 15 Stunden am Tag trägt.

STANDARD: Wie ist das mit den Materialien? Gibt es da grundsätzlich gute oder schlechte?

Lindbergh: Nein, das ist sehr individuell. Wir haben ein neues Label aus Belgien, das arbeitet zum Beispiel mit Leinen. Das finde ich großartig, denn Leinen ist die europäische Faser und fühlt sich super an auf der Haut. Ich habe aber auch viel Tencel im Programm, eine natürliche Faser, die in Österreich von Lenzing produziert wird.

STANDARD: Und Kunstfasern? Sind die grundsätzlich schlecht?

Lindbergh: Kunstfasern werden oft für Spitzen verwendet. Sie haben den Vorteil, dass sie sehr flexibel sind und guten Halt geben. Das erreicht man oft nicht mit Naturfasern, gerade wenn es um größere Cups geht. Die Schwierigkeit ist, die Qualität am Etikett zu erkennen. Da steht nur drin: Polyamid, Elasthan. Aber wie sich das dann anfühlt, das gibt es ganz große Unterschiede. Spitzen, die sehr kratzig sind, und solche, die butterweich auf der Haut wirken. Das muss man unbedingt vorher angreifen.

STANDARD: Wie wirkt sich das Produktionsland auf den Preis aus?

Lindbergh: Wir haben ein Label, da werden die Stoffe in Frankreich produziert, und genäht wird in Paris. Da kommt ein BH dann schon auf 200 Euro. Aber wir bieten preislich eine große Bandbreite an. Die Frage ist nur: Was ist den Kundinnen wichtig?

STANDARD: Was ist denn die Schmerzgrenze der meisten Kundinnen?

Lindbergh: Das lässt sich pauschal kaum sagen. Aber bei unserem Wiener Label kommen die BHs auf rund 90 Euro. Und die vorher erwähnten Leinen-BHs kosten 68 Euro. Die sind halt ein junges Label. Ich hoffe, sie halten den Preis.

Astrid Lindbergh packt ein Geschenk ein.
Lindbergh packt auch gerne Dessous für männliche Kunden ein.
Sascha Aumüller

STANDARD: Was verstehen Sie unter "nachhaltigen Produkten"?

Lindbergh: Zur Nachhaltigkeit zählt wohl auch, dass ein Produkt lange hält und dass man wirklich damit Freude hat, also nicht gleich wieder etwas Neues will. Oder zum Beispiel beim Wiener Label Körbchen hat man ein lebenslanges Reparaturservice. Wenn sich die Brust verändert, kann man den BH einfach abändern lassen.

STANDARD: Ich kann einen bereits getragenen BH nachschneidern lassen?

Lindbergh: Genau. Und wenn ich das dann runterrechne, amortisiert sich das schnell bei etwas, das ich drei bis fünf Jahre lang wirklich viel trage. Wenn ich dagegen einen billigen kaufe, ist der oft schon nach drei Monaten kaputt und sitzt noch dazu nie richtig.

STANDARD: Wie stark unterliegen BHs Moden? Ich sehe immer seltener Push-ups.

Lindbergh: Wonderbra war in den 90ern. Ich glaube dennoch, dass sich die Moden diesbezüglich nur langsam ändern. Aber jetzt geht alles in Richtung einer natürlichen Brustform. Die eigene Brust wird bloß betont oder umarmt und gehalten. Nicht mehr in ein Korsett gepresst, das die Form verändert.

STANDARD: Gibt es dennoch kurzfristige Trends, denen gerade viele Frauen folgen?

Lindbergh: Ganz lange war die Wäsche entweder schwarz, weiß oder beige. Jetzt ist viel mehr bunt. Die Trendwende bei Oberbekleidung ist also endlich auch bei der Wäsche angekommen. Und warum nicht einen grünen oder pinken BH tragen? Die Farbe macht ja auch etwas mit einem.

STANDARD: Und Modelle, die immer gleich bleiben?

Lindbergh: Weniger Modelle als Schulen. Deutsche Schule bedeutet, die Herstellerinnen machen BHs, die Brüste immer rund wirken lassen. Die Französinnen dagegen bevorzugen spitze Brüste. Es ist auch für die meisten Frauen eine Grundsatzentscheidung, ob man ein Sophia-Loren-Dekolletee haben will oder nicht.

STANDARD: Wollen die meisten ein Sophia-Loren-Dekolletee haben?

Lindbergh: Die Jungen sicher nicht. Social Media verlangt nämlich ganz klar, dass man nichts sieht. Deshalb sind leicht gepolsterte Körbchen gefragt, bei denen man möglichst keine Nippel durchsehen soll.

STANDARD: Wie ordnen Sie das ein?

Lindbergh: Ich bin jetzt 45. In den Neunzigern habe ich in der Schule weiße T-Shirts angehabt und nichts drunter. Das war völlig normal, und ein Nippel hat niemanden gestört. Für viele Junge kommt das heute nicht mehr infrage.

STANDARD: Wir haben bisher nur über BHs gesprochen. Sind denn Höschen weniger problematisch von der Passform?

Lindbergh: Ich denke, ja. Aber es ist ebenfalls eine Grundsatzentscheidung. Wenige Frauen sagen, sie mögen alle Schnitte vom Tanga bis zum High Waist. Im Übrigen ist es hier genauso wichtig, dass sich das Material angenehm anfühlt.

STANDARD: Wenn ich schon hier bin als Mann im Damenwäschegeschäft: Männer, die für ihre Frauen Dessous kaufen – finden Sie das eine nette Geste oder eine blöde Idee?

Lindbergh: Ich finde es grundsätzlich nett, wenn man sich Gedanken macht. Tatsächlich wissen auch immer mehr Männer, was ihre Frau gerne trägt, welche Farben oder Formen. Viele Kunden sind jedenfalls Männer von Stammkundinnen. Da ist es praktisch, auf den alten Rechnungen nachschauen zu können, welche Größe sie hat und ob ihr der Stil wirklich gefällt. Aber es kommen auch immer mehr Männer, um für sich selbst Wäsche anzuprobieren.

STANDARD: Sind Männern, die Damenunterwäsche tragen, dieselben Dinge wichtig wie Frauen?

Lindbergh: Meist ist es so, dass Männer einen größeren Unterbrustbereich haben. Der große Rest ist genauso individuell. Manche mögen keine Bügel, andere tragen sehr gerne Bügel. Und bei den Höschen haben wir mittlerweile einige Erfahrung, welche Modelle besser funktionieren, weil sie mehr Platz lassen als andere. Die müssen halt einfach breiter geschnitten sein vorne.

STANDARD: Gibt es auch bei der Unterwäsche einen Trend zu genderfluiden Modellen?

Lindbergh: Das ist tatsächlich so, auch die Hersteller reagieren darauf, dass das sowohl bei Höschen als auch bei Oberteilen für die verschiedenen Körperformen funktioniert. Und es ist genauso individuell wie bei den Frauen. Manche wollen lieber allein anprobieren, und andere wollen Feedback und Hilfe. (Sascha Aumüller, 27.4.2024)