Landwirtschaftsminister Totschnig
Landwirtschaftsminister Totschnig drängt auf eine spätere Umsetzung der Entwaldungsverordnung. Im April 2023 stimmte die ÖVP-Delegation im EU-Parlament noch für die Verordnung.
© Christian Fischer

Die Land- und Forstwirte sägen an der Entwaldungsverordnung der EU. Die Bauern üben ihre Kritik an den bereits beschlossenen EU-Vorschriften, um im Bild zu bleiben, nicht mit dem kleinen Fuchsschwanz, eher mit der groben Kettensäge. So malt etwa die Landwirtschaftskammer Steiermark ein düsteres Szenario: "Die EU-Bürokratie bedroht die Forst- und Holzwirtschaft."

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) fordert eine Aussetzung, weil die Ziele der Entwaldungsverordnung (EUDR) durch eine "vollkommen überzogene und praxisfremde Umsetzung" konterkariert werden würden.

Was ist dran an der Kritik? Was ist das Ziel der EUDR? Und wird sie trotz der Kritik aus Österreich und anderen EU-Ländern planmäßig mit 30. Dezember in Kraft treten? DER STANDARD erklärt den Streit um Wälder und Gelder.

Von Holz bis Kakao

Die EUDR soll sicherstellen, dass landwirtschaftliche Erzeugnisse künftig nur dann in der EU gehandelt werden, wenn für diese weltweit keine Wälder gerodet worden sind. Forstwirte müssen wiederum nachweisen, dass für ihr Holz keine Waldschädigung in Kauf genommen wurde. Die Verordnung zielt insbesondere auf Importe nach Europa – und geht weit über Holz hinaus. "Die Verordnung betrifft auch Rindfleisch, Kautschuk, Kakao, Kaffee, Ölpalme und Soja", sagt Sonja Irresberger von der Beratungsfirma KPMG. Das Ziel der EUDR sind also entwaldungsfreie Lieferketten: Europäer sollen etwa beim Genuss von Kaffee und Schokolade nicht länger unfreiwillig die Abholzung von Regenwäldern unterstützen.

Die globale Bewahrung der großen Naturwälder gilt als essenziell für den Klimaschutz. Denn Bäume binden den im CO2 enthaltenen Kohlenstoff. Die Speicherfähigkeit der Urwälder nimmt jedoch ab, wie eine 2020 im Magazin Nature veröffentlichte Studie zeigt. Entwaldungsfrei bedeutet in der EU-Verordnung, dass zum Beispiel Kakao und Rindfleisch nicht auf Flächen erzeugt worden sind, die nach dem 31. Dezember 2020 entwaldet wurden; das ist für die EU der Stichtag.

Ein Kakaofeld im Regenwald in Kolumbien
Ein Kakaofeld im Regenwald in Kolumbien im Jahr 2021: Guerilla-Kämpfer haben die Fläche abgeholzt.
AFP/RAUL ARBOLEDA

Wilder Streit um Geodaten

Die Entwaldungsverordnung betrifft Landwirte in Übersee genauso wie in der Union. Einige Punkte verärgern nun etwa Österreichs Landwirtschaftskammerpräsidenten Josef Moosbrugger. Er nannte auf Ö1 ein Beispiel: "Ein Waldbesitzer liefert Baumstämme an einen Tischler. Der Waldbesitzer müsste für jeden Stamm, den er an den Tischler liefert, die genauen GPS-Daten sowie den lateinischen Baumartennamen nachweisen." Das sei bürokratisch und schlicht nicht durchführbar.

Diesen Einwand weist zum Beispiel Johannes Zahnen, Waldexperte von WWF Deutschland, entschieden zurück. "Ich sehe gerade für kleine Waldbesitzer die Belastung als relativ gering an. Sie müssen ein einziges Mal die GPS-Daten ihres Grundstücks nehmen. Vielen liegen diese Daten ohnehin schon vor. Müssen sie ermittelt werden, kann man das über Google Maps in wenigen Minuten machen", sagt er. Wenn der Waldbesitzer die Geodaten einmal habe, könne er sie speichern und bei Bedarf kopieren.

In der Verordnung sei "keine Lokalisierung von jedem einzelnen Baum vorgeschrieben", sagt Zahnen. "Es ist nur vorgegeben, dass ein Waldbesitzer die Geolokalisationsdaten des Waldstücks, Holzart und Menge in eine Datenbank eingibt und die Referenznummer, die er von dort erhält, an seine Kunden weitergibt. Das war's."

WWF sieht "Polemik"

Landwirtschaftsminister Totschnig fordert neben der Aussetzung der Verordnung auch generell eine Ausnahme für Österreich. "Da in Österreich die jährlichen Zuwachsraten genau das Gegenteil (der Entwaldung, Anm.) belegen, ist eine Ausnahmebestimmung notwendig", heißt es aus dem Ministerium zum STANDARD. Die Waldfläche Österreichs sei in den vergangenen 50 Jahren um mehr als 330.000 Hektar gewachsen.

WWF-Experte Zahnen sieht im Hinweis auf Waldflächen aber eine Verzerrung der Inhalte der Entwaldungsverordnung: "Die EUDR hat zwar im Titel die Entwaldung, aber umfasst insgesamt drei Punkte. Es geht um den Stopp der Entwaldung und von Waldschäden sowie um Legalität." Wenn Minister Totschnig sich nur einen Punkt von dreien herausgreife, sagt Zahnen, "frage ich mich, ob er die Verordnung nicht kennt oder polemisch Stimmung machen will". Schließlich habe auch Europa vielerorts Probleme mit illegalem Waldeinschlag und Waldübernutzung.

Papierindustrie in der Pflicht

Scharfe Kritik an der Entwaldungsverordnung kommt aber nicht nur aus der Landwirtschaft, sondern auch aus der Papierindustrie. Die Landwirtschaftskammer zeichnet folgendes Szenario: "Bei einem Industriebetrieb werden täglich hunderte Lkw-Fuhren mit Holz abgeladen. Dabei sind für die Stämme tausende Referenznummern zu hinterlegen." Dies multipliziere sich bei späteren Bearbeitungsstufen wie in der Papierindustrie. Christian Schnedl, Geschäftsführer der Papierholz Austria GmbH, sagt: Der bürokratische Mehraufwand durch die EUDR sei "für unsere Industriebetriebe in dieser Form und in dieser kurzen Zeit nicht zu bewältigen".

WWF-Vertreter Zahnen sieht den Mehraufwand hingegen gerechtfertigt. "Es geht in der EUDR doch darum, dass zum Beispiel die Papierindustrie Verantwortung übernimmt, beim Kauf von Zellstoff auszuschließen, dass dafür tropische Urwälder kaputtgehauen werden." Dafür sei es seiner Meinung nach legitim, "wenn die Papierindustrie zehn, hundert oder 10.000 Referenznummern abspeichern muss". Denn: Die Katastrophe der Abholzung von Naturwäldern müsse aufhören. "Es geht hier nicht um ein Luxusgesetz, sondern um menschheitsbedrohende Gefahren wie Klimaüberhitzung und Artensterben", sagt Zahnen.

Sojabranche erwartet Vorteile

Auch in der Wirtschaft gibt es andere Perspektiven auf die Entwaldungsverordnung als jene der Landwirtschaftskammer. "Der Sojaanbau in der EU sollte durch die Entwaldungsverordnung definitiv einen Wettbewerbsvorteil gegenüber importiertem Soja bekommen", sagt Susanne Fromwald vom Branchenverband Donau Soja.

Zum Vorwurf der Kammer, die EUDR sei "Bürokratie-Irrsinn", sagt sie: "Ich denke, die Bürokratie wird sich für österreichische Landwirte im Bereich Soja in Grenzen halten. Die geforderte Information ist überschaubar. Ich vermute, ein Grund für die Kritik ist, dass es künftig eine gewisse Haftung für die Richtigkeit der Informationen geben wird, was aber insbesondere Sojaimporteure betrifft." Wobei: Die "Säumigkeit der EU", eine versprochene IT-Plattform zur Umsetzung der Verordnung zu etablieren, sei auch für Donau Soja "ein großes und nachvollziehbares Ärgernis".

Bemerkenswert an Minister Totschnigs Trommeln für eine Aussetzung der Entwaldungsverordnung ist jedenfalls der Zeitpunkt. Denn öffentlichen Widerstand gegen das längst beschlossene Paket gibt es erst seit März. Das Thema sei einst von der EU-Kommission "unter großem Zeitdruck vorangetrieben worden", das Landwirtschaftsministerium habe sich aber "durchgehend aktiv eingebracht und Bedenken aufgezeigt", heißt es dazu aus dem Ministerium. In der "intensiven Auseinandersetzung" mit dem Leitlinienentwurf der Kommission seien nun "große Umsetzungsherausforderungen ersichtlich" geworden, so Totschnigs Ministerium.

Allerdings: Die Entwaldungsverordnung ist schon im April 2023 im EU-Parlament angenommen worden. Im Mai 2023 gab der Europäische Rat grünes Licht – auch die österreichische Regierung. "Wir begrüßen diese Initiative grundsätzlich. Denn das bedeutet höhere Produktionsstandards für landwirtschaftliche Einfuhrprodukte aus Drittstaaten", sagte der EU-Abgeordnete Alexander Bernhuber, der wie Totschnig aus dem ÖVP-Bauernbund kommt, noch 2022.

Weide in Brasilien
Eine Weidefläche für Kühe in Brasilien, für die ein Stück Amazonaswald vernichtet wurde.
AP/Eraldo Peres

ÖVP-Populismus

Kenner der EUDR sagen hinter vorgehaltener Hand, dass die ÖVP in der Entwaldungsverordnung wohl ein Wahlkampfthema für die EU- und Nationalratswahl sehe. Die EUDR solle herhalten, um die kritische Stimmung gegen Europas Green Deal zu nützen. Tatsache ist jedenfalls, dass die ÖVP-Landwirte in diesem Frühjahr gegen eine EU-Verordnung mobilisieren, die sie seit Jahren kennen und die einige von ihnen mitbeschlossen haben. Man könnte das populistisch nennen.

Die EU-Verordnung jetzt noch zu ändern hält Wifo-Landwirtschaftsexperte Franz Sinabell für schwer möglich. Die Hoffnung von Kritikern wie Totschnig sei wohl, die EU-Kommission dazu zu bewegen, "die Fristen der Einführung zu verschieben". Nach aktuellem Stand müsste die EUDR ab 30. Dezember umgesetzt werden. Denkbar wäre, dass die EU den Landwirten und anderen Wirtschaftsbetrieben bei der Umsetzung doch noch mehr Zeit gibt. (Lukas Kapeller, 3.5.2024)