Rishi Sunak in der Downing Street 10
Zu Premierminister Rishi Sunak steht in den Reihen der Konservativen keine überzeugende Alternative bereit.
APA/AFP/DANIEL LEAL

Bei den englischen Kommunalwahlen am Donnerstag haben die seit 14 Jahren in Großbritannien regierenden Konservativen unter Premier Rishi Sunak eines ihrer schlechtesten Resultate der vergangenen 40 Jahre erzielt. Bis Freitagmittag hatten die Tories rund die Hälfte ihrer bisherigen Mandate eingebüßt, die bis Sonntag laufenden Auszählungen versprachen keine Besserung. Im nordenglischen Blackpool ging zudem das Unterhaus-Mandat an die Labour Party verloren. "Dies ist eine direkte Botschaft an den Premierminister", betonte Oppositionsführer Keir Starmer: "Machen Sie Platz, damit es mit unserem Land vorangeht."

Zwar ließen sich am Freitag noch keine zuverlässigen Wähleranteile ermitteln. Doch bestätigten die Ergebnisse den langfristigen Trend, wonach Labour um rund 20 Prozentpunkte vor der Regierungspartei liegt. Das käme bei der für Herbst erwarteten Unterhauswahl einer erdrutschartigen Niederlage gleich. Die Londoner Medien hatten deshalb vorab über eine mögliche Rebellion gegen Sunak spekuliert; allerdings steht keine überzeugende Alternative bereit. Äußerungen konservativer Politiker und Analysten aus der Wahlnacht deuteten eher auf achselzuckende Resignation hin. Der einstige Hedgefonds-Manager Sunak sei ein netter Mann, teilte Tim Montgomerie, Begründer der einflussreichen Website Conservative Home, der BBC mit, aber: "Von Politik versteht er nichts."

In Blackpool hatte der Tory-Abgeordnete wegen eines Lobbyskandals den Hut nehmen müssen – leichtes Spiel also für Labour, dessen Kandidat Chris Webb mit gewaltigem Vorsprung das Rennen für sich entschied. Aus konservativer Sicht bedenklicher fiel das Abschneiden der Reformbewegung des Nationalpopulisten Nigel Farage aus: Mit 16,9 Prozent lag deren Kandidat nur um 117 Stimmen hinter dem Tory zurück.

Johnson zunächst abgewiesen

Zur Erheiterung der Nation trug wieder einmal Boris Johnson bei. Der gescheiterte Premierminister vergaß, ein mit Foto versehenes Ausweispapier mitzubringen – und wurde vom örtlichen Wahlvorstand in der Grafschaft Oxford prompt abgewiesen. Erst im zweiten Anlauf durfte der 59-Jährige seine Kreuzchen machen.

Die hübsche Episode hat einen ernsten Hintergrund: Wie sein Bewunderer Donald Trump redete auch der von 2019 bis 2022 amtierende Regierungschef gern von angeblich weitverbreitetem Wahlbetrug – ein Sachverhalt, der von Fachleuten bezweifelt wird. Ein deshalb verabschiedetes Gesetz verlangt nun zusätzlich zur traditionellen Wahlkarte einen Foto-Ausweis, was gerade ärmeren und jüngeren Briten und Britinnen sowie Angehörigen ethnischer Minderheiten Probleme macht. Denn bis heute gibt es auf der Insel keine Personalausweise, immerhin 13,5 Prozent der Bevölkerung besitzen keinen Reisepass. Ältere Leute ab 60 Jahren dürfen den Ausweis des örtlichen Verkehrsbetriebs vorzeigen, Studierende hingegen nicht. "Das ist eindeutig politisch begründet", glaubt Labour-Mann Andy Burnham, dem in Manchester alle Umfragen eine dritte Amtszeit als Bürgermeister vorhersagten.

Fokus auf Birmingham

Burnhams Ergebnis ebenso wie die Resultate seiner ebenfalls gesetzten Parteifreunde Sadiq Khan (London) und Steve Rotheram (Liverpool) dürften im Lauf des Samstags eintrudeln. Premier Sunaks Augenmerk bleibt ganz auf den Großraum Birmingham gerichtet: Sollte der dortige Amtsinhaber Andy Street vom Wahlvolk bestätigt werden, wird der Regierungschef dies für seine Konservativen reklamieren. Dabei legte der frühere Einzelhandelsmanager größtmögliche Distanz zwischen sich und seine Partei, gab sich in Flugblättern und Plakaten kaum als Tory zu erkennen und ging gemeinsamen Auftritten mit Sunak aus dem Weg. Genauso verhielt sich der Metro Mayor der nordostenglischen Region Teesside, was die Londoner Parteizentrale am Freitagmittag nicht daran hinderte, Ben Houchens Wiederwahl als Tory-Sieg zu feiern.

Für Oppositionschef Starmer hat sich ein Problem bestätigt, das auch bei der Unterhauswahl in einer Handvoll von Wahlbezirken auftreten könnte: Labours Wähleranteil ging in Stadtvierteln mit hohem Anteil muslimischer Bürgerinnen und Bürger deutlich zurück. Als Grund sehen die Demoskopen deren Erbitterung über Starmers Balanceakt im Gazakrieg. (Sebastian Borger aus London, 3.5.2024)