Abba gewann mit
Abba gewann 1974 mit "Waterloo" den Eurovision Song Contest: eine Sternstunde des Wettbewerbs.
AFP/SCANPIX SWEDEN/OLLE LINDEBOR

"Ist es nicht zynisch, mit einem Schlager anzutreten, der 40.000 Tote zum Inhalt hat?" Diese Frage stellte ein schwedischer Journalist Manager Stig Anderson, nachdem dieser mit seiner Gruppe Abba 1974 in Brighton den Eurovision Song Contest gewinnen konnte. Der Titel lautete immerhin Waterloo und handelte von einer Napoleon-Schlacht. Der flämische Ort sollte in die Popgeschichte eingehen.

Doch zuerst schien die schwedische Musikszene vom Sieg überfordert. Künstlergruppen organisierten sich, um gegen kommerzielle Musik zu protestieren. Auch deshalb veranstalteten sie beim Song Contest 1975 in Stockholm ein Gegenfestival. Schweden erlebte einen Kulturkampf. Linke alternative Popmusik gegen kommerziellen Kapitalismuspop. Letzterer gewann.

Pop-Exportland Nummer drei

Mittlerweile ist Schweden nach den USA und dem Vereinigten Königreich Pop-Exportland Nummer drei der Welt. Und das hat viel mit Abba zu tun. Manager Stig Anderson traf nach dem Sieg beim ESC eine überraschende Entscheidung: Man ging nicht nach London oder Los Angeles – man blieb in Stockholm und kreierte in den Polar-Music-Studios einen eigenen Stil mit einfachen Harmonien, präzis aufeinander abgestimmte Vocals und einem Aufnahmestil, der "Wall of Sound" genannt wird. Diese Mischung aus Klangwolke, einfachen Schlagermelodien und modernem Pop prägt die schwedische Musikindustrie bis heute.

ABBA - Waterloo (Eurovision Song Contest 1974 First Performance)
AbbaVEVO

Gleichzeitig wurde nach Abbas Sieg die Musikszene politisch gefördert. Es entstanden kostenfreie Proberäume im ganzen Land, Musikunterricht wurde großgeschrieben, Musikverbände wurden gegründet und unterstützten sich gegenseitig. Das Land hatte neben Fertigteilmöbel und Fisch ein neues Exportgut. Bands wie Roxette, Ace of Base und Mando Diao wären ohne Abba wohl nie das geworden, was sie sind.

Das schwedische Popwunder – das Land hat immerhin nur knapp eine Million Einwohner mehr als Österreich – hält bis heute an. Max Martin etwa schreibt und produziert für Britney Spears, Taylor Swift, Ariana Grande, The Weeknd oder neuerdings auch für den Song-Contest-Sieger 2021, Måneskin. Nur Paul McCartney hat mehr Nummer-eins-Hits geschrieben.

Song-Contest-Dominanz

Das enorme Pop-Know-how in Schweden ist auch in der Song-Contest-Dominanz sichtbar. Mit dem siebten Sieg 2023 in Liverpool konnte Schweden mit Irland gleichziehen. Schwedische Prouktionsteams schreiben seit Jahrzehnten zahllose Beiträge anderer Länder. Dieses Jahr auch für Österreich. We Will Rave von Kaleen wurde unter anderem von Jimmy "Joker" Thörnfeldt geschrieben, der schon Tattoo für Loreen komponierte.

So hat am Ende im schwedischen Kulturkampf der 70er-Jahre der kommerzielle Pop haushoch gewonnen – und nebenbei zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen. Abba gibt es mittlerweile als Museum in Stockholm, als holografische Show in London und zurzeit als Pop-up-Store in Malmö. Die Firma Abba setzt immer noch Milliarden schwedische Kronen um. Und dass man den Ort Waterloo eigentlich flämisch aussprechen müsste, weiß kaum noch jemand. (Marco Schreuder, 8.5.2024)