Die Haut als Leinwand und auch als Kommunikationsmittel: "Tattoo: Trend oder Tradition?" fragt eine ORF-Doku am Mittwoch im Hauptabend von ORF 1. Eines vorweg: Tätowierungen gab es schon immer, seit es die Menschheit gibt. Regisseur Hannes Schuler beginnt seine Reise in die Welt der Tattoos in Hamburg, St. Pauli. Warum die Reeperbahn? Das hat einen simplen Grund. Dort werkte nämlich Anfang des 20. Jahrhunderts der "König der Tätowierer" Christian Warlich.

Er war einer der Ersten, die sich sozusagen stationär mit ihrer Tätowierkunst niederließen, weiß Kunsthistoriker Ole Wittmann. Davor war der Job des Tätowierers ein mobiler Beruf, ausgeübt auf dem Schiff, in Parks, in Beisln. Tattoos hatten damals keinen guten Ruf, was auch mit einer unwissenschaftlichen und sehr klischeehaften Studie des Italieners Cesare Lombroso zusammenhing, wonach auffällig viele Gefängnisinsassen tätowiert und Kriminelle sozusagen an Tätowierungen erkennbar seien.

Der niederländische Tätowierer Henk Schiffmacher.
Der niederländische Tätowierer Henk Schiffmacher.
Foto: ORF/IFAGE Filmproduktion/Hannes Schuler

Schulers Dokumentation wirft einen spannenden Blick auf die Geschichte des Tätowierens. So ließen sich etwa Ende des 20. Jahrhunderts viele Adelige tätowieren: Der russische Zar Nikolaus ließ sich in Japan einen Drachen in den Unterarm stechen, Prinzessin Marie d'Orléans einen Anker, König Edward VII. kam nach einem Besuch in Jerusalem mit einem Kreuz am Arm heim. Auch beim Eismann Ötzi wurden 61 Tätowierungen entdeckt – vor allem Linien auf Akupunkturpunkten. Es spricht also vieles dafür, dass sich Menschen durch Tattoos eine heilende Wirkung erhofft haben.

Eine schützende Wirkung wird Tätowierungen jedenfalls zugeschrieben, in Japan etwa legten sich Menschen mit gefährlichen Jobs teils großflächige Tattoos zu. Schuler lässt Haudegen der Branche wie den Niederländer Henk Schiffmacher erzählen, der nicht nur viel über Geschichte und Mystik weiß, sondern auch schon viele Promis unter seiner Nadel hatte. Lady Gagas Anker soll etwa aus seiner Nadel stammen.

Tätowier-Tradition in Japan.
Tätowier-Tradition in Japan.
Foto: ORF/IFAGE Filmproduktion/Hannes Schuler

Zurück zum "Tätowier-König" Warlich, der geschickt seine Motive an den Zeitgeist anpasste. Und er entwickelte auch eine Salbe für jene, die ihre Tätowierungen loswerden wollen. Das Rezept dieser "Hautentfernungstinktur" war bisher unbekannt. Doch Historiker Wittmann wurde in einem Schriftakt aus dem Jahr 1935 fündig mit einer heftigen Mischung aus Äther, Kochsalz, Schwefelsäure und anderen Substanzen, die die Haut wegätzen. In der Doku sieht man dann auch die Hautfetzen samt den unliebsamen Tätowierungen. Warlich soll sie teils seinen Kunden auch mit nach Hause gegeben haben.

Schuler erzählt auch von den Tätowierungen im Nationalsozialismus: So bekamen etwa Mitglieder der Waffen-SS ihre Blutgruppe unter die Achseln tätowiert. Nach dem Krieg waren englische Soldaten eine wichtige Kundengruppe für Warlich, das Porträt der jungen Queen Elizabeth war eines ihrer Lieblingsmotive. (Astrid Ebenführer, 8.5.2024)