Katalonien lässt den "Procés", den Weg zur Unabhängigkeit, hinter sich. Bei der vorgezogenen Wahl zum Autonomieparlament gewannen die auch Gesamtspanien regierenden Sozialisten unter dem Spitzenkandidaten und einstigen spanischen Gesundheitsminister Salvador Illa mit deutlichem Vorsprung. Die Unabhängigkeitsparteien, die 2017 ein Referendum über die Loslösung von Spanien abhielten, erreichten nicht mehr die Mehrheit im Parlament.

Der im Exil lebende Carles Puigdemont, der auf einen Rückkehr an die 2017 nach der Absetzung durch Madrid verlorene Autonomieregierung hoffte, hat damit keinerlei Chancen, der Region im Nordosten Spaniens rund um Barcelona erneut vorzustehen. Zwar verbesserte seine Liste Gemeinsam für Katalonien (Junts) ihr Ergebnis deutlich, doch brach die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) völlig ein. Deren Spitzenkandidat, der bisherige katalanische Regierungschef Pere Aragonès, hatte die Wahl vorgezogen, nachdem seine Minderheitsregierung an den Budgetverhandlungen gescheitert war.

Carles Puigdemont erhielt trotz eines besseren Ergebnisses einen herben Dämpfer für seine Pläne zur Rückkehr an die Spitze Kataloniens.
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"Neue Etappe"

"Heute beginnt eine neue Etappe für Katalonien", erklärte der Sozialist Illa vor begeisterten Anhängern in der Wahlnacht. Sein PSC erzielte 28 Prozent der Stimmen und damit 42 der 135 Sitze. Das sind neun mehr als 2021. Die zweitplatzierte Junts (21,6 Prozent) liegt mit 35 Abgeordneten – drei mehr als 2021 – deutlich dahinter. "Es ist an den Sozialisten, diese neue Etappe zu leiten", fügte Illa hinzu, er werde für alle Katalanen regieren, "egal was sie denken". Bereits am Montag will er Verhandlungen mit anderen Parteien aufnehmen, um die Parlamentsmehrheit von 68 Abgeordneten hinter sich zu vereinen.

Salvador Illa spricht von einer "neuen Etappe".
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Leicht wird das nicht. Als natürlicher Partner bietet sich nur die linksalternativen Comuns an. Und die bringt nur sechs Abgeordnete, zwei weniger als 2021, mit. Für eine Mehrheit wäre deshalb die ERC notwendig. Diese erzielte nur 13,7 Prozent und verlor 13 der bisher 33 Sitze. Spitzenkandidat Aragonès kündigte in der Wahlnacht an, die ERC werde in die Opposition zu gehen und sich an keinerlei Regierung beteiligen. Der bisherige Regierungschef sprach von "persönlicher Verantwortung", zu Mittag stellte er seinen Rückzug aus der Politik in Aussicht.

Die ERC von Pere Aragonès hatte die vorgezogene Wahl angesetzt und brach bei den Ergebnissen ein.
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"Strategie der Assimilierung"

Zumindest rechnerisch hätte auch ein Bündnis der Sozialisten mit Junts eine Mehrheit, doch sind beide Parteien politisch weit auseinander. Junts-Spitzenkandidat Puigdemont sprach in der Wahlnacht angesichts des Verlusts der Parlamentsmehrheit für die Verfechter der Unabhängigkeit Kataloniens von einer Strategie der "spanischen Assimilierung", die gewonnen habe. Illa ist für Puigdemont neben den spanischen Rechtsparteien, der rechtsextremen Vox mit elf und dem konservativen Partido Popular (PP) mit 15 Sitzen, einer der Protagonisten davon. Der PP erreichte um zwölf Sitze mehr als 2021. Ein Teil der Zugewinne kam aus dem Lager der rechtsliberalen Ciutadans (Bürger), die nicht mehr im Parlament vertreten sind.

Puigdemont ging sogar so weit, die Regierung für sich zu beanspruchen. Wie er das angesichts des neuen Parlaments mit nur 61 Abgeordneten für die vier unterschiedlichen Unabhängigkeitsparteien erreichen will, erklärte er nicht. Neben Junts und der ERC erreichte die antikapitalistische CUP vier Sitze, fünf weniger als 2021, die rechtsextreme Aliança Cat zieht erstmals mit zwei Vertretern ins Parlament ein. Der sozialistische Spitzenkandidat Illa hatte bereits bei der Autonomiewahl im Februar 2021 die meisten Stimmen bekommen. Jedoch wurde er nicht Autonomiepräsident, weil Junts, ERC und CUP zusammen mit 74 Sitzen eine deutliche Mehrheit hatten. Die ERC regierte zuerst in einer Koalition mit Junts und dann alleine.

Für den spanischen Regierungschef Pedro Sánchez ist der Sieg seines Parteikollegen Illa ein großer Erfolg. Er spricht seit Jahren von einer Aussöhnung mit Katalonien. Zuerst begnadigte er Unabhängigkeitspolitiker und -aktivisten, die wegen der Abhaltung des Unabhängigkeitsreferendums 2017 zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt worden waren. Dann einigte er sich mit der ERC und Junts auf eine Amnestie für Hunderte, die ebenfalls richterlich verfolgt werden oder wurden, darunter Puigdemont. Die Amnestie wird voraussichtlich Ende des Monats in Kraft treten. Das Amnestiegesetz sicherte der Linkskoalition unter Sánchez, die in Minderheit regiert, die nötige Unterstützung im Madrider Parlament. (Reiner Wandler aus Madrid, 13.5.2024)