Obwohl es schon länger Gerüchte um die Zukunft von Verteidigungsminister Sergej Schoigu gab: Seine Entlassung am Sonntagabend war dennoch ein Paukenschlag. Der Nachfolger des russischen Verteidigungsministers wird ein Wirtschaftsexperte, der 65-jährige Andrej Beloussow – das teilte die Präsidialverwaltung mit. Beloussow ist Zivilist, war Minister für wirtschaftliche Entwicklung und zuletzt Erster Stellvertretender Ministerpräsident. Gerüchte gab es auch um den langjährigen Außenminister Sergej Lawrow. Doch der bleibt im Amt, ebenso Generalstabschef Waleri Gerassimow – zumindest vorerst. Und Schoigu? Der wird nun Sekretär im russischen Sicherheitsrat. Dessen Vorsitzender ist Präsident Wladimir Putin.

Putin verbindet mit dem bisherigen Verteidigungsminister Schoigu eine enge Freundschaft, die beiden haben immer wieder zusammen Freizeit und Urlaub verbracht. Hier ein Bild aus 2017.
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Putin setzt mit dieser Regierungsumbildung wohl langfristig auf die Umstellung auf Kriegswirtschaft, was hohe Rüstungsausgaben mit sich bringt. In Zeiten eines neuen kalten Krieges soll die Armee schlagkräftiger werden. Das kostet viel Geld. Doch Putin will die Fehler der ehemaligen Sowjetunion nicht wiederholen. Neben anderen Problemen führten immer höhere Rüstungsausgaben das Riesenreich in den Ruin. Putin will die Kosten im Griff behalten – zumal es auch innenpolitisch viele Probleme im Land gibt. Auch deren Lösung kostet Geld.

Putin setzt offenbar auf eine Art Doppelspitze in der Armeeführung. "Das Verteidigungsministerium muss absolut offen für Innovationen und die Einführung aller fortschrittlichen Ideen sein, um Bedingungen für wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen", sagt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Wohl deshalb also der Wirtschaftsexperte Beloussow als Minister – und Gerassimow bleibt als Generalstabschef fürs eigentlich Militärische zuständig.

Video: Putin entlässt Verteidigungsminister Schoigu.
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Kriegswirtschaft

Andrej Beloussow studierte Wirtschaftswissenschaften, die Moskauer Lomonossow-Universität absolvierte er 1981 mit Auszeichnung. Fast 20 Jahre war er an der Russischen Akademie der Wissenschaften tätig. Dann der Wechsel in den öffentlichen Dienst. Er wurde Putins oberster Wirtschaftsberater und war seit 2020 Vizeministerpräsident. Im Juli 2022 wurde Beloussow auf die Sanktionsliste der EU gesetzt. Die Ernennung Beloussows deute darauf hin, dass Putin den Krieg in der Ukraine vor allem mit der Produktion in den Rüstungsbetrieben gewinnen wolle. "In seiner Denkweise ist das logisch, weil sich der wirtschaftliche Block in dem Krieg als effektiver erwiesen hat als der Sicherheits- und Militärapparat", sagt der Russland-Experte Alexander Baunow vom Carnegie Russia Eurasia Center.

Andrej Beloussow war lange Zeit Putins oberster Wirtschaftsberater.
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Generalstabschef Gerassimow bleibt im Amt, unter seiner Führung war die russische Armee in der Ukraine zuletzt erfolgreich. Bis jetzt hatte Putin an Schoigu und Gerassimow festgehalten, nachdem die Lage vor einem Jahr im Juni mit einem Aufstand des Chefs der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, eskaliert war. Prigoschin hatte Schoigu massive Korruption, Führungsschwäche und Versagen in dem Krieg bescheinigt. Den Machtkampf mit der russischen Militärführung verlor Prigoschin, der im August wie die gesamte Wagner-Führung bei einem bislang nicht aufgeklärten Flugzeugabsturz ums Leben kam. Aber vergessen waren die Skandale um Amtsmissbrauch und Veruntreuung von Mitteln sowie Diebstahl in der russischen Militärführung nicht. Als wichtigster Mann an der Seite Schoigus galt stets Gerassimow.

Beloussows Ernennung würde keinen Einfluss auf die Tätigkeit Gerassimows haben, so Kreml-Sprecher Peskow. "Was die militärische Komponente betrifft, so wird diese Ernennung in keiner Weise das aktuelle Koordinatensystem ändern. Die militärische Komponente war schon immer das Vorrecht des Generalstabschefs, er wird seine Tätigkeit fortsetzen", zitiert die Nachrichtenagentur Interfax Putins Sprecher.

"Umstrittene Entscheidung"

Ob der Kreml-Chef mit der Regierungsbildung klug gehandelt hat? Die Politikwissenschafterin Tatjana Stanowaja hat daran ihre Zweifel. "Die Ernennung von Sergej Schoigu zum Sekretär des Sicherheitsrats ist eine sehr umstrittene Entscheidung. Ich denke, dass Putin hier selbst nicht wirklich verstanden hat, wen er hier gestärkt und wen er geschwächt hat." Putin verbindet mit Schoigu eine enge Freundschaft, die beiden haben immer wieder auch zusammen demonstrativ Freizeit und Urlaub miteinander verbracht. Putin hatte an dem Minister trotz aller Niederlagen und Pannen besonders zu Beginn des Krieges festgehalten. Immer wieder hatte es Spekulationen um eine Ablösung gegeben. Aber Putin gilt seinen Freunden als treu.

Dass er Schoigu nun zum Sicherheitsratschef macht, gilt auch als gesichtswahrende Lösung für den langjährigen Weggefährten – und hat Vorteile für Putin. So sei es für den Kreml-Chef sicherer, meint Stanowaja. "Anscheinend beginnt der Sicherheitsrat damit, seinen eigenen Namen zu rechtfertigen: sich vor ehemaligen Schwergewichten zu schützen, die nirgendwo sonst angebracht sind, aber nicht weggeworfen werden können."

Die Zukunft des einflussreichen bisherigen Sicherheitsratssekretärs Nikolaj Patruschew bleibt zunächst offen. Die künftigen Aufgaben des 72-Jährigen würden in den kommenden Tagen bekanntgegeben, erklärte Peskow. (Jo Angerer aus Moskau, 13.5.2024)