Eine große Mehrheit von ORF-Stiftungsräten hat am Donnerstag einen Protestbrief an Peter Westenthaler geschickt, der dem STANDARD vorliegt. Sie fordern den von der FPÖ ins oberste ORF-Gremium entsandten ehemaligen freiheitlichen Politiker auf, sein aus ihrer Sicht unternehmensschädigendes Verhalten einzustellen. Das ORF-Gesetz verpflichte ihn in seiner Funktion als ORF-Aufsichtsrat, im Interesse des ORF zu handeln. Sie empfehlen Westenthaler, sich über "Folgen von Pflichtverletzungen" zu informieren. Ein so breit getragener Protest gegen ein Mitglied des Stiftungsrats dürfte bisher in der ORF-Geschichte einzigartig sein.

"Lasse mir von niemandem den Mund verbieten"

Westenthaler reagierte prompt auf das Schreiben: "Ich lasse mir von niemandem den Mund verbieten, schon gar nicht von parteipolitischen Freundeskreisen der ÖVP und der Grünen im ORF-Stiftungsrat." Er stehe zu jeder seiner Aussagen in der Öffentlichkeit. Jede davon diene der Verbesserung des Ansehens und des Rufes des ORF, indem er Fehlentwicklungen aufzeige.

Den Brief haben Stiftungsräte der ÖVP, der Grünen und der Neos unterzeichnet, zudem Vertreterinnen und Vertreter des Betriebsrats von bürgerlich bis sozialdemokratisch.

"Wenn das klagbar ist, muss das der ORF machen"

Update: Warum haben der SPÖ zugerechnete Stiftungsräte wie Heinz Lederer (SPÖ) und Norbert Kettner (Wien) nicht unterschrieben? Kettner, Geschäftsführer des Wien Tourismus, sieht auf STANDARD-Anfrage die Geschäftsführung des ORF in der Pflicht: "Wenn jemand meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Öffentlichkeit so verunglimpft, schöpfe ich gegen diese Person alle rechtlichen Möglichkeiten aus. Der ORF hat eine hervorragende Rechtsabteilung. Ich erwarte, dass das geprüft wird. Wenn das rechtlich klagbar ist, muss das der ORF machen. Die Geschäftsführung hat darüber zu entscheiden und kann das nicht auf die Stiftungsräte abwälzen. Ich will wissen, was der ORF gegen die Beleidigung seiner Mitarbeiter unternimmt."

Eine solcher Protest von Stiftungsräten sei "ein Geschenk für Westenthaler", der es ja auf öffentliche Aufmerksamkeit und Krawall anlege, findet Kettner: "Der lacht sich ins Fäustchen." Nachsatz: "Dass die Aussagen Westenthalers für mich indiskutabel sind, ist keine Frage." Er sieht aber die ORF-Führung in der Pflicht, dagegen vorzugehen.

Warum Heinz Lederer, SPÖ-"Freundeskreisleiter" im ORF-Stiftungsrat, den Brief nicht unterzeichnet hat, erklärt er gegenüber der APA damit, dass er eine andere Art der Auseinandersetzung suche. Von der Linie der FPÖ, die auf eine Zerstörung des ORF hinauslaufe, distanziere er sich klar. Auch erachte er die Aussagen von Westenthaler als problematisch. Doch sei ein Brief samt "versteckter Klagsdrohung" nicht der richtige Weg. Das oberste ORF-Gremium sei durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), wonach die Regierung bei der Besetzung zu viel Einfluss habe, ohnehin geschwächt. Wenn man sich nun noch nach außen als "Streithansln" darstelle, schade das dem ORF noch viel mehr. "Wenn wir auch nicht nur einen Kritiker mit internen Diskussionen in die Schranken weisen können, wie schwach ist dieses Gremium dann?", so Lederer, der sich als "Mann des Diskurses" bezeichnete.

Update: Stiftungsrat Siggi Neuschitzer (Kärnten) wurde nach eigenen Angaben nicht gefragt, ob er sich dem Protest anschließt, wie er dem STANDARD bestätigte. Eine Klage würde er nicht unterstützen, das halte er nicht für sinnvoll. Inhaltlich könne er sich mit der Kritik an und Ablehnung von Westenthalers Auftreten identifizieren. Ebenfalls nicht auf der Protestnote findet sich Christian Kolonovits, vom Burgenland in den Stiftungsrat entsandt. Gegenüber dem STANDARD erklärte Kolonovits, er sei nicht gefragt worden. Er hätte aber die Androhung einer Klage gegen Westenthaler auch nicht unterstützt. Diese Klage zeige für ihn, wie sehr es im ORF-Stiftungsrat zu seinem Bedauern um Parteipolitik gehe. Kolonovits vermutet dahinter "Wahlkampfpanik" bei der ÖVP-Fraktion im Stiftungsrat. "Wir haben im Stiftungsrat andere Dinge zu erledigen."

"Parteipolitische Agitation" und "Propagandamaschine"

In dem Brief kritisieren die 30 unterzeichnenden Stiftungsräte eine Vielzahl von öffentlichen Äußerungen Westenthalers gegen den ORF und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Westenthaler warf dem ORF "parteipolitische Agitation" vor, er sei eine "Propagandamaschine". Westenthaler äußerte sich in der Öffentlichkeit, etwa auf dem Privatsender Oe24 TV, persönlich abwertend und beleidigend über einzelne Mitarbeiter des ORF.

Peter Westenthaler vor dem ORF-Augenlogo im ORF-Zentrum im März 2024, vor seiner ersten Plenarsitzung als neuer Stiftungsrat der FPÖ.
Peter Westenthaler vor dem ORF-Augenlogo im ORF-Zentrum im März 2024, vor seiner ersten Plenarsitzung als neuer Stiftungsrat der FPÖ.
APA Roland Schlager

"Unternehmensschädigende Äußerungen unterlassen"

Die Stiftungsräte distanzieren sich in dem Brief von den öffentlichen Äußerungen Westenthalers: "Wir fordern Sie auf, weitere unternehmensschädigende und herabsetzende öffentliche Aussagen zu unterlassen. Sachliche Kritik ist wesentlicher Teil unserer Aufgaben als Organ des ORF und unverzichtbar für dessen Weiterentwicklung. Entscheidend ist aber mit Blick auf das Unternehmenswohl, dem wir alle gesetzlich verpflichtet sind, in welchem Rahmen und in welcher Form Kritik geäußert wird."

Nachsatz in dem Schreiben: "Für Information und Beratung über die geltenden rechtlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen Ihrer Tätigkeit als ORF-Stiftungsrat sowie über Folgen von Pflichtverletzungen steht Ihnen das Gremienbüro gerne zur Verfügung."

Die Stiftungsräte listen in ihrem Brief beispielhaft wörtlich folgende Äußerungen Westenthalers auf:

Faksimilie Unterschriften Protestbrief der Stiftungsräte an Peter Westenthaler
30 von 35 Mitgliedern des Stiftungsrats unterzeichneten den Protestbrief an ihren Kollegen Peter Westenthaler.
Faksimile

"Fehlentwicklungen im Sinne einer besseren Zukunft aufzeigen"

"Auch Grün und Türkis/Schwarz im Stiftungsrat werden sich daran gewöhnen müssen, dass ich an den zahlreichen Fehlentwicklungen im ORF, bei denen Sie meist nur stumm und tatenlos zusehen, meine offene Meinung äußere. Ob Ihnen das aus Ihrer parteipolitischen Sicht passt oder nicht", reagiert Westenthaler auf das Protestschreiben seiner Kolleginnen und Kollegen.

Der freiheitliche Stiftungsrat: "Es kann niemals den gesetzlichen Aufgaben eines Stiftungsrates widersprechen, wenn man im Sinne einer besseren Zukunft des Unternehmens schwere Fehlentwicklung aufzeigt und diese damit verhindern will. Das Wohl des ORF hängt nämlich nicht an Ihrer parteipolitisch bedingten oder sogar verordneten Taten- und Kritiklosigkeit, sondern am Aufzeigen und künftigen Verhindern von unternehmensschädigenden Fehlern und Fehlentwicklungen. Jede einzelne meiner Aussagen dient der Verbesserung des Rufes und des Ansehens des ORF und letztlich dazu, weiteren Schaden abzuwenden", erklärt Westenthaler.

Er verweist auf das demokratische Recht auf Meinungsfreiheit: "Das mag zwar für den sehr oft parteipolitisch agitierenden ORF und auch für Sie als von Parteien und Regierung Entsandte unangenehm sein, aber Sie werden sich daran gewöhnen müssen, mit der Wahrheit konfrontiert zu werden. So gesehen interpretiere ich Ihr Schreiben als durchaus positive Reaktion. Nämlich als Ergebnis eines gelungenen Weckrufes meinerseits."

In seinem Antwortschreiben richtet er den Hinweis der Kollegen auf rechtliche Grundlagen an diese zurück und schreibt ebenfalls: "PS: Für Information und Beratung über die geltenden rechtlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen Ihrer Tätigkeit als ORF-Stiftungsrat sowie über Folgen von Pflichtverletzungen steht Ihnen das Gremienbüro gerne zur Verfügung."

FPÖ-Mediensprecher Christian Hafenecker kam Westenthaler per Aussendung zur Hilfe. "Während die anderen Mitglieder dieses Gremiums seit Jahren alle negativen Entwicklungen im ORF abnicken und regungslos zur Kenntnis nehmen, arbeitet Peter Westenthaler aktiv mit Herzblut und vollem Engagement daran, den ORF wieder zu einem unabhängigen Medium zu machen, das seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag nachkommt. Dass er für dieses Engagement nun geschulmeistert werden soll, ist nicht tolerierbar", so der FPÖ-Politiker.

Westenthaler brachte zuletzt eine Beschwerde gegen den Vorsitzenden des Stiftungsrats, Lothar Lockl, bei der Medienbehörde Komm Austria ein. Westenthaler beantragte in seiner ersten Sitzung im Stiftungsrat, das Gremium möge den ORF-Generaldirektor ersuchen, eine neue Finanzierungsform für den ORF statt des ORF-Beitrags mit der Regierung zu verhandeln. Lockl hatte über den Antrag, in Abstimmung mit den anderen Fraktionen im Stiftungsrat, nicht in derselben Sitzung abstimmen lassen. Begründung: Er wolle die Zulässigkeit des Antrags erst rechtlich prüfen. (Harald Fidler, 16./17.5.2024, APA)