Nach dem Unfalltod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi blühen die Spekulationen über die künftige Besetzung des Präsidentenamts, aber auch über den Nachfolger des obersten Führers Ali Khamenei, als dessen Favorit Raisi in der Vergangenheit gehandelt worden war.

Die politische Fraktion Raisis habe nur eine endenwollende Personalreserve, skizziert der Iranist Walter Posch das Problem des Regimes. Die Revolutionsgeneration ist mittlerweile im Pensionsalter ankommen, und der 1960 geborene Raisi gehörte noch zu den jüngeren, erklärt der Experte des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement. Posch zieht einen Vergleich zum Ende der Sowjetunion, als von außen immer wieder über die inneren Machtverhältnisse und geplanten Entwicklungen gerätselt wurde. Jegliche Einschätzung bezüglich der Entwicklungen im Iran bleibt ihm zufolge Spekulation.

In der Expertenversammlung ist ein Porträt des verunglückten Präsidenten auf seinem Platz positioniert. Wer ihm künftig nachfolgen wird, ist noch völlig unklar.
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Der 63-jährige Raisi, der als junger Mann an der Revolution teilgenommen hatte, gehörte zu jenen, die an das Regime wirklich geglaubt haben. Nach seiner Sicht war die Revolution noch nicht abgeschlossen. Er befeuerte das zum Beispiel durch die rigide Umsetzung der Bekleidungsvorschriften die gesellschaftspolitischen Verwerfungen befeuert hat. In seiner Amtszeit traten sie inform einer massiven Protestbewegung so dramatisch zutage.

Positionierungen

Bei der Wahl des aus dem nordöstlichen Mashhad stammenden Raisi zum Präsidenten sei es auch um die Zufriedenstellung seiner familiären und regionalen Netzwerke gegangen. Er hatte eine persönliche Hausmacht in Form seiner familiären und wirtschaftlichen Verbindungen. Doch nun habe das Regime eigentlich niemand mehr vom Format Raisis. Zu sehen sei jetzt, dass sich viele Blöcke im Iran in Position bringen, doch es sei schwierig, die Zielsetzungen der einzelnen Blöcke exakt zu verstehen. Schlussfolgerungen traut sich Posch deswegen nicht zu.

Khameneis Sohn Mojtaba wurde in der Vergangenheit regelmäßig als möglicher Nachfolger seines Vaters genannt und wird auch in dieser Situation wieder aufs Tapet gebracht. Doch sein Name wurde so oft gehandelt, dass er daran nicht glaube, sagt Posch. Mojtaba habe offensichtlich große Ambitionen, weshalb er das auch nicht gänzlich ausschließen wolle. Doch er ist nur einer von vier Söhnen Khameneis. Sein jüngerer Bruder Maysam verfüge in den islamistischen Kreisen über große Anerkennung, in ihm sieht Posch so etwas wie einen möglichen Geheimtipp. Als neuer Präsident komme Maysam aber sicher nicht infrage, eventuell könnte er jedoch im Machtapparat der Kleriker eine größere Rolle spielen.

Mojtaba Khamenei (Bild) zieht es in die Öffentlichkeit. Sein Bruder Maysam steht im Gegensatz dazu nicht im Rampenlicht und könnte vielleicht aus genau diesem Grund eine Personalreserve darstellen.
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Kandidatensuche muss rasch stattfinden

Die Frage sei nun, ob es bei der Kandidatenauswahl Raum für Reformkräfte gebe oder nicht. Bei der Wahl Raisis waren alle chancenreichen Kandidaten vor der Wahl ausgeschlossen worden. Für das Regime müsse allerdings die Blamage der jüngsten Parlamentswahl ein Warnzeichen sein, als die Beteiligung extrem niedrig war. Vorgesehen ist eine Neuwahl des Präsidenten nach spätestens fünfzig Tagen. Dass diese Frist mit einem Wahltermin bereits am 28. Juni nicht ausgereizt wird, lässt auch den Schluss zu, dass man es wegen des massiven Frusts und Zorns in der Bevölkerung eilig hat: Das Regime sieht sich mit der Situation konfrontiert, dass ihm niemand mehr glaubt. Je länger es dauere, desto mehr wird diskutiert, sagt Posch – jedenfalls müsse binnen kurzer Zeit die Kandidatenfrage geklärt sein.

Experte Walter Posch vom Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement.
LVAk

Der Absturz selbst werfe Fragen der Sicherheit auf. Vordergründig ist klar, dass die Kombination aus schlechtem Wetter und altem Flugmaterial, wie es der verwendete Hubschrauber des Typs Bell 212 darstellt, eine logische Unfallursache ist. Allerdings müsse sich die Regierung der Frage stellen, wie zum Beispiel die Anlagen des Atomprogramms geschützt werden sollen, wenn nicht einmal der Präsident sicher von A nach B gebracht werden kann, sagt Posch. Auch, dass Hilfe aus dem Ausland nötig war, um das Wrack zu lokalisieren, und die eigenen iranischen Drohnen dazu nicht ausreichten, während man aber in der Lage war, Israel mit modernen Drohnen anzugreifen, stellt den Sicherheitskräften kein gutes Zeugnis aus. Im Iran werde jedenfalls intensiv über den Absturz debattiert: über die Hintergründe und Schuldigen ebenso wie über technische Daten und Machtfragen. (Michael Vosatka, 21.5.2024)

Vom Hubschrauber des Typs Bell 212 blieb wenig übrig, die Maschine brannte nach dem Absturz aus.
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