Schelladler Flugrouten
Ein Adler als Tiefflieger: Auch die gefährdeten Greifvögel litten unter dem Angriffskrieg Russlands.
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Dass auch Vögel zu Opfern kriegerischer Konflikte werden können, ist nicht weiter verwunderlich. Dank GPS-Sensoren, die an unseren gefiederten Freunden angebracht sind, wissen wir immer mehr über einzelne Schicksale – so etwa über jenes des Gänsegeiers S98. Der wurde in Israel eingebürgert, weil die Bestände dort sehr gering sind, büchste aber prompt nach Syrien aus und drohte zu verhungern. Dort päppelte ihn ein oppositioneller und tierliebender Milizionär auf. Doch wegen des Senders geriet S98 umgehend unter Geheimdienstverdacht. Dennoch gelang die abenteuerliche Rückübersiedlung nach Israel, wie Riffreporter Thomas Krumenacker in der großartigen Recherche Der Friedensgeier 2018 berichtete.

Exkurs: Das Verfolgen der Flugrouten von Greifvögeln kann für Forschende übrigens auch kostspielig werden, wenn es keine entsprechenden Abkommen gibt: Darunter litt ein sibirisches Forscherteam, das 2019 die Routen von besenderten Steppenadlern verfolgte. Ein Tier wählte einen Umweg über den Iran, weshalb immens hohe Roaminggebühren für die automatisch übersandten und nicht abstellbaren SMS des Vogels anfielen, was die Projektkosten sprengte.

Krieg stört Vogelzug

Einem ganz anderen Problem sahen sich Schelladler (Clanga clanga) im Jahr 2022 ausgeliefert, wie Forschende um Charlie Russell (University of East Anglia) Anfang dieser Woche im Fachblatt Current Biology berichten. Sie analysierten die Wanderrouten von 19 Schelladlern, die im März und April 2022 – nur wenige Wochen nach Beginn der russischen Invasion – durch die Ukraine zu ihren Brutgebieten im südlichen Belarus flogen. Die Weibchen kommen aus Überwinterungsgebieten in Griechenland, die Männchen aus Gebieten in Ostafrika – und sind sehr selten: Der Bestand wurde bereits vor 20 Jahren auf rund 1000 Paare geschätzt, weltweit auf 10.000 Individuen.

Die aktuellen Daten verglichen die Forschenden mit 65 Wanderungsbewegungen, die von 20 Vögeln in den Jahren 2018 bis 2021 aufgezeichnet wurden. Die ausgewerteten GPS-Daten zeigten, dass Schelladler nach Beginn der Invasion nicht nur große Umwege flogen, sondern auch die Zwischenstopps zum Ausruhen und "Auftanken" verkürzten oder ganz vermieden. Das Ergebnis: Die gefährdeten Greifvögel flogen im Schnitt um 85 Kilometer – im Extremfall: 250 Kilometer – weiter und brauchten durchschnittlich 55 Stunden länger, um ihre Brutgebiete zu erreichen, und sie mussten wahrscheinlich sehr viel mehr Energie aufwenden. Erstautor Charlie Russell bemüht in der Zeitung The Guardian einen anschaulichen Vergleich: "Das ist so, als ob Sie einen Marathon laufen würden, und am Ende bittet Sie jemand, noch zehn oder zwölf Kilometer weiter zu laufen."

Die veränderten Routen der Schelladler
Die veränderten Routen der Schelladler. Die wenigsten landeten 2022 bei ihrem Zug nach Norden noch in der Ukraine.
Russell et al., Current Biology 2024

Während 90 Prozent der Adler vor dem Konflikt in der Ukraine zwischenlandeten, waren es nach der Invasion nur noch 32 Prozent, wobei einige Orte ganz gemieden wurden. Das Team stellte zudem fest, dass die größten Abweichungen von der direkten Flugroute dort auftraten, wo die militärischen Aktivitäten höher waren. Russell zufolge war das Ausmaß der Beeinträchtigung der Adler jedoch unterschiedlich. Während ein Adler mit dem Spitznamen Borovets trotz intensiver Kämpfe weiter über Kiew flog, änderte ein anderer seine Flugroute, nachdem er im Umkreis von einem Kilometer um Explosionen und Kämpfe am Stadtrand geflogen war. Die neuen Flugrouten seien offenbar spontan als Reaktion auf sporadische Ereignisse vorgenommen worden.

Folgen für den Bestand

Die Forschenden warnen davor, dass die Situation die Fortpflanzung verzögern könnte, da die Adler länger brauchen, um sich zu erholen, und die Überlebenschancen der Jungen beeinträchtigen könnte, da weniger Beute zur Verfügung steht, wenn die Eier schlüpfen. Im Moment könne man zwar nicht viel tun, sagt Russell, aber es sei wichtig, die Belastungen dieser Populationen verstehen, damit wir in einem Post-Konflikt-Szenario nicht nur größere Schelladlerpopulationen unterstützen und ihnen helfen können, sich zu erholen, sondern auch die Ökosysteme als Ganzes.

Philosoph Josh Milburn (Universität Loughborough), der sich in seiner Forschung mit ethischen Fragen zu Tieren und Kriegsführung befasst, sah in der Studie eine Bestätigung bekannten Erkenntnisse über die überwiegend negativen Auswirkungen von Kriegen auf Wildtiere – nicht nur in der Ukraine. (tasch, 22.5.2024)

Anm. der Red.: In einer früheren Version war irrtümlich von Schreiadlern statt von Schelladlern die Rede. (Beide sind "spotted eagles", der eine lesser spotted, der andere greater spotted – und auch für Fachleute nur schwer zu unterscheiden.)