Zwei Lokomotiven ziehen Güterwaggons über eine Eisenbahnbrücke auf der Strecke Innsbruck-München.
Ist eine zentrale Strecke gesperrt, müssen Güterzüge oft großräumig ausweichen. Das kostet Zeit und Geld – und hält den Transport per klimaschädlicherem Lkw auf Trab.
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Ausfälle und Verspätungen ist man bei der Deutschen Bahn (DB) gewohnt. Und auch in Österreich zeigt sich so mancher Fahrgast unzufrieden, auch wenn die ÖBB auf ihre Pünktlichkeit pocht. In den kommenden Jahren jedenfalls werden alle auf die Probe gestellt. Im Zuge einer Generalsanierung will die DB bis Ende des Jahrzehnts 40 Streckenabschnitte auf insgesamt 8000 Streckenkilometern erneuern bzw. verbessern. 45 Milliarden Euro werden dafür fällig, monatelange Streckensperren sind die Folge. Das hat auch Auswirkungen auf Österreich – insbesondere auf den Gütertransport.

"29 Prozent der Züge werden ausfallen, weil sie nicht umgeleitet werden können", warnte etwa Alexander Klacska, Obmann der Bundessparte Transport und Verkehr in der Wirtschaftskammer (WKÖ), mit Hinblick auf vorgesehene Sperren am Grenzbahnhof Passau. Ab 2026 soll die Hauptstrecke zwischen Passau und Nürnberg saniert werden. Dafür sind jeweils zwei fünfmonatige Streckensperren geplant.

Ausgelastete Ausweichrouten

Monetär würde sich dies mit 250 Millionen Euro an Mehrkosten – bedingt durch aufwendige Umleitungen, etwa über Tschechien – niederschlagen. Schließlich laufen rund 73 Prozent aller Exporte und Importe nach und von Deutschland über den bayerischen Grenzbahnhof. Darüber hinaus sei mit Lieferengpässen und geringeren Produktionsmengen zu rechnen, ergänzte Industriespartenobmann Siegfried Menz bei einem gemeinsamen Pressegespräch am Dienstag.

Auch außerhalb der WKÖ ist die Stimmung gedrückt. "Das wird uns auf die nächsten Jahre noch enorm herausfordern", bestätigt Sebastian Kummer, Logistik- und Transportexperte der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. "Das Problem bei der Bahn ist, dass es wahnsinnig schwierig ist, Ausweichrouten zu finden." Viele der Strecken seien innerhalb kürzester Zeit ausgelastet. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass auf Umleitungsstrecken langsamer gefahren wird und ohnehin knappe Transportkapazitäten weiter eingeschränkt werden.

Das begünstigt auch den Transport per Lkw. Da nicht alle 140 Güterzüge, die den Grenzbahnhof täglich passieren, umgeleitet werden können, wird so mancher Container auf die Straße verlagert werden. Ausgehend von Schätzungen der WKÖ könnten rund 400.000 zusätzliche Lkw-Fahrten vonnöten sein.

Lkws fahren Zügen davon

Laut Zahlen der ÖBB hingegen dürften nur 20 Prozent des aktuellen Aufkommens nicht bedient werden können, heißt es auf STANDARD-Anfrage. Damit würden "nur" 280.000 zusätzliche Lkws gebraucht. Das wäre zwar weniger als von Wirtschaftsvertretern befürchtet – ändert aber nichts daran, dass die Straße weiterhin beliebter als die Schiene bleibt.

Laut "Mobilitätsmasterplan 2030" der türkis-grünen Bundesregierung soll die Schiene bis 2040 bis zu 40 Prozent aller Gütertransporte ausmachen, jene auf der Straße auf 57 Prozent zurückgehen. Zum Vergleich: Aktuell liegt der Anteil der Schiene bei nur einem Viertel, nachdem es 2018 noch mehr als 30 Prozent waren. Die Bedeutung des Straßentransports hat zugleich auf 70 Prozent zugelegt.

Gründe dafür gibt es mehrere: Einerseits stiegen die Strompreise im Zuge der Energiekrise stärker als jene für Sprit. Andererseits ist der Schienengüterverkehr kapitalintensiv und unflexibel. So zahlen Eisenbahnunternehmen für jeden gefahrenen Kilometer Schienenmaut, auf der Straße gilt eine fahrleistungsabhängige Maut. Großräumige Umfahrungen – anders geht es oft nicht – sind für Eisenbahnunternehmen damit kostspielig, während Lkws auch kleinräumiger und damit kostengünstiger ausweichen können. Aktuell ist die Schienenmaut zwar für große Teile der Marktteilnehmer ausgesetzt; wie es damit weitergeht, ist aber noch unklar.

Personenverkehr hat Vorrang

Hinzu kommen Personalmangel sowie Lieferengpässe bei Triebfahrzeugen und Güterwagen. Und zu guter Letzt konkurriert der Waren- mit dem Personenverkehr. "Bei der Vergabe der Trassen geht der Taktverkehr vor", erklärt WU-Experte Kummer. Damit seien Personenzüge als Erstes gesetzt. "Güterzüge fahren dann eher in der Nacht oder werden dazwischen reingebracht." Insbesondere in Ballungszentren wie Wien, Nürnberg und München sei das Schienennetz durch Personenzüge derart ausgelastet, dass zu Stoßzeiten keine Güterzüge mehr durchkämen.

All das wird in der Branche schon lange beklagt, Lösungsvorschläge gibt es viele. So schnell und einfach lässt sich aber kaum etwas umsetzen. "Die Innovationszyklen bei der Bahn dauern sehr lange. Wenn man aber nicht jetzt anfängt, schafft man es auch in 15 Jahren nicht", gibt Kummer zu bedenken. Langfristig sei die EU am Zug, kurzfristig spielt er der ÖBB Infrastruktur den Ball zu, die für die Vergabe der Trassen zuständig ist.

Vonseiten der ÖBB-Tochter heißt es, man stimme sich bereits mit den deutschen Nachbarn ab. "Die Auswirkungen für die Fahrgäste im Personenverkehr sollen dabei so gering wie möglich ausfallen." Und auch im zuständigen Verkehrsministerium verweist man darauf, bereits tätig zu sein. So befinde sich eine Novelle des Eisenbahngesetzes in Begutachtung, womit die verfügbaren Kapazitäten künftig besser geplant werden sollen. Bleibt abzuwarten, was dabei herausschaut. (Nicolas Dworak, 21.5.2024)