Senior Boxen Testosteron
Wie beeinflusst das Sexualhormon Testosteron die Lebenserwartung älterer Männer? Neue Untersuchungen geben recht eindeutige Antworten.
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Testosteron, das bei Männern in wesentlich höherer Konzentration als bei Frauen vorkommt, hat einen eher ambivalenten Ruf: Ein hoher Testosteronspiegel scheint mit einem höheren Maß an Aggressivität und asozialem Verhalten bei Männern einherzugehen; zugleich scheint das "Hodenhormon" aber auch die Kooperationsbereitschaft zu fördern. Mitunter steht und stand Testosteron aber auch im Verdacht, das Leben zu verkürzen – nicht nur dank jugendlicher Blödheiten, die womöglich "testosterongesteuert" waren.

Einschlägige Studien an kastrierten Tieren und hodenlosen Männern ergaben ebenfalls, dass diese im Schnitt länger leben. So ermittelte eine 2012 veröffentlichte Untersuchung über koreanische Kastraten, die bis 1910 im Dienste der königlichen Joseon-Dynastie standen, dass deren Lebenserwartung durchschnittlich 15 bis 19 Jahre höher war als die von sozial ähnlich gestellten Männern im gleichen Untersuchungszeitraum. Sehr viel umfangreicher ist die Literatur zur Lebenserwartung nichtmenschlicher Tiere männlichen Geschlechts, denen die Testikel abhanden kamen: So leben kastrierte Kater deutlich länger als nichtkastrierte.

Umfassende Metastudie

Kann wenig Testosteron bei älteren Männern also das Leben verlängern? Nein, behaupten australische Forschende um den Biostatistiker Kevin Murray (University of Western Australia in Perth), die in einer sogenannten Meta-Analyse für das Fachblatt Annals of Internal Medicine die Ergebnisse qualitativ hochwertiger Studien zusammenfassten, in denen Zusammenhänge des Testosteronspiegels mit der Lebenserwartung untersucht wurden. In den ausgewerteten neun Untersuchungen wurden rund 27.000 Männer mindestens fünf Jahre lang beobachtet.

Die Grundaussage der neuen Meta-Studie: Männer über 70 mit niedrigen Testosteronwerten (konkret: weniger als 7,4 Nanomol pro Liter) wiesen ein höheres Sterberisiko auf – auch unter Einbeziehung der wichtigsten Ko-Risikofaktoren.

Der Testosteronspiegel sinkt im Normalfall mit zunehmendem Alter des Mannes – ab dem 30. Lebensjahr um etwa ein Prozent pro Jahr. Dies wird manchmal etwas salopp als männliche Menopause oder Andropause bezeichnet. Dieser Rückgang im Laufe der Zeit ist zumindest teilweise darauf zurückzuführen, dass die Fähigkeit der Hoden langsam nachlässt, Testosteron zu produzieren, und jene Signale abnehmen, welche die Testikel zur Testosteronproduktion veranlassen. Allerdings können auch andere Faktoren diesen Rückgang beschleunigen, darunter chronische Krankheiten.

Korrelation oder Kausalität?

Damit stellt sich freilich die Frage, ob der Zusammenhang zwischen niedrigem Testosteronspiegel und geringerer Lebenserwartung kausal ist – oder eine bloße Korrelation. Anders formuliert: Verursacht ein niedriger Testosteronspiegel Krankheiten, oder wird er durch sie verursacht? Das konnte die konkrete Metastudie nicht beantworten. Doch Studien über Prostatakrebspatienten helfen in der Frage weiter: Ihnen werden nämlich Medikamente verabreicht, die den Testosteronspiegel drastisch senken. Obwohl das gegen Prostatakrebs gut wirkt, erhöht diese Behandlung das Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls. Und diese beiden Erkrankungen gehören zu den häufigsten Todesursache bei Männern.

Ebenfalls auf einen kausalen Zusammenhang deuten Erektionsstörungen hin: Erektionsstörungen treten oft viel früher auf als die Symptome einer Herzerkrankung und können ein frühes Warnzeichen für bestehende oder künftige Herzprobleme sein. Bekannt ist, dass Testosteron einen großen Einfluss auf die Erektionsfähigkeit hat – entsprechend zeigt sich auch hier ein Zusammenhang zwischen dem Testosteronspiegel und Herzerkrankungen.

Bleibt die Frage, welche Konsequenzen aus den neuen Erkenntnissen zu ziehen sind. Testosteronersatztherapien (mittels Gel) bei älteren Männern standen lange im Verdacht, selbst Herzinfarkte zu verursachen. Diese Bedenken scheinen allerdings in der Fachliteratur weitgehend ausgeräumt. Als sicher gilt in jedem Fall die triviale Empfehlung für Männer jeden Alters, den Testosteronspiegel durch einen gesunden Lebensstil möglichst lange stabil zu halten. (tasch, 22.5.2024)