Produkte von Temu
Viel Technik für wenig Geld? So sehen der Handheld und die kabellosen Kopfhörer aus, die bei Temu bestellt wurden.
Brandtner/DER STANDARD

"So ein Schas aus China kommt mir nicht ins Haus", sind die kritischeren Gemüter unter uns geneigt, das Sortiment des chinesischen Onlinehändlers Temu zu kommentieren. Da ist natürlich was Wahres dran. Vergessen wird dabei aber gerne, wie viele Produkte sich über die Jahre bereits in österreichischen Haushalten aufgetürmt haben, die im Reich der Mitte gefertigt worden sind – insbesondere im Bereich der Unterhaltungselektronik.

Altbekannt und doch neu

Seit dem Aufkommen von Temu habe auch ich mich dagegen gewehrt, dort zu bestellen, obwohl mir Online-Marktplätze wie AliExpress, Geekbuying oder Wish nicht fremd sind. Gerade, wenn es um Unterhaltungselektronik oder in meinem besonderen Fall um Retro-Gaming geht, gibt es dort nämlich Produkte (vorwiegend Ersatzteile) zu kaufen, die man hierzulande nicht oder nur sehr schwierig bekommt.

Bei Temu ist die Auswahl in dieser Nische deutlich schlechter, die Preise verdächtig günstig und auch die Dark Patterns wirken subtil wie ein Marktschreier auf Speed. "Dreh am Glücksrad", "Gewinne 100 Euro", "Blitzdeal" oder "Nur noch ein Stück übrig" – seien wir uns ehrlich: So weit entfernt von Amazon ist Temu in dieser Hinsicht zwar nicht, gewaltig nerven tut beides dennoch. Was mich bislang ferngehalten hat, scheint allerdings immer weniger Leute davon abzuschrecken, dort zu bestellen. Lässt sich der Reiz, beim chinesischen Billighändler zu shoppen, irgendwie doch nachvollziehen?

Große Versprechen

Ich habe bei Temu zwei Artikel aus Produktkategorien, in denen ich viel Erfahrung vorweisen kann, möglichst billig ausgewählt und mir angesehen, was sich damit anfangen lässt: kabellose In-Ear-Kopfhörer für knapp vier Euro und einen Handheld (tragbare Spielkonsole) für rund neun Euro.

Die Versprechen sind auf beiden Seiten groß(artig): Die Kopfhörer wollen mit "6D Surround Stereo" punkten, richten mit "One Key" eine Kampfansage an die Touchbedienung der Konkurrenz und sollen besonders bequem zu tragen sein. Dagegen wirkt der Handheld fast schon bescheiden. Er will über einen 3-Zoll-Farbscreen offenbar nur schöne Kindheitserinnerungen aus den 1980er-Jahren wecken – mit 500 Retrospielen, die man als Kind bestimmt nie hatte.

Die Bestellung

Wer bei Temu bestellt, sollte sich durchaus Gedanken über die Daten machen, die er hergibt. In meinem Fall war schon vieles vorhanden, was in diesem Zusammenhang recht nützlich sein kann: Eine eigens für solche Zwecke eingerichtete E-Mail-Adresse, die Telefonnummer eines Wertkarten-Handys, ein Postfach, das Pakete an die tatsächliche Wohnadresse weiterleitet – und natürlich ein PayPal-Konto.

Produkte von Temu
Als Geschenk nur eingeschränkt tauglich: Die Verpackungen sind angekommen, als wären sie direkt aus dem Flugzeug abgeworfen worden.
Brandtner/DER STANDARD

Der Vollständigkeit halber zu erwähnen ist auch, dass noch ein kleiner Akku-Bohrer für einen Einsatz im Miniaturen-/Modellbau in den Warenkorb gewandert ist, um auf den Mindestbestellwert von 25 Euro zu kommen, der zum Zeitpunkt der Bestellung notwendig war. Auf diesen Artikel wird aber an dieser Stelle nicht näher eingegangen.

Eilig darf man es mit der Lieferung jedenfalls nicht haben. Das Paket mit den Waren kam nach neun Tagen mit der österreichischen Post an, einen weiteren Tag für die Weiterleitung nicht miteinberechnet. Der wüste Zustand der Verpackungen, wie er dem Bild zu entnehmen ist, ist nicht auf meine ungezügelte Vorfreude zurückzuführen, die Sachen endlich auspacken – sie kamen in einem Plastiksack tatsächlich so zerknautscht an.

Die Kopfhörer

Auf die Produkte selbst hatte das keinen Einfluss. Im Fall der In-Ear-Kopfhörer konnten ein Case, ein eher symbolisches, weil kurzes Mikro-USB-Kabel und natürlich die beiden Kopfhörer aus dem Blister geschält werden. Der Kunststoff des Case greift sich erwartungsgemäß billig an, die Verarbeitung ist aber weitgehend in Ordnung.

Produkt von Temu
Der Lieferumfang der kabellosen Bluetooth-Kopfhörer.
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Die Bezeichnung "Ladecase" wäre insofern irreführend, als dass man die Kopfhörer über das Case zwar aufladen kann, es aber auf eine Stromzufuhr via USB-Kabel angewiesen ist. Die In-Ears werden also (unterwegs) nicht über einen zusätzlichen Akku im Case versorgt - eine Anzeige verrät immerhin (ungefähr), wie lange die Kopfhörer noch durchhalten. "Spoiler": Je nach Nutzungsverhalten liegt die Laufzeit bei bescheidenen drei Stunden. Das größte Manko ist allerdings der Deckel des Case bzw. dessen Scharnier: Die äußerst filigrane Bauweise lässt darauf schließen, dass das möglicherweise innerhalb weniger Wochen kaputtgehen könnte.

Die Kopfhörer selbst sind aus ähnlich billigem Kunststoff gefertigt wie das Case und verfügen lediglich über ein Paar Silikon-Ohrstöpsel. Wem die nicht passen, muss nochmal ein paar Euro für die richtige Größe drauflegen. Clever: Direkt an die In-Ears geklebt sind kleine Metallgitter, um diese vor dem Eindringen von Staub und Schmutz zu schützen. Die Bedienung erfolgt jeweils über eine Taste an beiden Kopfhörern: Ein einfacher Druck reicht für Start und Pause, mit Doppelklicks regelt man die Lautstärke (rechts leiser, links lauter) und ein Dreifachklick aktiviert den Sprachassistenten am Smartphone (rechts) oder ruft die letzte gewählte Nummer noch einmal an (links).

Produkt von Temu
Ein aufgeklebtes Gitter soll vor Staub und Schmutz schützen. Wem die beiliegenden Silikon-Ohrstöpsel nicht passen, der muss sich um ein paar Euro neue holen.
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Ein wenig überraschend: Die Klangqualität ist bei weitem nicht so schlecht wie es vier Euro befürchten lassen. Dennoch können sie im Testparcours in keinem Genre wirklich überzeugen, weil sie jegliche Klarheit vermissen lassen, Mitten gerne verschlucken und Tiefen auch bei moderater Lautstärke zum Dröhnen neigen. Müsste man den Kopfhörern eine Klangsignatur zuweisen, wäre sie am ehesten noch als V-förmig beschreibbar – um von einer Leichtigkeit der Höhen zu sprechen, müsste man aber schon viel Fantasie aufbieten.

Am schwächsten waren die In-Ears allerdings bei Telefonaten: Hier musste ich mir von den Gesprächspartnern durchgehend die Kritik gefallen lassen, warum ich so schlecht zu verstehen sei oder weshalb meine Stimme plötzlich so hallen würde. Und das von Personen, denen normalerweise nicht einmal auffällt, dass ich überhaupt Kopfhörer zum Telefonieren verwende. Alles in allem wahrlich keine Meisterleistung – aber immer noch erstaunlich, was für vier Euro möglich ist.

Der Handheld

Auch an die Retro-Konsole stellte ich keine Erwartungen. Für neun Euro kann man heutzutage nicht einmal mehr ins Kino gehen, wie viel hat man schon zu verlieren? Design und Ergonomie des Handhelds mit austauschbarem Akku werden jedenfalls sicherlich keine hohen Auszeichnungen mehr gewinnen. Selbst Tricotronics aus den frühen 1990er-Jahren können da innovativere Züge aufweisen.

Bis zu einem gewissen Grad lässt sich aber aus zwei Gründen darüber hinwegsehen. Das farbige LCD-Display ist mit einer Auflösung von 640x480 Pixeln für die Darstellung mehr als ausreichend und wird eher durch die Software limitiert. Die Druckpunkte der Buttons sind beim Testobjekt außerdem wirklich gut und sorgen für eine weitgehend verzögerungsfreie Steuerbarkeit in Spielen. Zu bemängeln ist in diesem Zusammenhang lediglich die Tatsache, dass das klassische Steuerkreuz einem Ring zum Opfer gefallen ist, was bei manchen Spielen Tastenkombinationen unnötig erschwert.

Handheld von Temu
Vorne: der "G5 game player" von Temu. Hinten: der Analogue Pocket, meine bevorzugte Wahl, um Retro-Games unterwegs zu spielen.
Brandtner/DER STANDARD

Das führt auch schon zur größten Schwäche und Mogelpackung des Produkts: Wie man es von fertigen Multicartridges aus der Vergangenheit auch schon kennt, bestehen die angeblich 500 Spiele aus vielen doppelten und dreifachen Versionen oder einfach nur aus Abschnitten ein und desselben Spiels. Hinzu kommen Homebrews (von Privatpersonen programmierte Spiele), Mods und uralte Handyspiele, die offenbar wild zusammengestohlen worden sind.

Unterm Strich bleiben immer noch knapp 50 spielbare Games übrig, darunter Klassiker wie Super Mario Bros., Super Mario Bros. 3, Contra (hierzulande besser bekannt als Probotector), Tetris, Double Dragon oder Road Fighter. Teilweise haben aber auch diese Titel mit einer mangelhaften Systemadaption zu kämpfen, zum Beispiel mit einer zu hohen Spielgeschwindigkeit (im Vergleich zum Original) oder buchstäblichen Bildaussetzern. Wer (nur) so mit Retro einsteigt, dürfte es sich auch schnell wieder abgewöhnen. Ein schnelles Spiel zwischendurch lässt sich damit aber allemal bestreiten – und ist in Summe wohl amüsanter als ein überteuerter Kinobesuch, bei dem der Film mit viel Pech auch noch schlecht ist.

Offene Fragen

Was weder bei den Kopfhörern noch beim Handheld Berücksichtigung findet, sind Haltbarkeit und nicht zuletzt auch die Sicherheit der Geräte. Über den Testzeitraum von einer Woche hatte ich keinerlei Probleme mit beiden Produkten – ob das so bleibt, müsste ein Langzeittest zeigen. Offen gestanden vermitteln die beiden Produkte aber nicht den Eindruck, als würden sie lange halten. Das gilt insbesondere für die Kopfhörer und das Case. Für den Handheld spricht immerhin, dass sich der Akku kinderleicht austauschen lässt – das kann man tatsächlich nicht von allen Retro-Handhelds neuerer Bauart behaupten, auch nicht von teureren.

Ein weiteres Problem betrifft die Rückgabe- und Umtauschmöglichkeit der Artikel: Sollten bei Temu bestellte Artikel kaputt gehen oder es bei Ankunft schon sein, ist die Abwicklung bei weitem nicht so einfach, wie man es von hiesigen Online-Händlern gewohnt ist. Je billiger das gekaufte Produkt, desto eher verzichtet man auch, dem Händler hinterherzulaufen. So sieht man von einem Umtausch ab und findet sich schnell in einem Kreislauf wieder, der nur unnötigen Elektronikschrott produziert.

Keine Empfehlung

Um die eingangs gestellte, indirekte Frage zu beantworten: Was schiefgehen kann, hängt tatsächlich davon ab, wie hoch die Erwartungshaltung ist. In meinem Fall war sie dermaßen niedrig angesetzt, dass ich teilweise sogar positiv überrascht worden bin, was für so wenig Geld technisch drin ist. Beide Produkte konnten zwar nicht einhalten, womit sie beworben wurden. In der vergleichsweise harmlosen Kategorie der Unterhaltungselektronik handelt es sich dennoch um zwei Produkte, die sich im Alltag zweckdienlich verwenden lassen.

Wer nicht jeden Euro umdrehen muss, um sich über das bloße Auskommen hinaus auch mal eine Kleinigkeit zu gönnen, sollte dennoch überlegen, inwieweit er Temu mit solchen oder ähnlichen Einkäufen unterstützen will. Das Problem ist je nach Anspruch offenbar weniger die Qualität der angebotenen Produkte als vielmehr das System, das dahintersteckt. Das kurze Aufflammen meiner Neugier bleibt mit diesem Versuch jedenfalls dauerhaft gelöscht. (Benjamin Brandtner, 23.5.2024)