Mit Rang 32 ist die Pressefreiheit in Österreich laut Bewertung von Reporter ohne Grenzen im Vorjahr auf einen bisherigen Tiefpunkt gesunken. Österreich liegt damit direkt hinter der Republik Moldau und unmittelbar vor Mauretanien. Wie kommt dieses Ranking zustande und ist dieser Platz wirklich gerechtfertigt? Fritz Hausjell, Kommunikationswissenschafter und Präsident von Reporter ohne Grenzen, erklärt im STANDARD-Interview noch einmal genauer, wie Reporter ohne Grenzen reiht. Er äußert durchaus Verständnis für Irritationen über die Platzierung.

Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell ist Präsident von Reporter ohne Grenzen Österreich.
APA Robert Jäger

"Ich verstehe die Irritationen"

STANDARD: Finden Sie den Platz 32 für Östereich im Ranking der Pressefreiheit, zwischen Republik Moldau und Mauretanien, wo das islamische Rechtssystem der Scharia gilt, gerechtfertigt?

Hausjell: Ich verstehe die Irritation. Es tut mir aber leid, dass niemand bisher genauer hingeschaut hat, wie es in den fünf Kategorien unseres Pressefreiheitsindex in Mauretanien aussieht. Denn dass ich kein Freund der Scharia bin, brauche ich nicht extra betonen.

STANDARD: Dann schauen doch wir gerne jetzt näher hin, nach der Bewertung der Experten und Expertinnen von Reporter ohne Grenzen.

Hausjell: Nach Gesamtpunkten unterscheiden sich Republik Moldau, Österreich und Mauretanien mit jeweils 74 nur hinter der Kommastelle. In der Kategorie Politik liegt Moldau auf Platz 42, Mauretanien auf 35, Österreich auf 30. Wo liegen Moldau und Mauretanien besser als Österreich? Im Bereich der gesetzlichen Situation auf Platz 22 und 26, Österreich auf 29 …

STANDARD: … hoffentlich nicht wegen der Scharia.

Hausjell: Natürlich spielt die hinein in die Frage, worüber kann man berichten und worüber nicht. Nein, man müsste sich da genauer anschauen, wie es mit den Mediengesetzen dort genau aussieht, mit der Informationsfreiheit. Wie sich die Scharia in Mauretanien auf den journalistischen Alltag auswirkt, wäre hochspannend, aber da schaut bei uns keiner hin. Wir haben eine superschleißige Afrikaberichterstattung.

Massive Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten

STANDARD: In den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen liegen wir weit schlechter als die Republik Moldau, aber besser als Mauretanien.

Hausjell: Ich kann nicht hineinschauen, wie andere bewertet haben. Ich kann nur vermuten, dass massive Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten auf Social Media in Österreich da eine Rolle gespielt haben. Selbst als eine Journalistin nach Angriffen einen Suizidversuch unternommen hat. Das ist dort sicher noch ein Stück mit drin.

STANDARD: Überraschend finde ich: Im Bereich Sicherheit von Medienmenschen ist Mauretanien auf Rang zehn, Österreich auf Rang 30 und Moldau auf 46.

Hausjell: Ich halte die Punkte für den besseren Maßstab. Wir sind hier 3,7 Punkte schlechter als Mauretanien und zwei Punkte besser als Moldau. Österreich hat sich bei der Sicherheit gegenüber 2022 etwas verbessert. Das ist der geringeren Anzahl von Demonstrationen und damit weniger Angriffen geschuldet.

STANDARD: Die Platzierung gegenüber Mauretanien in Sachen Sicherheit ist dennoch erstaunlich.

Hausjell: Die Landesorganisationen treffen einander einmal im Jahr in Paris, dem Hauptsitz von Reporter ohne Grenzen, und diskutieren solche Themen. Da wird das sicher auch ein Thema sein. Ein Ziel dieser Treffen ist: Wer die Lage in seinem Land evaluiert, sollte es weltweit auf einem ähnlichen Level, nach einem weltweiten Standard tun. Aber sie sind in den internationalen Diskurs nach meiner Beobachtung sehr gut eingebettet. Das sind etwa sehr erfahrene Journalistinnen und Journalisten, Leute aus dem Rechtsbereich, Leute aus der Wissenschaft. Und berechnet wird nach einer einheitlichen Formel. Die Kolleginnen und Kollegen bewerten in anderen Ländern genauso penibel wie bei uns.

Was ist eine Verbesserung, und wann zählt sie?

STANDARD: Am Ende ist die Bewertung aber eine persönliche Einschätzung nach subjektivem Erleben. Wie bei vielen sozialwissenschaftlichen Studien.

Hausjell: Und es gibt natürlich verzerrende Faktoren. Ich sammle relevante Entwicklungen und Vorfälle im Medienbereich über das Jahr, um bei der Jahresbilanz den gesamten Zeitraum im Blick zu haben. Je mehr passiert, desto schwieriger wird es, fair zu bilanzieren. Ich kann nicht beurteilen, wie stark bei den Bewertern der aktuelle Eindruck die Bewertung des Jahres prägt.

STANDARD: Das Informationsfreiheitsgesetz wurde gerade Ende Jänner, zum Ende des Bewertungszeitraums für 2023, vom Nationalrat beschlossen.

Hausjell: Wir diskutieren solche Fragen intern immer wieder: Ist ein beschlussreifer Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz ein großer Schritt vorwärts, oder ist das erst das Inkrafttreten und Wirksamwerden dieses Gesetzes mit September 2025?

STANDARD: Das war einer der Punkte, die mich eigentlich eine bessere Bewertung erwarten ließen: ein endlich beschlossenes Ende des Amtsgeheimnisses.

Hausjell: Manche bewerten das wohl jetzt schon positiv, andere werden sagen: Wir sind immer noch die Letzten in der EU, die das bekommen, und zwar erst 2025. Diesen Spielraum hat jeder in der Einschätzung. Und ein neuer Anlauf der ÖVP für ein Zitierverbot aus Akten war gerade Ende Jänner sehr aktuell, da hat Verfassungsministerin Karoline Edtstadler Reporter ohne Grenzen gegenüber keine Einsicht gezeigt. Die ÖVP hat die Idee jetzt auch nur nach massivem Protest der Chefredakteure und mangels Unterstützung der Grünen fürs Erste in die Schublade gelegt.

"Wir sind kein Index für die Justiz"

STANDARD: Reporter ohne Grenzen hat Österreichs Platz im Ranking unter anderem mit der nun durch Ermittlungen und Chats dokumentierten Inseratenkorruption erklärt. Man könnte auch sagen: überaus positiv, dass diese langjährige Praxis nun von Ermittlungsbehörden aufgearbeitet werden kann und wird, und das etwa so nachhaltig, dass ein Bundeskanzler deshalb zurücktreten musste.

Hausjell: Wir sind kein Index für die Justiz, dafür gibt es Demokratie- und Korruptionsindizes. Wir machen eine Bilanz über die Gesamtentwicklung des Journalismus. Diese Arbeit der Justiz legt die Verhältnisse in Teilen des Journalismus klar auf den Tisch. In unserem Index schlägt das erst positiv zu Buche, wenn die beteiligten Medien und der Gesetzgeber Konsequenzen daraus ziehen. Und das sehe ich ganz und gar nicht.

"Wir haben mehr Transparenz, aber keine Konsequenz. Das ist eine Augenauswischerei."

STANDARD: Es gibt eine Novelle zum Medientransparenzgesetz, die einige Ausnahmen gestrichen hat und von öffentlichen Stellen verlangt, Ziel und Sinn von Werbekampagnen zu erklären.

Hausjell: Wir haben mehr Transparenz, aber keine Konsequenz. Das ist eine Augenauswischerei, anstatt das auf eine faire Basis zu stellen, mit einem Rechtsanspruch der Medien nach ihrer Reichweite. Es ist eine Form von Korruption, wenn einige, die ordentlichen Journalismus machen, weiterhin mit weniger Inseraten bestraft werden. Die Politik und die Medien brauchen gleichermaßen ein Basisvertrauen der Bürgerinnen und Bürger ihnen gegenüber. Das zerstört man mit so korruptiven Verhältnissen.

STANDARD: Ein Leser hat mich gefragt: Was hat Korruption mit Pressefreiheit zu tun?

Hausjell: Wenn ein Medienbetrieb Deals eingeht wie: Für Inserate gibt es freundliche oder auch nur viel Berichterstattung. Dann greift das natürlich in die Freiheit der Journalistinnen und Journalisten ein. Motto: Wir brauchen mehr Schönwettergeschichten über die Regierung oder ein Unternehmen, sonst bekommen wir die Inserate nicht, und dann kann ich Sie nicht mehr zahlen. Aufgabe der Medienpolitik ist es, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Medienbetriebe wieder so zu gestalten, dass sie durch so etwas nicht beeinflussbar sind.

STANDARD: Ich höre, dass mehr als 30 Leute in Österreich die Situation der Pressefreiheit bewerten. Ich verstehe, dass Reporter ohne Grenzen in Ländern wie Russland vielleicht die Bewerterinnen und Bewerter nicht nennen will. Sollte man nicht offenlegen, wer das bewertet?

"Wollen die Evaluatoren schützen"

Hausjell: Reporter ohne Grenzen international steht auf dem Standpunkt: Wir wissen nicht, wie schnell sich die Lage in Ländern stark verschlechtern kann, also müssen und wollen wir die Evaluatoren schützen. Jeder und jede, der oder die evaluiert, kann selbst sagen, dass er oder sie das tut. In der Sozialwissenschaft anonymisieren wir bei weit weniger heiklen Themen und Fragen, um die besten Leute zu kriegen. Wenn ich wirklich ohne Rücksichten reinschreiben soll, was ich von etwas halte, will ich nicht, dass mein Name da drinnen steht.

STANDARD: Was sind die Anforderungen für Bewerterinnen und Bewerter? Wer sucht sie aus?

Hausjell: Wir schlagen der Zentrale in Paris Menschen vor, von denen wir wissen, dass sie das bewerten können. Wir haben relativ viele Menschen aus dem Medienjournalismus unter den Bewertern. Damit haben wir eine relativ große Bandbreite der Einschätzung. Ich versuche möglichst viele dafür zu gewinnen, weil das auch der Vertrauensbildung dient. Wir haben eine sehr hohe Rücklaufquote von 60 bis 70 Prozent.

STANDARD: Mehr als 30, die bewerten, hörte ich korrekt?

Hausjell: Ich sagte nichts, aber ich dementiere gegenüber einem gut recherchierenden Journalisten nicht.

STANDARD: Nach Veröffentlichung des Rankings kam, etwa vom ÖVP-Mediensprecher, die Kritik: Fritz Hausjell muss ja quasi als Mitglied im Bund Sozialdemokratischer Akademikerinnen und Akademiker (BSA) schon aus parteilichen Gründen die Medienpolitik von ÖVP und Grünen kritisieren. Was sagen Sie zum Vorwurf eines politischen Bias?

"In einer Demokratie ist Medienpolitik immer Demokratiepolitik. Sie muss darauf schauen, dass sich Journalismus so vielfältig, so unabhängig wie möglich entwickeln kann."

Hausjell: Auch Vertreter von NGOs können eine politische Haltung haben und haben diese meist auch. Reporter ohne Grenzen Österreich trifft gemeinsame Entscheidungen, wir haben einen sehr starken, sehr breit aufgestellten Vorstand und vier Menschen im Präsidium. Die würden sich mit Recht wehren, wenn sie einer Partei zugeordnet würden. Ich bin auch kein Parteimitglied. Ich fühle mich an keine Parteibeschlüsse gebunden und arbeite in der Berufsgruppe Medien im BSA dort mit. Aber selbstverständlich habe ich eine politische Haltung. Pressefreiheit verstehe ich als gänzlich überparteiliches Grundrecht. Ich würde mir sehr wünschen, wenn das Grundrecht auch in die praktische Medienpolitik der ÖVP stärker einfließen würde. Wir haben jetzt jedenfalls einen Gesprächstermin.

STANDARD: Was kann, was soll Medienpolitik für die Pressefreiheit tun?

Hausjell: In einer Demokratie ist Medienpolitik immer Demokratiepolitik. Sie muss darauf schauen, dass sich Journalismus so vielfältig, so unabhängig wie möglich entwickeln kann. (Harald Fidler)