Ein Rotaugenlaubfrosch sitzt im Dschungel auf einem großen Blatt
Costa Rica wartet mit einer einzigartigen Artenvielfalt auf, darunter der Rotaugenlaubfrosch
Edelweiss / Loren Bedeli

Reisen sind gute Gelegenheiten, etwas Neues auszuprobieren. Vier Kommandos sind beim Rafting zu befolgen, erklärt Luìs, unser Bootskapitän: "forward" und "back" für die Paddelrichtung, weiters "get down", was so viel wie "ducken" bedeutet und bei Gefahr in Verzug zum Einsatz kommt. Das vierte habe ich vergessen, zumindest bei unserer Fahrt kam es nicht zum Einsatz. "50 Prozent fallen raus", fasst Luìs zusammen. "Wenn ihr tut, was ich sage, passiert nichts." Wir gehorchen: "Forward!"

Der Rio Sarapiqui, nördlich von San José, Hauptstadt von Costa Rica, ist bei normaler Wasserführung ein freundlicher Fluss, der Spannung und Entspannung gleichzeitig verspricht. Nach dem Adrenalinkick in den Stromschnellen folgen jeweils kurze Pausen im ruhigen Gewässer, die zum Rundumblick einladen. Man kann sich nicht sattsehen.

Costa Rica gilt als grüne Schönheit Zentralamerikas. Regenwälder werden hier nicht wie anderswo gerodet, sondern geschützt. 26 Prozent des Landes stehen unter Naturschutz. Seit den 1980er-Jahren hat sich die Waldfläche von 26 auf 59 Prozent verdoppelt. In Luftaufnahmen sind 52 Prozent der Fläche grün. Die Artenvielfalt ist geradezu unglaublich. Mehr als 500.000 verschiedene Arten sind in Costa Rica beheimatet. 900 verschiedene Vogelarten sind bekannt, 1.400 tagesaktive und 2.000 nachtaktive Schmetterlingsarten.

Im Tortuguero-Nationalpark

Vulkan, Urwald, Nebel
Der Vulkan Arenal ist seit 1968 daueraktiv. Die heißen Quellen locken viele Touristen an
Doris Priesching

Nicht einmal ansatzweise alle sind bei einem Ausflug im Tortuguero-Nationalpark im Nordosten Costa Ricas zu bewundern. 26.000 Hektar groß ist das Naturschutzgebiet, seine Entstehung eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Bereits 1970 wurde Tortuguero zum Nationalpark erklärt. Vier Stunden sind es von San José zum Flussufer des Tortuguero. Um zu den Unterkünften zu kommen, braucht es weitere eineinhalb Stunden mit dem Boot. Die wenigen Hotels reihen sich entlang des Kanals entlang aneinander und folgen durchwegs einem ökotouristischen Modell, heißt: keine Air-Condition. Natur pur, in der Früh grüßt der Brüllaffe. Die Seitenarme kann man per offenem Boot bei eigenen Trips erkunden. Es ist atemberaubend schön, in den Morgenstunden durch den Dschungel zu gleiten, und es braucht schon die fachkundigen Guides, die die verblendeten Westler auf die Details aufmerksam zu machen, was sich ringsum tut und nicht immer gleich auszumachen ist.

Leguane und Basilisken sonnen sich an lichten Plätzen, Brüllaffen, Kapuzineräffchen schwingen in den Ästen, Kolibris, Tukane, Eisvögel, Montezumastirnvögel flattern über unsere Köpfe, riesige Fischadler kreisen, Faultiere hanteln sich in Zeitlupe von Baum zu Baum, an den Flussufern blitzen die Augen von Krokodilen hervor. Oder sind es Kaimane?

Tortuguero hat aufgrund seiner Landenge auch Strand zu bieten. Im Meer zu baden, ist aber aufgrund starker Strömung nicht zu empfehlen. Insbesondere zwischen Juli und November spielt es sich hier aber aus einem anderen Grund grausam ab. Dann kommen Tausende Wasserschildkröten an den Strand und lagern ihre Eier ab. Das Spektakel lockt nicht nur Touristen an, auch Räuber haben in der Zeit Hochsaison. Insbesondere Jaguare freuen sich auf ein Festmahl und sind offenbar nicht wählerisch. Erst vor zwei Tagen habe ein Jaguar einen Hund attackiert, erzählt ein Bewohner des nahe gelegenen Dorfes. "Es war acht Uhr abends. Die Tiere sind hungrig." Lederschildkröten gibt es seit mehr als 90 Millionen Jahren, heute gelten sie als vom Aussterben bedroht. Schuld daran ist freilich nicht der Jaguar. Vor zwei Jahren ging ein Video der deutschen Meeresbiologin Christine Figgener viral, die einem Tier einen Plastikstrohhalm aus der Nase zog und so auf die Verschmutzung der Meere aufmerksam machte. Es war in Costa Rica.

Land der Vulkane

Menschen, Meer, Wassersport
An der Pazifikseite finden Surfer und Wellenreiterinnen ihr Vergnügen
Doris Priesching

Abwechslungsreich wie die Tierwelt präsentiert sich die Landschaft. Bei durchschnittlich 31 bis 35 Grad Lufttemperatur verteilen sich auf 51.000 Quadratkilometer Regen-, Nebel- und Trockenwälder, im Osten lockt die naturbelassene Karibik, die Pazifikküste im Westen gilt als Paradies für Surfer und Wellenreiterinnen. Dazu gibt es Flüsse, Berge und Vulkane.

Der Vulkan Arenal ist seit 1968 daueraktiv. Wo Vulkane sind, sind heiße Quellen, und die wiederum ziehen Touristen an, die sich bei 35 Grad Außentemperatur im rund 38 Grad warmen Thermalwasser rekeln und strecken und – je nach Verfügbarkeit – an Bars bunte Drinks zu sich nehmen.

Weitaus wichtiger als die touristische Bedeutung der Vulkane ist jene für die Energieproduktion, und auch hier gilt Costa Rica als Vorbild. Sagenhafte 99 Prozent des Verbrauchs stammen seit 2014 aus erneuerbaren Energiequellen – Wasser, Wind und Geothermik. 1972 beschloss die Regierung infolge der Ölkrise den Ausstieg von fossilen Brennstoffen. 2050 will das Land komplett klimaneutral sein. Umweltschutz ist hier kein bloßes Mäntelchen, das man sich umhängt.

Wenn Donna Lucita ihrer Mutter sagen will, dass sie nach Hause kommt, braucht sie dafür kein Mobiltelefon. Donna Lucita ruft. Laut. "Uiiii! Uiiii!", schallt es weit hörbar durch den Wald. Die Antwort erfolgt prompt: "Uiii! Uiii!", tönt es fröhlich zurück. Die Mutter weiß Bescheid, Lucita ist am Weg. Wie man in den Wald hineinruft.

Kurze Zeit später stehen wir beisammen. Lucita, die Mutter und ihr Bruder weihen uns in die Geheimnisse der Zuckerrohrverarbeitung ein. Wir befinden uns in der Hacienda El Viejo, auf der Halbinsel Nicoya, rund vier Fahrstunden von San José entfernt. Hinter dem Haus drängen sich Wasservögel um die besten Plätze.

Stolz und Humor

Bunter Vogel
Der scharlachrote Tangare sorgt für Entzücken bei der Vogelbeobachtung
Doris Priesching

Die Bühne gehört aber Lucita und ihrer Mutter. Mithilfe eines Ochsen erfahre ich, wie früher geerntet, gepresst und produziert wurde. Die Darstellung mag Folklore sein, was soll’s. In Lucitas Vorführung schwingt der Stolz auf ihr Land mit, versehen mit einer Portion Humor. "Hier ist das Zimmer meines Bruders", sagt sie beim Rundgang durch das landestypische Bauernhaus und deutet auf die Eingangstür, vor der eine auf dem Kopf stehende Heiligenfigur angebracht ist. "Das heißt, mein Bruder hat noch keine Frau", sagt Lucita. "Er muss mehr beten", sagt sie und schmunzelt. Uiii! Uiii!

Wo es Zuckerrohr gibt, gibt es auch Rum. Jener aus Costa Rica gilt als Garant für besonders hochwertige Sorten. Lucita hat das Zepter an Roberto übergeben. Der zertifizierte Rummelier zeigt, wie aus dem Erstprodukt Guaro durch entsprechende Lagerung und passende Zutaten das feine Gesöff wird, als das es schließlich in der ganzen Welt verkauft wird. 90 Prozent von Costa Ricas Zuckerrohranbau passiert hier in Nicoya. Die Region ist eine der fünf sogenannten "blauen Zonen", wo Menschen erwiesenermaßen und von der Wissenschaft ungeklärt älter werden als der Durchschnitt. Wenn man Lucita und Roberto in ihrem Element sieht, erhält man zumindest eine Ahnung, womit das zusammenhängen könnte.

Zurück am Sarapiqui. Wir sind waschelnass, aber im Boot geblieben. "Pura Vida!", das Leben ist einfach, wünschen einander die Menschen in Costa Rica bei jeder Gelegenheit, zur Begrüßung, Verabschiedung, wenn sie sich bedanken oder anderen etwas Gutes wünschen. "Pura Vida!", sagt Luís. Er wirkt erleichtert. Im Baum sitzen zwei Aras und krächzen. (RONDO, Doris Priesching, 26.5.2024)