Das Gesetz sieht vor, dass künftig mehr Wälder aufgeforstet, Moore wieder vernässt und Flüsse in ihren natürlichen Zustand versetzt werden.
APA/FRANZISKA ANNERL

Wien/Innsbruck – Die Fronten zwischen ÖVP und Grünen zum EU-Renaturierungsgesetz haben sich am Donnerstag weiter verhärtet. Bei einem Pressetermin bekräftigten Bundeskanzler Karl Nehammer und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (beide ÖVP) ihre ablehnende Haltung zu dem großen europäischen Naturschutzprojekt. Nehammer bezeichnete die geplante Verordnung als "dramatisches Beispiel für den Überregulierungswahn in Brüssel". Totschnig beharrte auf einem Mitspracherecht bei Österreichs Positionierung im EU-Umweltrat, wo die Republik von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) vertreten wird, weil das Gesetz auch die Landwirtschaft betreffe.

Angesprochen auf einen möglichen Alleingang der Umweltministerin sagte Nehammer, dass dies zum Schaden der österreichischen Landwirtschaft sein würde. Bei den Rechtsauffassungen zu einem solchen Alleingang haben die beiden Koalitionspartner unterschiedliche Meinungen.

Landwirtschaftsminister Totschnig in der ZIB-2

Landwirtschaftsminister Totschnig war am Donnerstagabend dazu in der ZIB-2 auf ORF2 zu Gast – und blieb bei seinem "Nein". Dass dahinter Wahlkampftaktik stecke, stellte er in Abrede. In Österreich seien bereits ausreichend geltende Gesetze vorhanden, Biodiversitätsflächen seien ausgedehnt, viel in die Renaturierung des Rheins investiert worden. "Wenn Gesetze schon vorhanden sind, da noch etwas daraufzulegen, das führt zu einer Überbürokratisierung", so Totschnig im Interview. Er habe erst am vergangenen Wochenende einen Bauer getroffen, der sich nicht mehr auskenne. "Wir brauchen einen Naturschutz mit Augenmaß und Sachverstand."

Niemand wisse, welche Flächen in Österreich betroffen seien und welche Kosten entstünden. "Ich kann nicht die Katze im Sack kaufen", so Totschnig. Forscherinnen und Forscher, die das Gesetz gutheißen, kämen vorrangig "aus der Ecke des Umweltschutzes." Als Landwirtschaftsminister müsse er viel mehr "in die Breite" gehen. In Österreich passiere bereits viel – Anreize und Motivation seien wichtiger als Verbote. Seine Position sei klar.

Wien und Kärnten scherten aus

Der Konflikt um die Positionierung ist neu aufgeflammt, nachdem die SPÖ-regierten Länder Wien und Kärnten aus der einheitlichen Ablehnungshaltung der Bundesländer ausgeschert sind. Dadurch ist nach Einschätzung mancher Rechtsexperten, etwa Daniel Ennöckl von der Universität für Bodenkultur, der Weg für Gewessler frei, dem Gesetz als Vertreterin Österreichs zuzustimmen.

Ob Gewessler dieser Rechtsansicht folgen wird, ist offen. Die nächste Gelegenheit bietet sich am 17. Juni in Luxemburg, sofern die belgische Ratspräsidentschaft tatsächlich das Thema erneut auf die Agenda setzt. Politisch stellt sich die Frage, ob die Umweltschutzministerin kurz vor Ende der Legislaturperiode in Brüssel einen Alleingang gegen den Koalitionspartner wagen würde.

Verfassungsjurist sieht "absolutes Neuland"

Andere Rechtsexperten halten diesen Weg für rechtlich unzulässig. Einerseits sei die blockierende "einheitliche Länderstellungnahme" noch nicht aufgehoben, sagt etwa der Verfassungs- und Verwaltungsjurist Peter Bußjäger. "Das Vorliegende reicht auf keinen Fall", meint der an der Universität Innsbruck lehrende Vorarlberger. "Die einheitliche Länderstellungnahme liegt weiterhin vor." Wie diese aufgehoben werden könne, sei "absolutes Neuland", sagt Bußjäger.

Andererseits müsse sich Gewessler selbst bei einer Aufhebung mit mehreren ÖVP-Ministern, neben Totschnig auch Finanzminister Magnus Brunner und Europaministerin Karoline Edtstadler, ins Einvernehmen setzen, bevor sie von der Enthaltung abgeht, sagte Bußjägers Kollege Walter Obwexer am Mittwoch im Kurier. Er verwies auf Paragraf 5 des Bundesministeriengesetzes.

Dem widersprach Ennöckl im ORF-Mittagsjournal mit Hinweis auf Fälle, in denen ÖVP-Minister in der EU einseitige Schritte gesetzt hätten, obwohl grüne Ministerien betroffen waren. Das war etwa beim Veto gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien durch Innenminister Gerhard Karner der Fall. Hingegen hat Gewessler ihren bereits nach Brüssel geschickten Entwurf des Nationalen Energie- und Klimaplans (NEKP) zurückgezogen, als Edtstadler ihn als nicht akkordierte Regierungsposition beeinspruchte.

Österreich könnte den Ausschlag geben

Das Renaturierungsgesetz sieht vor, dass künftig mehr Wälder aufgeforstet, Moore wieder vernässt und Flüsse in ihren natürlichen Zustand versetzt werden. Nach langen Verhandlungen wurde es in einer abgeschwächten Form, die viele der früheren Kritikpunkte wie eine Gefährdung der Ernährungssicherheit berücksichtigte, im EU-Parlament beschlossen. Ende März wurde es jedoch von der belgischen Ratspräsidentschaft beim Rat der EU-Umweltminister kurzfristig von der Agenda genommen, als sich vor der finalen Absegnung keine qualifizierte Mehrheit (mindestens 55 Prozent der Mitgliedsländer, die zudem mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der Union repräsentieren) abzeichnete. Aus EU-Kreisen hieß es, die nötige qualifizierte Mehrheit wäre mit einer Zustimmung Österreichs wohl erreicht, somit könnte das Gesetz in dem Fall erneut zur Abstimmung gebracht werden.

Dafür aber müssten die Bundesländer zuerst einen neuen Beschluss fassen, betont Bußjäger. Bisherige Revisionen von gemeinsamen Bundesländer-Beschlüssen, die ihnen in jenen Angelegenheiten zugestanden werden, die im österreichischen Recht (wie im Fall des Umwelt- und Naturschutzes) Ländersache sind, seien ebenfalls einheitlich zustande gekommen. Dass nun zwei Bundesländer erklärt haben, aufgrund erfolgter Abänderungen des EU-Gesetzesvorschlags ihre ablehnende Haltung aufgeben zu wollen, reiche nicht aus, so der Experte.

Bei neuem Beschluss keine Einheitlichkeit nötig

Eines stellt Bußjäger freilich klar: Für einen neuen Beschluss brauche es keine Einheitlichkeit. Die bisherige Regel sei gewesen, dass mindestens fünf Bundesländer für eine einheitliche Stellungnahme sein müssten und keines explizit dagegen sein dürfe. Wenn sich nun zwei Bundesländer explizit und im passenden formalen Rahmen dagegen aussprächen, sei diese Einheitlichkeit nicht mehr gewährleistet und die Länderblockade aufgehoben.

Dass sich die Grünen mit ihrem Koalitionspartner auf Regierungsebene vor Mitte Juni auf eine gemeinsame Position zum Renaturierungsgesetz einigen können, gilt nicht zuletzt angesichts der ablehnenden Haltung der ÖVP-regierten Bundesländer als ausgeschlossen. Ein Schlupfloch der Bundesverfassung werde sie dafür jedoch nicht nützen können, argumentiert Bußjäger. Auf "zwingende integrations- und außenpolitischen Gründe", die es ihr laut Artikel 23d ermöglichen würden, von einer einheitlichen Länderstellungnahme abzuweichen, werde sie sich nicht berufen können. Dass durch eine Ablehnung des Nature Restoration Law Österreich außenpolitischer Schaden oder der EU integrationspolitischer Schaden entstehe, könne angesichts der ablehnenden Haltung etlicher EU-Länder nicht ins Treffen geführt werden. (ef, APA, rio, 23.5.2024)