Hunger, Verzweiflung, stockende Verhandlungen: Die Lage im Gazastreifen bleibt nach mehr als sieben Monaten Krieg eine humanitäre Katastrophe ohne Aussicht auf Verbesserung. Die israelische Armee hat zuletzt die Angriffe auf Rafah im Süden des Küstenstreifens verstärkt, die Offensive hat UN-Angaben zufolge bereits 900.000 Menschen in die Flucht getrieben. Der Internationale Gerichtshof (IGH) will am Freitag über einen Antrag Südafrikas entscheiden, wonach die israelische Militäroffensive in Rafah gestoppt werden soll.

Außenminister Alexander Schallenberg traf in Riad seinen Amtskollegen, Prinz Faisal bin Farhan Al Saud.
BMEIA/Gruber

Zugleich stocken die Verhandlungen über eine Waffenruhe und eine Freilassung der immer noch über 100 Geiseln, die von der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober in den Gazastreifen verschleppt wurden. Die jüngste Verhandlungsrunde ist vor kurzem ergebnislos zu Ende gegangen. Israels Kriegskabinett wies nun zwar das Verhandlungsteam an, die Bemühungen um eine Freilassung der Entführten fortzusetzen. Ägypten hat zuletzt aber gedroht, sich als Vermittler ganz aus den Friedensbemühungen im Gazakrieg zurückzuziehen.

Schallenberg sieht "Gamechanger"

Um die Zukunft der Palästinenser geht es allerdings derzeit in Verhandlungen auf anderer Ebene: Die USA und Saudi-Arabien sprechen über einen Sicherheitspakt, zentral ist dabei auch eine mögliche Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) bezeichnete diese potenzielle saudisch-israelische Annäherung bei einem Pressebriefing in Riad am Donnerstag als "größten Gamechanger in der Region".

Verhandelt wurde bereits vor dem 7. Oktober, und die Rahmenbedingungen für die bilaterale Einigung zwischen Saudi-Arabien und den USA sollen im Prinzip abgeschlossen sein. Doch mit Israel finden derzeit keine Gespräche statt, Schallenberg sagt mit Blick auf den aktuellen Stand der Verhandlungen, der Zug habe "eine Bremsung hingelegt, ist aber noch nicht entgleist".

Zuletzt waren die Forderungen an Israel gestiegen: Riad verlangte unter anderem ernsthafte Verpflichtungen für eine Zweistaatenlösung mit den Palästinensern. Wie diese konkret aussehen sollen, ist unklar. Möglich wäre ein vager Pfad zu einem palästinensischen Staat ohne konkreten Zeitplan.

Netanjahu vor der Wahl

Auch wenn zuletzt Stimmen nach einem "Plan B", einer abgespeckten Version nur zwischen Washington und Riad, laut wurden, bleiben die USA und Saudi-Arabien – zumindest in öffentlichen Aussagen – bei dem Ziel, das Abkommen inklusive israelischer Beteiligung abzuschließen. So erklärten Vertreter beider Länder immer öfter, wie nah sie einem finalen Paket seien, das sie auch Israel vorlegen würden. Premier Benjamin Netanjahu könne dann entweder den Megadeal annehmen "und sich in Richtung regionalen Friedens und potenzieller Sicherheitskooperation mit Saudi-Arabien bewegen, die dem Iran, ihrem gemeinsamen Gegner, entgegenwirken könnte", zitiert die New York Times anonymisierte Beamte. "Oder ablehnen und den "Kreislauf der israelisch-palästinensischen Gewalt und Israels Isolation in der Region fortsetzen".

Für Saudi-Arabien geht es bei dem Abkommen vor allem um Sicherheitsgarantien im Rahmen eines Verteidigungspakts mit den USA. Auch ein besserer Zugang zu US-amerikanischer KI-Technologie sowie Unterstützung aus Washington beim Aufbau eines zivilen saudischen Atomprogramms liegen für Riad offenbar auf dem Tisch, Urananreicherungsprogramm inklusive. Schallenberg zufolge hoffen die Saudis "gerade angesichts der Rüstungsbestrebungen des Iran auf Zugang zu entsprechender Technologie".

Riad, moralische Autorität

Für die USA bzw. US-Präsident Joe Biden geht es um einen außenpolitischen Erfolg mitten im Wahlkampf und um das Ausbremsen Chinas. Immerhin sieht der Deal Berichten zufolge ein Ende chinesischer Waffenkäufe und die Begrenzung chinesischer Investitionen im Land vor. Vergangenes Jahr konnte China noch den diplomatischen Erfolg rund um die Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran für sich verbuchen.

Israel würde mit dem Deal schließlich die Normalisierung mit Saudi-Arabien, dem reichsten Land der Region und Geburtsort des Islam, bekommen. Das hat vor allem symbolischen Wert und schafft eine stärkere Front gegen den Iran, laut Schallenberg die für Saudi-Arabien "sicher größte Herausforderung" und eine "unberechenbare Variable" in der Region.

In Saudi-Arabien sieht Schallenberg eine "Ordnungsmacht in einer turbulenten Region", aber auch eine Stimme, die "weit über die Region hinaus" gehört wird. Das Land verfüge, etwa als Heimat religiöser Stätten, über moralische Autorität und sei bedacht, "genau solche Stimmen braucht es in der Region", sagt Schallenberg. Die Zeit, als Saudi-Arabien noch als Pariastaat galt, sie scheint vorbei.

Gift für die Stabilität

Das Interesse Saudi-Arabiens an Stabilität und Ruhe in der Region ist freilich vor allem ökonomisch begründet. Die ambitionierte "Vision 2030", deren Kern das Bauprojekt "Neom" mit der CO2-neutralen und autofreien Stadt "The Line" darstellt, soll ein wirtschaftlicher Erfolg werden – auch wenn die Pläne zuletzt offenbar zurückgeschraubt werden mussten und es Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen rund um ein brutales Vorgehen gegen die einheimische Bevölkerung gibt. Neom liegt auch am Roten Meer, wo die Lage durch Angriffe der Huthis auf Frachtschiffe, die die jemenitische Miliz in Zusammenhang mit Israel sieht, seit Monaten angespannt ist.

Die Situation im Jemen und in Gaza sei "reines Gift" für Riads Bemühungen um Stabilität, so Schallenberg vor einem Vieraugengespräch mit seinem saudischen Amtskollegen Faisal bin Farhan Al Saud. Pressestatements nach der Zusammenkunft der beiden Außenminister gab es am Donnerstag keine. (Noura Maan aus Riad, 23.5.2024)