"Nius"-Kopf Julian Reichelt bei den Medientagen Mitteldeutschland in Leipzig im April 2024.
Imago dts Nachrichtenagentur

Alles den Bach runter

Es wird demnächst in Deutschland alles zusammenbrechen und den Bach hinuntergehen. Das zumindest muss glauben, wer sich regelmäßig bei Nius informiert – jenem Onlineportal um Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, das nun beim österreichischen Exxpress einsteigt.

Und wer ist laut Nius schuld daran, dass in Deutschland alles so fürchterlich schlecht läuft? Natürlich: die Grünen. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck etwa, dessen Partei zwar für ein Tempolimit von 130 km/h ist, der aber einmal erklärt hat, er würde auch mal 140 km/h fahren. "Wir haben ein entlarvendes Video von Robert Habeck gefunden, das seine Doppelmoral perfekt enttarnt", meint Nius dazu.

Auch die grüne Außenministerin Annalena Baerbock steht regelmäßig unter Beschuss: "Besserwisser-Baerbock" schreibt das Portal über sie und von einem "Stammel-Interview in den Tagesthemen". Es heißt auch: "Baerbock reist viel, damit schicke und lustige Bilder entstehen."

Wem das zu soft ist, der ist bei Reichelt gut aufgehoben. Er nennt Habeck, Baerbock und die Grünen-Chefin Ricarda Lang "drei der inkompetentesten Menschen des Landes". Habeck sei "Kinderbuchautor mit Hang zum pseudophilosophischen Geschwafel", Baerbock "Trampolinspringerin und Lebenslauf-Frisiererin mit Sprachstörung", Lang "ausbildungslose Studienabbrecherin und freundlich grinsende Beton-Ideologin".

"Achtung, Reichelt!"

"Achtung, Reichelt!" heißt das Videoformat des ehemaligen Bild-Chefredakteurs. Es ist quasi eine Bild-Zeitung in bewegten Bildern. Beim Springer-Blatt war Reichelt bis 2021, dann musste er das Haus wegen Vorwürfen des Machtmissbrauchs verlassen. Er soll einvernehmlich Beziehungen zu Mitarbeiterinnen gehabt haben – was er als "Schmutzkampagne" zurückgewiesen hat.

Nius ging im Juli 2023 online. Hinter dem Portal, das Reichelt eine neue Chance bot, steckt der 73-jährige Informatiker und Unternehmer Frank Gotthardt aus Koblenz (Rheinland-Pfalz). Er hat vor kurzem im Podcast "Rund ums Eck – der Koblenzer Podcast" erklärt, warum er sich für eine Zusammenarbeit mit Reichelt entschieden habe: "Es gibt nicht beliebig viele Menschen, die eine gute Einordnung in ein Gefüge haben und sich da auch verlässlich zeigen, die gleichzeitig enorme Motivation, enormen Energieüberschuss und Charisma haben."

Mittlerweile ist Reichelt geschäftsführender Direktor der hinter Nius stehenden Vius Management SE, er wird im Impressum auch als "Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes" (V.i.S.d.P.) genannt.

"Sicher nicht in der Mitte"

Gotthardt hat im Podcast zudem dargelegt, wo Nius steht: "sicher nicht in der Mitte". Die detaillierte Erklärung lautet so: "Die neue Mitte ist ja links, insofern müssen wir ja rechts von der Mitte sein. Also, in einem Gefüge von vor 30 Jahren wären wir in der Mitte gewesen. Heute sind wir rechts von der Mitte, weil die Mitte nach links gedriftet ist."

Kommentator Ralf Schuler, der früher die Parlamentsredaktion von Bild geleitet hat und nun für Nius schreibt, betont: "Wir erklären, warum man selbstbewusst sagen darf: 'Ich bin rechts, und das ist auch gut so!'" Dementsprechend gibt Nius einen "Überblick über die bemerkenswertesten Köpfe des politischen Umschwungs".

Der lautet: "Wilders, Le Pen, Milei, Meloni: Diese rechten Politiker begeistern Europa und die Welt". Wenn Nius jetzt allerdings beim Exxpress auf "Wachstumskurs" gehen will, wie es Vius-Managing-Director Christian Opitz formuliert, dann dürften die Ösis den Deutschen erst einmal inhaltliche Nachhilfe geben. FPÖ-Chef Herbert Kickl nämlich fällt bei Nius in die Kategorie "unbekanntere Politiker".

"Sommer, Sonne, Freibad-Angst"

Ansonsten findet sich bei Nius viel, was auch Exxpress-Leserinnen (Männer sind mitgemeint) gefallen dürfte. Freibäder sind ein Hort des Schreckens. "Sommer, Sonne, Freibad-Angst", schreibt das Portal und weiß außerdem: "Wo Fleisch gegessen wird, sitzen fröhliche Menschen."

Selbstverständlich kommen auch "Gender-Gaga", "Woke-Wahnsinn" sowie "Propaganda" im "Staatsfunk" nicht zu kurz. Manchmal aber gibt es sogar eine beruhigende Verschnaufpause im permanenten Nachrichten-Alarmismus: "Regen und Hagel in Deutschland: Sommer-Gewitter sind kein Klimawandel!"

Auch Lebenstipps werden geboten. "Was sind die 5 besten Orte zum Auswandern, wenn ich die Migrationspolitik in Deutschland nicht mehr ertrage?", fragt Nius und empfiehlt nebst – eh klar – Mallorca auch Ungarn.

"Als Nachrichten getarnter Kulturkampf von rechts"

"Nius produziert nicht Journalismus, sondern Wut – ohne Rücksicht auf Verluste", schreibt der deutsche Medienkritiker Stefan Niggemeier vom Onlinemagazin Übermedien. Und der deutsche Politikberater Johannes Hillje meinte im Berliner Tagesspiegel: "Julian Reichelts Kanäle verbreiten AfD-Narrative ohne AfD-Logo. Das neue Portal Nius ist als Nachrichten getarnter Kulturkampf von rechts. Es wundert mich, wie bereitwillig Politiker demokratischer Parteien diese Kanäle als Interviewpartner aufwerten."

Reichelt und seine Getreuen sehen das natürlich anders. Man fühlt sich als die "Stimme der Mehrheit" und betont: "Bei Nius arbeiten wir jeden Tag, um Ihnen unabhängigen, unbestechlichen und unbeugsamen Journalismus zu liefern. Fakten statt Propaganda." Bei der für Nius zuständigen Regulierungsbehörde – der Medienanstalt Berlin-Brandenburg – allerdings sind sieben Beschwerden wegen möglicher Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht anhängig. (Birgit Baumann aus Berlin, 23.5.2024)