Von außen betrachtet war Neukaledonien auf einem guten Weg, doch auch dieser basierte auf dem Einsatz von Gewalt: Mit dem Abkommen von Nouméa wurde im Jahr 1998 ein Weg aus einem Konflikt zwischen den Ureinwohnern – den Kanak – und den hauptsächlich europäischstämmigen Zugewanderten skizziert, der die südpazifische Inselgruppe seit den 1970er-Jahren destabilisierte. Die Krisenphase von 1976 bis 1988 wird schlicht "Les Événements" genannt. Diese "Ereignisse" gipfelten 1988 in der Geiselnahme von Ouvéa, als im April kanakische Separatisten der Kanakischen und Sozialistischen Front der Nationalen Befreiung (FLNKS) auf einer der Loyalitätsinseln vier Gendarmen ermordeten und 27 weitere verschleppten. Bei der anschließenden Befreiungsaktion starben Anfang Mai 19 Geiselnehmer und zwei weitere Geiseln.

Diese Gewalteruption ebnete überraschenderweise den Weg in eine friedliche Zukunft: Schon im Juni unterzeichneten die neukaledonischen Unabhängigkeitsgegner unter ihrem Anführer Jacques Lafleur und die Unabhängigkeitsbefürworter unter FLNKS-Chef Jean-Marie Tjibaou im Hôtel Matignon in Paris einen Vertrag. Lafleur hatte zuvor eine strikte Position gegen jegliche Verhandlungen über eine Unabhängigkeit vertreten.

Unabhängigkeitsbefürworter demonstrieren am Rande des Macron-Besuchs in Nouméa.
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Wahlrecht für Nicht-Kanak beschränkt

Dieses Matignon-Abkommen war auf zehn Jahre angelegt und ermöglichte den Kanak weitgehende Mitsprache in den neukaledonischen Provinzen. Neben einer Amnestie für die Geiselnehmer wurde auch die Einleitung eines Unabhängigkeitsreferendums ab 1998 festgeschrieben. Im Abkommen von Nouméa, das Neukaledonien einen eigenen Rechtsstatus zubilligte, wurden dann gleich drei mögliche Referenden beschlossen und auch die weitere Vorgehensweise festgelegt, wie im jeweiligen Falle einer Zustimmung oder Ablehnung einer Unabhängigkeit verfahren werden soll. Obwohl im Nouméa-Abkommen dem nichtkanakischen Bevölkerungsteil strenge Beschränkungen für die Wahlteilnahme an den Referenden auferlegt wurden, gingen die ersten beiden Referenden im Jahr 2018 und 2020 zugunsten der Unabhängigkeitsgegner aus, wobei sich der Abstand verringerte.

Seit 2022 steht auf dem Friedensplatz vor dem Rathaus in Nouméa dieses Denkmal, das an das Matignon-Abkommen von 1988 erinnert. Dargestellt sind der Unabhängigkeitsgegner Jacques Lafleur (links) und der Unabhängigkeitsbefürworter Jean-Marie Tjibaou, die im Hôtel Matignon in Paris eine Vereinbarung schlossen, die den Weg für das Abkommen von Nouméa zehn Jahre später ebnete.
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Boykottiertes Referendum

Für Dezember 2021 wurde nach gemeinsamen Konsultationen das dritte und letzte Referendum angesetzt, für das sich die Kanak zunächst große Chancen ausrechneten. Doch Umfragen deuteten darauf hin, dass auch die dritte Abstimmung einen Verbleib bei Frankreich ergeben würde. Vonseiten der Kanak wurde zunächst eine Verschiebung des Referendums auf September 2022 gefordert und die Abstimmung schließlich boykottiert, wobei die Corona-Pandemie als Begründung herhalten musste – lediglich 3,5 Prozent stimmten daher für die Unabhängigkeit. Während das erste und zweite Referendum in ihrem Ausgang unstrittig sind, ist das Ergebnis des dritten zwar rechtlich korrekt zustande gekommen, wird jedoch aufgrund der Umstände von den Kanak nicht anerkannt.

Barrikaden und ausgebrannte Autos in Nouméa.
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Unterschiedliche Rechtsformen

Während die Regionen Mikronesien und Melanesien – wo Neukaledonien liegt – hauptsächlich aus unabhängigen Nationen bestehen, ist der Großteil der Gebiete Polynesiens nicht selbstverwaltet. Hier haben die Franzosen noch Französisch-Polynesien sowie Wallis und Futuna. Auch Neuseeland, Australien, die USA und Großbritannien verwalten Gebiete in der Pazifikregion.

DER STANDARD

In den französischen Überseebesitzungen spielen Unabhängigkeitsbestrebungen unterschiedliche Rollen. Dies spiegelt sich auch in den verschiedenen Kategorien wieder, in die die Gebiete von La France d'outre-mer rechtlich eingeordnet sind. Zum Teil sind die französischen Besitzungen offizieller Teil der EU, aber nicht des Schengenraumes und haben auch den Euro als Währung. Den wenigsten Menschen in der Eurozone ist bewusst, dass sie dieses Faktum tagtäglich in ihrer Geldbörse herumtragen: Auf der Rückseite der Euroscheine sind Außengebiete anderer Eurostaaten – auch Französisch-Guyana, Guadeloupe, Martinique und Réunion –abgebildet. Mayotte ist seit 2014 ebenfalls EU-Gebiet, hat es jedoch nicht auf die Banknoten geschafft. Diese Départements et régions d'outre-mer (DROM) haben denselben Status wie ihre Entsprechungen im französischen Mutterland.

Im Gegensatz dazu haben die Collectivités d’outre-mer (COM) jeweils einen Sonderstatus in der Verfassung, diese Loi organique regelt, welche Gesetze in den Gebieten Anwendung finden. Zu den COM gehören Französisch-Polynesien, Wallis und Futuna, Saint-Pierre und Miquelon, Saint-Barthélemy und Saint-Martin. Lediglich die Außen- und Verteidigungspolitik unterliegt ausschließlich der Zentralregierung in Paris. Zum Teil haben sie den Euro als Währung, Saint-Martin ist sogar EU-Gebiet.

Sonderfall Neukaledonien

Neukaledonien hingegen ist ein Sonderfall, durch das Nouméa-Abkommen und die folgenden Verfassungsänderungen hat der Archipel den Status eines Collectivité sui generis und damit weitreichende Autonomie.

DER STANDARD

Während der ungelöste Konflikt Neukaledoniens wieder offen zutage getreten ist, konnten in anderen Gebieten die Fragen von Unabhängigkeit oder Zugehörigkeit zum Mutterland mit demokratischen Prozessen geregelt werden. In Mayotte bestand lange Zeit der "statut personnel" – die Einwohner konnten entscheiden, ob sie französischem Recht oder dem muslimischen Recht unterstehen wollten. Doch 2009 sprachen sich in einem Referendum mehr als 95 Prozent dafür aus, ein vollwertiges französisches Département zu werden, wofür der Statut personnel durch das französische Rechtssystem ersetzt wurde. Auf Mayotte melden auch die benachbarten Komoren Ansprüche an, und auch durch die Uno gibt es keine Anerkennung des französischen Überseegebietes – offensichtlich im Gegensatz zu den Wünschen der Einwohner.

Chinesische Expansion

Insbesondere im Pazifikraum werden Konflikte zunehmend auch durch Chinas Expansionspolitik angeheizt. Peking versucht, seinen Einfluss hier beständig zu vergrößern. Die strategisch wichtige Region ist nicht nur von sicherheitspolitischer Bedeutung, sondern verfügt auch über reiche Rohstoffvorkommen, im Falle Neukaledoniens zum Beispiel die drittgrößten Nickelreserven der Welt. Aber auch Aserbaidschan hat überraschenderweise seine Finger im Spiel: Baku nutzt die Gelegenheit, um Frankreich zu bestrafen – schließlich hat Paris den aserbaidschanischen Erzfeind Armenien unterstützt. Deshalb pflegt Baku offensichtliche Beziehungen zu den Kanak-Separatisten: Diese führten bei ihren Protesten auch aserbaidschanische Flaggen und Porträts des Präsidenten Ilham Alijew mit sich. Dieser nannte in der Vergangenheit die französischen Überseegebiete, insbesondere Neukaledonien, "hässliche Überreste des französischen Kolonialreichs". (Michael Vosatka, 23.5.2024)