Die Motive von Vize-Finanzminister Maurizio Leo waren löblich, aber das Timing vielleicht etwas suboptimal. Ausgerechnet zweieinhalb Wochen vor der Europawahl hat er per Dekret, also per Notrecht, das Comeback des sogenannten "redditometro" verordnet. Das Einkommensmessgerät – so die wörtliche Übersetzung – ist die umstrittenste und invasivste Waffe gegen Steuerhinterziehung, die in Italien je ersonnen wurde. Mit seinem einsamen Entscheid hat Leo in der eigenen Regierungskoalition in ein Wespennest gestochen: "Unter meiner Regierung wird kein steuerlicher 'Big Brother' eingeführt", beeilte sich Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu versichern. Auch die beiden Koalitionspartner Lega und Forza Italia zeigten sich entsetzt. Logisch: "In einem von Steuerhinterziehern bevölkerten Land wie Italien, wo die bloße Erwähnung der Steuerpflicht ein Tabu darstellt, droht eine solche Maßnahme kurz vor den Wahlen zum Eigentor werden", kommentierte der Corriere della Sera am Donnerstag die Aufregung.

Italiens Premierministerin Giorgia Meloni blickt zur Seite.
Meloni will es sich mit dem italienischen Wahlvolk nicht verscherzen.
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Mit dem "redditometro" können die Steuerbehörden kontrollieren, ob das deklarierte Einkommen eines Steuerpflichtigen in etwa mit seinem Lebensstil kompatibel ist. Wenn also zum Beispiel Herr Rossi ein Jahreseinkommen von 15.000 Euro deklariert und gleichzeitig einen Ferrari und eine Yacht besitzt und seine Kinder in Privatschulen schickt, schlägt der "redditometro" Alarm. Denn das System gleicht die Daten von über hundert Datenbanken ab: Geprüft werden etwa die Anmeldungen von Autos, die Kundendateien von Versicherungen und Privatschulen, die Register der Gesundheitsämter und vieles mehr. Liegen die vom "redditometro" gesammelten und aufaddierten Ausgaben um 20 Prozent über dem deklarierten Einkommen, muss der betreffende Steuerpflichtige beim Steueramt antraben und eine plausible Erklärung für die Differenz liefern.

In anderen Staaten schwer möglich

Der "redditometro", der in vielen Ländern wohl an den Datenschutzbestimmungen scheitern würde, war 2010 eingeführt worden und hat es den Steuerbehörden erlaubt, Abertausende von sogenannten "evasori totali", also Totalhinterziehern, ausfindig zu machen. Gemeint sind gutbetuchte Zeitgenossen, welche auf ihrer Steuererklärung – sofern sie überhaupt eine solche einreichen – auf der untersten Kolonne eine große Null hinschreiben, trotz ihres aufwendigen Lebensstils. Die populistische Regierung aus der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega unter Premier Giuseppe Conte hatte das Instrument dann aber im Jahr 2018 ausgesetzt – mit der Begründung, dass die automatisierten Kontrollen des Staates immer die Falschen träfen und die Freiheit der Bürger in unzulässiger Weise einschränkten.

Der "redditometro" blieb bis heute auf Eis gelegt – bis ihn Maurizio Leo nun per Dekret erneut zu aktivieren versuchte. Das Instrument, betonte der Vize-Finanzminister, der Giorgia Melonis postfaschistischen Fratelli d'Italia angehört, sei im Sinn der ehrlichen Steuerzahler und diene in erster Linie dazu, die großen Steuerhinterzieher zu überführen. Aber Leo hat die Rechnung ohne seine Chefin gemacht: Nach einem Tag, an dem in Rom von nichts anderem als dem "redditometro" geredet wurde, erklärte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Mittwochabend in einem denkwürdigen Video-Auftritt auf Facebook, dass die Reaktivierung erst einmal aufgeschoben werde – bis nach den Wahlen. Dann werde man sehen, inwieweit das Instrument noch angepasst werden müsse.

Millionen Schummler

Die italienische Rechte hat sich bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung noch nie besonders hervorgetan. Unter dem mehrfachen ehemaligen Premier Silvio Berlusconi, der wegen Steuerbetrugs in dreistelliger Millionenhöhe verurteilt worden war, wurde alle paar Jahre eine Steueramnestie erlassen. Auch unter Meloni, die Steuern schon als "staatliches Schutzgeld" bezeichnet hat, sind bereits mehrere kleinere und größere Geschenke an Schummler und Säumige gemacht worden. Steuern zahlen in Italien fast nur Angestellte mit Lohnausweis und Pensionisten – also diejenigen Bevölkerungsgruppen, die vor dem Fiskus nichts verstecken können. Sie kommen für 86 Prozent der Einkommenssteuern auf. Die Millionen von Selbstständigen und Freiberuflern dagegen zahlen weniger als fünf Prozent ein. Sie sind für den größten Teil der Steuerhinterziehung verantwortlich, die in Italien bei der Einkommenssteuer auf über 30 Milliarden Euro jährlich geschätzt wird. (Dominik Straub aus Rom, 24.5.2024)