Bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) absolvieren Staatendelegierte und beratende Personen dieser Tage Sitzung nach Sitzung. Bis kommenden Montag, den 27. Mai, sollen – so lautet an sich der Plan – der Pandemievertrag sowie die Novelle der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHS) stehen. Doch das sei inzwischen höchst unwahrscheinlich, erzählte Nina Jamal von Vier Pfoten International am Freitag dem STANDARD. Jamal nimmt für die Tier- und Umweltschutzgruppe an den Konsultationen teil.

WHO-Direktor Tedros vor dem WHO-Logo
Bei Impf- und Maßnahmengegnern ist WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus eine Persona non grata. Doch auch von anderer Seite gibt es Vorwürfe gegen ihn.
Foto: Reuters/Fabrice Coffrini

Ab kommendem Montag tagt das höchste Entscheidungsgremium der WHO, die Weltgesundheitsversammlung. Zumindest der dortige Beschluss der Gesundheitsrichtlinien galt bisher als sicher. Bis Freitagmittag waren laut Jamal aber auch die Verhandlungen über diesen Text noch nicht beendet. Möglich ist, dass statt der fertigen Texte am Dienstag ein Bericht sowie eine Roadmap präsentiert wird, um in Arbeitsgruppen weiter zu verhandeln.

Österreich verhandelt im Rahmen der EU

Der Pandemievertrag soll dafür sorgen, dass in Zukunft weltweit koordinierter auf Gesundheitskrisen wie den Corona-Ausbruch reagiert werden kann. Nach seinem Beschluss auf WHO-Ebene muss er von jedem der 194 Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation ratifiziert werden. Österreich verhandelt im Verbund der Europäischen Union.

Gerungen bis zuletzt wird laut Jamal vor allem um die im Pandemievertrag enthaltenen Regelungen zur Weitergabe genetischer Informationen über gefährliche Erreger. Die Länder des Globalen Südens fordern dafür Entgegenkommen beim Zugang zu Seuchenbekämpfungsmitteln, vor allem Impfstoffen. Allein dazu gab es in einem dem STANDARD vorliegenden Vertragsentwurf, Stand 10. Mai 2024, vier Vorschläge. "Mindestens 20 Prozent", "bis zu 20 Prozent", "mindestens zehn" oder "nicht weniger als zehn Prozent" der Impfstoffe sollen zu nicht profitorientierten Preisen weltweit zur Verfügung gestellt werden.

One-Health-Ansatz geschwächt

Umkämpft bis zuletzt sind aber auch die Bestimmungen rund um den One-Health-Ansatz im Pandemievertrag, mit denen ein besseres Zusammenwirken von Human- und Tiermedizin sowie Umweltwissenschaften ermöglicht werden soll. Etliche Staaten des Südens wollten diese Regelungen erst akzeptieren, wenn der Impfstoffzugang geklärt sei. "Prävention mit Impfstoffzugang zu verbinden finden wir sehr schade", sagt Jamal. Der One-Health-Ansatz fördere die Pandemievorsorge, was wesentlich kostengünstiger sei als die reine Vorbereitung auf Pandemien. Die meisten gefährlichen Erreger stammen aus dem Tierreich, und ihre Übertragung steht in engem Zusammenhang zum Umgang mit Tieren und der Umwelt.

In Österreich bringen beide Abkommen vor allem Impfgegnerinnen und Corona-Maßnahmen-Kritiker in Harnisch. Am Donnerstag gingen diesbezüglich bei Talk im Hangar-7 von Servus TV die Wogen hoch. Auf Grundlage der Gesundheitsvorschriften könne WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus künftig auch bei Biodiversitätsrisiken und Klimaextremen den Notstand ausrufen und den Staaten damit etwa Lockdowns empfehlen, sagte die Medizinerin und Spitzenkandidatin der bei der EU-Wahl antretenden Liste DNA, Maria Hubmer-Mogg.

Harte Bandagen bei "Talk im Hangar-7"

Aus Hubmer-Moggs Worten spreche "eine begnadete Ahnungslosigkeit", reagierte Clemens Martin Auer, Ex-Sektionschef im Gesundheitsministerium und Ex-Vizevorsitzender des WHO-Exekutivrats. "Alle Macht bei der WHO geht von den Staaten aus. Tedros ist nur ein Frühstücksdirektor", sagte er. Ein Durchlesen des dem STANDARD vorliegenden Letztentwurfs der Gesundheitsvorschriften lässt das plausibel erscheinen. Entscheidungen über einen Gesundheitsnotstand seien lediglich Empfehlungen an die Mitgliedstaaten, die diesen folgen können oder auch nicht, ist dem 60-seitigen Text zu entnehmen.

Tedros sei ein Sicherheitsrisiko, meinte der deutsche Publizist Roland Tichy dennoch: "Dann hätten wir nach 1945 auch den Nazidoktor Mengele an die Spitze stellen können", formulierte er. Moderator Michael Fleischhacker unterbrach daraufhin die Diskussion über den äthiopischen WHO-Chef.

Unter Maßnahmengegnern ist Tedros schon lange eine Persona non grata – doch auch von anderer Seite wurden Vorwürfe gegen ihn formuliert. Als äthiopischer Außenminister soll er tödliche Übergriffe auf Zivilisten durch Sicherheitskräfte unterstützt haben. 2021 beantragte der US-Ökonom David Steinman beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eine Anklage gegen Tedros wegen Beteiligung an Völkermord. Seither gab es keine weiteren Schritte des Gerichts. (Irene Brickner, 24.5.2024)