Gernot Kulis
Gernot Kulis war bis zur U19 österreichischer Teamfußballer.
Franz Neumayr

Wien – Kabarettist Gernot Kulis möchte für Nachhaltigkeit sorgen, er hat deshalb in der Seestadt eine Fußballschule eröffnet. Er selbst wäre fast ein toller Kicker geworden. Immerhin ist er Botschafter von Meister Sturm Graz.

STANDARD: Ist Fußball lustig?

Kulis: Per se ist er nicht lustig. Wenn du Fan bist, ist er praktisch nie lustig. Fußball ist euphorisch, positiv oder negativ, es geht immer um die Wurst. Die Erwartungshaltung ist hoch, dadurch gibt es automatisch eine große Fallhöhe auch beim Schmäh. Ich suche andere Zugänge. Ich habe per se keine Angst vor Frankreichs Fußball, vielmehr vor der französischen Sprache. Die klingt so niedlich. "Bâton de sang" heißt "Blutgrätsche", klingt aber eher nach einer Art Versöhnung.

STANDARD: Die nächste depperte Frage: Sie haben mit der Kampfmannschaft von Sturm Graz trainiert, um doch zu scheitern, es ging abwärts in die Regionalliga zu Hartberg. Wie verkraftet man das? War Trauerarbeit nötig, schließlich ist ein Traum geplatzt?

Kulis: Ich bin einer, der sich mit Traurigkeit oder einer Enttäuschung nicht lange aufhält. Ich suche gleich nach Lösungen, wie es weitergeht. Ich war als Mittelfeldspieler U16- und U18-Kapitän von Sturm, Teamspieler bis zur U19 unter Paul Gludovatz. Meine Option war, es zu schaffen. Ivica Osim hat mich früh raufgezogen, ich habe mittrainiert, Einsätze in Tests gehabt. Aber es hat letztendlich nicht gereichet, dafür gab es Gründe.

STANDARD: Welche?

Kulis: Es muss zwischen 16 und 19 alles passen. Ich hatte Schwierigkeiten mit dem Wachstum, die anderen wurden besser. Dann kam das Bosman-Urteil, auf einmal waren zehn Legionäre da. Durch die Wachstumsschübe war mein rechtes Bein plötzlich sieben Millimeter kürzer, ich hatte Muskelfaserrisse, der Fokus lag oft auf dem Fitwerden und nicht dem Ausmerzen von Schwächen. Als ich aufgehört habe mit 25, hat mein neuer Wirbelsäulentherapeut gesagt, das rechte Bein ist nicht kürzer, sondern das linke länger. Zuerst dachte ich, er macht einen Gag. Das Bein war aber nicht ganz in der Hüftpfanne drinnen, mit einem Handgriff war das erledigt. Das hätte man damals sehen können. Da waren Ivica Vastic oder Hannes Reinmayr bei Sturm eine andere Liga. Mein Gesamtpaket war nicht gut genug. Aber ich habe nicht groß gelitten, habe mich schon damals mit Kabarett beschäftigt und Persönlichkeiten imitiert.

STANDARD: Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Profifußballern und Kabarettisten?

Kulis: Ja, es rennt da und dort der Schmäh, auf der Bühne oder in der Kabine. Als Kabarettist ist man freiwillig lustig, als Fußballer manchmal unfreiwillig.

STANDARD: Der Fußball hat Sie nie losgelassen. Sie sind seit Jänner 2016 Ehrenbotschafter von Sturm.

Kulis: Ich bin Botschafter, nicht Ehrenbotschafter. Ich bin Botschafter quasi ohne Ehre, bin dem Verein gegenüber sehr nahestehend und vermittle das gerne. Eigentlich bin ich Fan, jeder Fan ist Botschafter.

STANDARD: Sie eröffneten in der Seestadt Wien eine Fußballschule, die Soccerbase. Was hat Sie angetrieben?

Kulis: Meine Kinder sind acht und zwölf, der Bub spielt bei der Vienna, meine Tochter spielt auch Fußball. Mir ging es darum, abseits vom Verein eine Möglichkeit zu schaffen. Mit einer professionellen Betreuung, dafür sorgen Trainer Nino Martinovic und sein Team. Man kann für 99 Euro im Monat oder 799 im Jahr jederzeit kommen, ohne Verpflichtungen, die U-Bahn fährt vor unsere Haustür. Erwachsene sind willkommen. Kinder sollen Spaß haben. In unserem Bildungssystem wird wenig Wert auf Sport gelegt, dabei ist er wichtig für die Integration. Bewegung belebt den Geist. Wir kommen mit Körper und Geist auf die Welt, und auf den Körper wird oft vergessen. Das verstehe ich nicht. Außerdem legen die Kinder während des Sports das Handy weg.

Soccerbase Kulis
Gernot Kulis' Soccerbase (rechts) in der Seestadt.
Soccerbase

STANDARD: Sind Sie Fußballromantiker?

Kulis: 1998 bin ich mit dem Wohnmobil nach Paris zu WM gefahren, die Stimmung war toll, wir haben unterm Eiffelturm Fußball gespielt, Schuhe als Tore aufgestellt, drei Österreicher gegen drei Italiener. Kein Polizist, viele Zuschauer, ein Wahnsinnserlebnis. Ich habe Sehnsucht nach Unbekümmertheit, nicht nach irgendwelchen Terrorwarnungen.

STANDARD: Was bedeutet Ihnen der Meistertitel von Sturm? Eine romantische Geschichte, oder?

Kulis: Es ist ähnlich wie Leverkusen in Deutschland, Salzburg kann man punkto Dominanz mit Bayern München vergleichen. Jetzt gibt es eine Mannschaft, die das Double holt. Durch harte Arbeit und die perfekte Umsetzung einer Philosophie. Es ist wahnsinnig lässig, hat einen Wert.

STANDARD: Kommen wir zur EM in Deutschland. Was erwarten Sie?

Kulis: Ich bin bei jedem Spiel der Österreicher live dabei. Was mir so taugt: Wir sind eine völlig andere Nation geworden. Wir müssen auch als Fans lernen, dass es das Österreich von früher, wo immer etwas Misstrauen geherrscht hat, im Fußball nicht mehr gibt. Wir haben einen Kader von 30 Spielern, die alle top und in Topligen engagiert sind. Wir sind überall vertreten. Die Mentalität kippt ins extrem Positive. Es ist wahnsinnig viel drinnen. Funktioniert eine Mannschaft, kommt sie total weit – siehe Island. Dänemark und Griechenland wurden sogar Europameister. Bringt Frankreich nicht hundert Prozent, haben sie gegen die Energie der Österreicher vermutlich keine Chance.

STANDARD: Teamchef Ralf Rangnick, ein Wunderwuzzi?

Kulis: Er versteht es, mit den Spielern auf Augenhöhe umzugehen und ihnen eine klare Richtung vorzugeben. Die einzelnen Spieler sind top, deswegen ist "Wunderwuzzi" vielleicht nicht das richtige Wort. Es geht hier auch um Empathie, und die scheint er zu haben. Ich hätte persönlich nicht verstanden, wäre er zu Bayern München gegangen. Außerdem ist es aufregender und dankbarer, mit Österreich vielleicht in ein Halbfinale zu kommen, als mit den Bayern Meister zu werden.

STANDARD: Auffallend ist, dass ihr Stimmenimitatoren noch immer von Krankl, Prohaska und Polster lebt. Warum kann man nicht Laimer, Baumgartner oder Alaba parodieren? Arnautovic geht gerade noch.

Kulis: Es liegt nicht nur an den Spielern, sondern vor allem an uns, weil wir uns nicht quälen wollen. Bei den neuen Spielertypen, die durch die Entwicklungen der Vereine und Akademien zugegeben etwas glatter sind, brauchen wir länger. Vermutlich sind wir dafür zu faul. Wir würden Laimers Stimme schon hinbringen. Und auch die von Rangnick. Vielleicht kommt eh noch was.

STANDARD: Ergänzen Sie den Satz: Ohne Fußball wäre die Welt ...

Kulis: ... emotionsloser. (Christian Hackl, 27.5.2024)