Kapstadt – Bei den Wahlen in Südafrika geht es mehr denn je um die Frage, wie die Nation ihr enormes Potenzial nutzen kann. Denn eigentlich müsste das Land florieren. Das Durchschnittsalter beträgt 28 Jahre, nicht zu alt wie im Westen, nicht zu jung wie in Westafrika. Die Ratio von Bürgern im arbeitsfähigen Alter im Vergleich zu Kindern und Senioren ist günstig. Südafrika könnte gerade seine "demografische Dividende" einfahren, so wie China ab den 1990er-Jahren.

Die Fangemeinde des ANC wird kleiner.
REUTERS/Siphiwe Sibeko

Stattdessen verharrt das Land vor den Wahlen am kommenden Mittwoch in einer tiefen Krise. Seit der Einführung der Demokratie im Jahr 1994 stieg die Arbeitslosigkeit kontinuierlich auf aktuell 33 Prozent – die höchste Arbeitslosenquote der Welt. Auch die Mordrate ist auf einem 20-Jahre-Hoch. Erhebliche Schuld daran trägt der dauerregierende African National Congress (ANC), bei dem der einst als wirtschaftsaffin geltende Präsident Cyril Ramaphosa den rechenschaftslosen Staatsverfall unter seinem Vorgänger Jacob Zuma nicht umkehren konnte.

Den laut Umfragen erstmals drohenden Verlust der absoluten Mehrheit versucht der ANC mit immer neuen staatlichen Ausgaben zu verhindern. Öffentliche Beschäftigungsprogramme sollen Millionen Jobs bringen, das öffentliche Gesundheitssystem soll auf das Niveau des privaten angehoben werden. Wie das umgesetzt werden soll, weiß angesichts der stagnierenden Wirtschaft niemand – auch nicht der ANC. Nur jeder zehnte Südafrikaner zahlt Einkommenssteuer.

Inkompatible Player

Doch auch bei einem Fall von zuletzt 57 Prozent unter die signifikante Marke von 50 Prozent wird Ramaphosa weiterregieren. Die einst gefeierte Befreiungsorganisation profitiert von der Unvereinbarkeit seiner wichtigsten Rivalen. So sind die liberal geprägten Oppositionsführer der Democratic Alliance (DA) inkompatibel mit den linksradikalen Economic Freedom Fighters (EFF). Und von Zumas neuer MK-Partei lassen alle die Finger. Am wahrscheinlichsten gilt eine ANC-Koalition mit einer kleineren, unbedeutenden Partei.

Davon gibt es Dutzende, die zur Zersplitterung der Opposition beitragen. Hinzu kommen viele Millionen Nichtwähler. Zwar haben sich 28 Millionen Südafrikaner und damit rund 75 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung registrieren lassen – mehr denn je. Doch davon werden wohl nur etwa 60 Prozent ihre Stimme abgeben. Das könnte dem ANC zugutekommen. Analysten beobachten, dass sich enttäuschte Anhänger meist dem großen Heer der Wahlverweigerer anschließen. Und nicht anderen Parteien. (Christian Putsch, 26.5.2024)