Und er schaffte es doch: Am Sonntag begann Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron einen knapp dreitägigen Staatsbesuch in Deutschland. Es ist der erste Besuch dieser Art eines französischen Präsidenten seit 24 Jahren.

Vor einem Jahr schon wollte Macron Deutschland seine Aufwartung machen, aber in Frankreich kam es nach dem Tod eines jungen Autofahrers durch einen Schuss aus einer Polizeipistole im Juni vergangenen Jahres landesweit zu schweren Krawallen, und Macron hätte die brenzlige Lage in Paris oder Marseille nicht gut aus der Ferne mitverfolgen können. Die mehrtägige "visite d'Etat" wurde sehr kurzfristig vertagt.

Präsidenten stellen sich dem Berliner Publikum: Frank-Walter Steinmeier und Emmanuel Macron.
REUTERS/Nadja Wohlleben

Jetzt wird sie nachgeholt. Nur brennt es in einem Winkel Frankreichs gerade von neuem: Das französische Überseegebiet Neukaledonien nordöstlich von Australien ist seit einer Woche im Bann schwerer Krawalle, weil sich die angestammte Bevölkerung durch eine Wahlrechtsreform benachteiligt fühlt. Sieben Tote sind zu beklagen, Hunderte von Autos ausgebrannt, die Schäden gehen in die Milliarden. Macher Macron reiste am Donnerstag eilig in das 18.000 Kilometer entfernte Inselarchipel, um die Lage zu beruhigen. In Berlin fragte man sich schon bang: Wie lange wird er in der aufrührerischen Südsee bleiben? Die deutschen und die französischen Diplomaten atmeten erst auf, als Macron am Freitag wieder im Präsidentenflieger saß und Richtung Paris abhob.

Der verschobene Staatsbesuch vom Sommer 2023 schuldete seine Existenz aber auch einer ziemlich turbulenten "Sequenz", wie sich die Berliner und die Pariser Diplomaten ausdrücken. Sie erinnern sich ungern daran: Im Oktober 2022 hatte Macron eine geplante gemeinsame Sitzung der deutschen und der französischen Regierung in Fontainebleau "wütend" (so die Zeitung Le Monde) abgesagt. Der Grund war die europaweite Initiative von Olaf Scholz für einen Raketenschirm namens Sky Shield. Der deutsche Kanzler gewann dafür 21 Partnerstaaten – aber nicht Frankreich, das es allerdings für undenkbar hält, an einem europäischen Projekt nicht beteiligt zu sein.

Jetzt der Neustart

Paris hat indessen sein eigenes Abwehrsystem und kann sich nicht damit abfinden, dass Scholz auf amerikanische Technologie setzen will – und sich nicht einmal mit Paris absprach, was in der Merkel-Ära noch selbstverständlich gewesen war –, daher die schnöde Absage der gemeinsamen Regierungstagung. Um die Wogen zu glätten, lud Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seinen Amtskollegen aus Paris für Juli 2023 zu einem Staatsbesuch ein. Der dann eben krawallbedingt vertagt werden musste.

Umso reichhaltiger ist nun das Programm. Macron besucht Sonntag bis Dienstag drei Städte – und noch mehr Stätten. In Berlin holt man die deutsch-französische Regierungssitzung nach und trifft sich zu einem Galadinner, an dem auch Ex-Kanzlerin Angela Merkel zugegen sein soll. Macron wird ferner in einem Park an der Spree an einem Fest der Demokratie teilnehmen, um die 75 Jahre deutsches Grundgesetz mitzufeiern. Wie aus dem Élysée-Palast verlautete, erachtet es der französische Präsident als eine "große Ehre", als erster Staatsgast einer Feier in diesem Zusammenhang beizuwohnen.

Macron wird auch dem jüdischen Memorial einen Besuch abstatten, wobei er unter anderem von den französischen Nazijägern Serge und Beate Klarsfeld begleitet wird. Dieser Umstand sorgt nicht in Berlin, aber in Paris für Stirnrunzeln, haben die Klarsfelds doch unlängst den Rassemblement National (RN) der Rechtspopulistin Marine Le Pen mit den Worten, sie sei "nicht rechtsextrem", gleichsam geadelt. Aber das ist französische Innenpolitik – oder doch auch Europapolitik?

In Dresden wird der Staatsgast aus Paris an einem Round-Table-Gespräch zum Thema Innovation und Künstliche Intelligenz teilnehmen und eine "Europarede" halten. Vor der Frauenkirche wird er sich in der Rede an die "europäische Jugend" wenden. Ob er den Redetext seines geplatzten Staatsbesuchs von 2023 wieder aus der Schublade ziehen wird? Damals war eine Rede mit "starkem Geschichtsbezug" geplant.

Zweckgemeinschaft oder echte Partnerschaft? Emmanuel Macron hat mit Olaf Scholz offenkundig mehr Probleme als mit dessen Vorgängerin Angela Merkel.
Reuters /Annegret Hilse

In Münster wird der französische Präsident sodann den Preis des Westfälischen Friedens – der den Dreißigjährigen Krieg beendete – entgegennehmen. Unter den 350 Gästen dürfte auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sein, was von Pariser Auguren dahin gedeutet wird, dass Macron bei der Neubestellung der EU-Kommission nach den Europawahlen die Deutsche erneut unterstützen könnte.

Heikles Thema Ukraine

Für einen weiteren Aktualitätsbezug sorgt die Deutsche Friedensgesellschaft Münster: Sie organisiert eine Demo gegen die offensive Ukraine-Politik Macrons, "der den Krieg mit der Diskussion um die Entsendung von Bodentruppen anheizt und eine Eskalation bis zum Atomkrieg provoziert". Diese starken Worte werden in Paris und in Berlin aber relativiert: Macron hat seinen umstrittenen Aussagen bisher keinerlei Taten folgen lassen. Im Gegenteil, Scholz hat in der Debatte um Taurus-Raketen auch schon darauf hingewiesen, dass die "übrigen Europäer" – Macron durfte sich angesprochen fühlen – für die Ukraine "mehr tun" könnten. Frankreich liegt bei den versprochenen Rüstungslieferungen für Kiew effektiv weit zurück.

Macron schlägt deshalb eine europäische Anleihe vor, also eine kollektive Schuldenaufnahme für die Bewaffnung der Ukraine. Mit einem ähnlichen Vorgehen gegen die Covid-Pandemie hatte Macron 2020 bei Merkel Erfolg gehabt. Bei Scholz dürfte er auf mehr Widerstand stoßen. Auch deshalb dürften die beiden das strittige Thema bei dem Staatsbesuch meiden.

Umso wortreicher werden sie die im April erfolgte Einigung auf den Bau eines deutsch-französischen Panzers feiern. Allerdings kommen auf jede Einigung zwei neue Differenzen. Frankreich will die Zölle auf chinesische E-Autos vervielfachen – Deutschland befürchtet Folgen für seine Autoexporte. Frankreich will keine EU-Freihandelsabkommen – Deutschland schon. Frankreich eröffnet mit dem EPR in Flamanville gerade eine neue AKW-Generation – Deutschland geht in die Gegenrichtung. Eigentlich erstaunlich, wie solide die transrheinische Beziehung trotz allem ist. "Alternativlos" nannte sie Merkel einmal – und genau diesen Eindruck wird auch der Staatsbesuch vermitteln. (Stefan Brändle aus Paris, 26.5.2024)