Heide Schmidt, Gerold Riedmann, Moderatorin Claudia Reiterer, Larissa Krainer und Yussi Pick in
Heide Schmidt, Gerold Riedmann, Moderatorin Claudia Reiterer, Eva Glawischnig, Larissa Krainer und Yussi Pick in "Im Zentrum".
Screenshot: ORF On

"Es war richtig, dass DER STANDARD diese Dinge öffentlich gemacht hat." Ex-Politikerin Heide Schmidt bezieht klar Position in der Bewertungsdebatte rund um die Investigativrecherche des STANDARD mit rechtlich überprüften und belegten Interviews rund um die Grünen-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl Lena Schilling. Es geht vor allem um die Veröffentlichung des Vorwurfs, sie sei von einem Journalisten sexuell belästigt worden.

Das hatte sich nach Überprüfung durch den Arbeitgeber als nicht wahrheitsgemäß herausgestellt. Den Vorwurf der sexuellen Belästigung zu verschweigen, sei keine Option, bekräftigt STANDARD-Chefredakteur Gerold Riedmann. Er wiederholt, dass jeder Beistrich, jeder Halbsatz juristisch geprüft und beweisbar ist. Sonst hätte es keine Veröffentlichung gegeben.

Eva Glawischnig, Ex-Bundessprecherin der Grünen, findet das "grenzüberschreitend, so im Privaten herumzuwühlen". Man wisse ja nicht, was wirklich passiert sei. Das sei allerdings kein Freispruch. Sie kriege eine "Allergie" bei anonymen Zitierungen. Dass die Namen der Personen dem STANDARD bekannt sind und zu deren Schutz anonymisiert wurden, erkennt sie nicht an. Sie plädiert für mehr Freiheit für junge Menschen. Allerdings sagt auch sie, dass die Krisenkommunikation der Grünen "verbesserungswürdig" sei.

"Im Zentrum": Politik, eine Charakterfrage?
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Grenzlinien

Als Glawischnig argumentiert, es sollten doch besser ebenso viele Ressourcen zum Wühlen bei Harald Vilimsky und Reinhold Lopatka aufgewendet werden, regt sich Schmidt wirklich auf. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht so tun, als würde hier eine Jagd auf jemanden stattfinden, ich finde das absurd", sagt sie zu dieser Strategie. Wenn das Gefühl da sei, jemand komme mit Mitteln ans Ziel, die man nicht akzeptieren kann, dann müsse man öffentlich darüber reden.

Die Grenzlinie zwischen öffentlich und privat könne bei Politikerinnen und Politikern nicht "mit dem Lineal" gezogen werden, so Schmidt. Da gehe es um viele Dinge, etwa um Demokratiebewusstsein, etwa um Haltung, um Verantwortung als Mandatarin. Mit dem Finger auf andere zu zeigen, statt darüber zu reden, sei "Unkultur". Riedmann wirft ein, dass niemand geschrien habe, als DER STANDARD in der Vorwoche Chats von Peter Westenthaler veröffentlichte, in denen er seinen Vizekanzler um Haftverschonung bat.

Medienethikerin Larissa Krainer beruft sich auf Aristoteles und die zwei Dimensionen von Verstand und Tugenden, welche zu lernen seien. Die medienethischen Standards in Österreich beschreibt sie als "gut". Dass sich nun der Presserat des Themas angenommen hat, ebenfalls. Yussi Pick, Kampagnen- und Kommunikationsberater, attestiert, es sei "sehr sensibel" bei dieser Recherche gearbeitet worden. Nicht Chats seien das Problem, sondern das Verhalten.

Was ist nun genau Integrität in der Politik, will Moderatorin Claudia Reiterer wissen. Pick antwortet: "Nicht korrupt zu sein ist schon einmal eine gute Baseline." Für ihn ist auch angesichts der Inszenierungswelt der Social Media zentral, dass das öffentliche Bild und der echte Mensch nicht allzu weit voneinander entfernt sind. Ob Lena Schilling zurücktreten sollte? Riedmann: Diese Bewertung müsse sie selbst, müssten die Grünen vornehmen. (Karin Bauer, 27.5.2024)