Caspar Einem: "Der Staat muss dort eingreifen, wo sonst das Recht des Stärkeren gewinnt."

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Mit dem Ex-SP-Minister sprach Renate Graber.

STANDARD: Ich habe Ihnen Spenden-Erlagscheine mitgebracht, wofür würden Sie geben? Das "Tatblatt" gibt es nicht mehr.

Einem: Eingegangen?

STANDARD: Nein, eingestellt.

Einem: Von den Erlagscheinen würde ich Menschen für Menschen oder Unicef nehmen.

STANDARD: Wie wär's mit dem Verein der Freunde der Polizei?

Einem: Die kommen ganz gut zurecht, die brauchen meine Spende nicht.

STANDARD: Ihre Spende für die Anarcho-Zeitung "Tatblatt" hat Sie 1995, als Sie drei Wochen Innenminister waren, enorm unter Druck gebracht. Bereuen Sie die Spende?

Einem: Ich habe als Staatssekretär 1000 Schilling für die Finanzierung eines Gerichtsverfahrens Haider gegen Tatblatt gezahlt, mir war durchaus bewusst, dass das heikel ist. Das Verfahren hat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit einem Erfolg des Tatblatts geendet. Ich habe also eine gerechte Sache unterstützt. Vor meiner Zeit in der Politik hatte ich 5000 Schilling für eine Druckmaschine springen lassen.

STANDARD: Sie mögen Druckmaschinen, Sie haben mit Ihrem Sohn, als der klein war, immer eine kleine Druckerei in Wien-Hernals besucht.

Einem: Ist ja auch was Schönes. Ich habe an der Zeitung übrigens mitgeschrieben, die dort gemacht wurde.

STANDARD: Die Zeitung hieß "Betrifft Sozialarbeit", Ihr Teil für Bewährungshelfer "Drinnen & Draußen". Als Innenminister waren Sie ja bald draußen, Sie hielten sich nur 22 Monate.

Einem: Ich hätte die Schlacht im Innenministerium gewonnen, es waren erste Knospen neuen Grüns erkennbar, aber dann war es leider vorbei.

STANDARD: Sehen sie bei der Polizei heute auch Knospen?

Einem: Nein. Der Laden ist kaputt. Von der Affäre Horngacher abwärts zeigt sich, dass das Gesamtsystem abgrundtief verunsichert ist. Es ist ein Desaster, das mit den Jahren der Entwurzelung vor allem unter Ernst Strasser zu tun hat.

STANDARD: Sie waren dann unter Viktor Klima Wissenschafts- und Verkehrsminister, unter Alfred Gusenbauer außenpolitischer und Europa-Sprecher der SPÖ. Jetzt, nach 13 Jahren Politik, gehen Sie. Zu einem Bedarfsflugunternehmen. Neuerdings ein Faible fürs Fliegen?

Einem: Brauche ich nicht, davon gibt es bei Jetalliance genug. Ich bin für Internationalisierung, Personal und Strategie zuständig. Und: Jetalliance ist einer der größten Flugzeughändler Europas, die Bedarfsfliegerei ist nur eine Nische.

STANDARD: Sie suchen zunächst einen strategischen Partner?

Einem: Man hat schon einen in Aussicht: die fünftgrößte russische Bank. Mit ihr soll eine Tochter in Russland gegründet werden.

STANDARD: Putin: ein lupenreiner Demokrat?

Einem: Nein. Aber es ist ihm gelungen, einen ziemlich verlotterten Staat einigermaßen in Ordnung zu bringen.

STANDARD: Einer der Jetalliance-Eigner ist Lukas Lichtner-Hoyer, kennen Sie ihn aus Wagrain? Er kommt von dort, Sie waren dort immer Schilehrer...

Einem: Aus Wagrain kenne ich seinen Vater, den berühmten Hauptmann Lichtner-Hoyer.

STANDARD: War doch Oberst und berühmter Springreiter?

Einem: Ja, aber als ich ihn kennen lernte, war er Hauptmann. Da gab's den berühmten Bundesheer-Ausbildner Heinrich Thun, Hammerwerfer, und Lichtner-Hoyer, Springreiter.

STANDARD: Warum waren Sie ein Jahr Freiwilliger beim Bundesheer? Glaubt man bei einem Ex-Bewährungshelfer kaum.

Einem: Ich stamme mütterlicherseits aus einer Familie, die Bismarck heißt, und da waren alle stramme Reiter und Offiziere. Meine Überlegung war die: Falls es einmal ernst wird, ist es besser, man ist Offizier und nicht Mannschaft.

STANDARD: Mit 59 werden Sie vom Nobelsozialisten, wie Sie der "Trend" nennt, zum Turboprop-Kapitalisten? Oder wollen Sie noch schnell Geld verdienen?

Einem: So fett sind die Tröge nicht. Ich bin Anhänger des regulierten Markts, der Staat muss dort eingreifen, wo sonst das Recht des Stärkeren gewinnt. Junge, die ihre Marx-Engels-Seminare besucht haben, fragen mich allerdings, wie ich ein Linker sein kann, wo ich doch Positionen vertrete, die in der Bergpredigt stehen könnten. Damit kann ich aber leben.

STANDARD: Stichwort Predigt: Als Politiker wollten Sie die Welt verbessern. Was nun?

Einem: Diesen Anspruch als meine Hauptaufgabe lege ich am 31. Oktober zurück. Jetzt werde ich hauptberuflich Manager. Was ich aber sicher bleibe, ist Sozialdemokrat.

STANDARD: Sie sagen, "ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge aus der Politik". Mich wundert, dass Sie jetzt erst gehen und ein Auge weint. Sie galten als "Minister für innere Werte", "soziales Gewissen der SPÖ", als Sie sich 2000 gegen Karl Schlögl als SP-Chef bewarben, wollten Sie eine "liberalere, bürgerrechtsnähere" SPÖ. Passen Sie zur SPÖ Gusenbauers?

Einem: Ich hatte im Sommer 2004 ein Gespräch mit Gusenbauer, wollte erfahren, was er mittelfristig mit mir vorhat. Er hat deutlich gesagt: nix. Das hat Klarheit geschafft, war eine befreiende Antwort. Aber: Ich bin nicht in die SPÖ eingetreten, weil die eine Wärmestube ist, sondern, weil ich etwas ändern wollte, an der Realität, in der Gesellschaft – und an der SPÖ. Darum bin ich jetzt auch nicht enttäuscht, sondern dankbar, dass ich's machen durfte.

STANDARD: Wo haben Sie etwas verändert?

Einem: Ich war in allem wirksam. Nicht immer auf spektakuläre Weise: Im Innenministerium haben wir etwa den katholischen Polizeipfarrer eingeführt, meinem Vorgänger Löschnak war das nicht gelungen. Mein Kalkül: Wenn es Polizisten gibt, die in ihrer Not, die sie im Dienst mitunter empfinden müssen, zu einem Pfarrer gehen, ist mir das immer noch lieber, als sie verlangen eine größere Puff'n (Pistole; Anm.) oder gehen zu den Freiheitlichen.

STANDARD: Ich will nicht despektierlich sein, aber ist das nicht sehr bescheiden?

Einem: Mir hat immer die Tendenz zur eröffnungsfähigen Politik gefehlt, wo die Blasmusik spielt und man Schnüre durchschneidet. Es geht nicht darum sichtbar zu sein, sondern darum, wirksam zu sein.

STANDARD: Wirksam? Sie sind gegen Studiengebühren, die SPÖ hat sie entgegen ihrem Versprechen nicht aufgehoben. Sie sind für ein liberaleres Fremdenrecht, SPÖ mit ÖVP hat ein strenges beschlossen.

Einem: Die Abschaffung der Studiengebühren ist einfach nicht rein gegangen mit den Schwarzen. Politischen Grund, jetzt zu gehen, sehe ich dennoch keinen, die Verhältnisse sind nicht so, dass man fliehen muss. Aber ich habe jetzt ein Angebot gehabt, das mich hinreichend interessiert und den Eindruck, ich verlasse kein sinkendes Schiff, sondern eines, das auf Kurs ist.

STANDARD: Irmtraud Karlsson hat Sie 1977 für die SPÖ geworben...

Einem: ... ja, am Staatsfeiertag, vor genau 30 Jahren....

STANDARD: ...gratuliere, waren Sie feiern?

Einem: Ja, aber aus einem anderen Grund: Weil ich zehnjährigen Hochzeitstag hatte.

STANDARD: Nochmal zum Fremdenrecht: Sie haben sich 2005 vor der Abstimmung krank gemeldet. Warum haben Sie sich nicht damals aus der Politik verabschiedet?

Einem: Den-Hut-drauf-hauen ist vielleicht eine nachvollziehbare Aktion, aber mit Politik hat das nichts zu tun. Politik ist, wie Max Weber richtig gesagt hat, das Bohren dicker Bretter. Da muss ich geduldig sein, auch Dinge schlucken, die nicht meins sind. Ich habe beim Fremdenrecht bis zum letzten Moment in der Klubsitzung darum gekämpft, dass es nicht angenommen wird. Ich habe verloren. Und bin dann heimgegangen.

STANDARD: Ich verstehe es nicht: Warum haben Sie nicht dagegen gestimmt?

Einem: Das ist von außen auch schwer nachvollziehbar. In einer großen Partei geht es darum, im Inneren den Ausgleich zu finden. Außen gegen die eigene Partei zu stimmen, führt zu Verletzungen, die nicht mehr heilen.

STANDARD: Ist es nicht egal, ob ich für alle sichtbar heimgehe oder mit Nein stimme?

Einem: Es. Ist. Nicht. Egal.

STANDARD: Wie sehen Sie die Debatte im "Fall Arigona"? Die "Krone" schreibt plötzlich für eine Ausländerfamilie, die illegal im Land ist.

Einem: Elend, vollkommen absurdes Theater, mit dem Geld verdient wird. Wenn es ein liebes Kindergesicht ist, haben's alle gern. Dieser Fall hat mit Asyl nichts zu tun, es hat nichts funktioniert: Das Asylverfahren hat zu lange gedauert, die Fremdenpolizei nicht rechtzeitig abgeschoben; nach fünf, sechs Jahren kann man nicht mehr abschieben, das ist brutal. Platter hätte humanitären Aufenthalt gewähren können. Auch in meiner Zeit als Innenminister waren die Gesetze nicht sehr lieblich, aber man kann bei Härtefällen versuchen, menschliche Lösungen zu finden. Das ist möglich. Ich habe damals versucht, andere Ausländergesetze zu schaffen, bin mit meinem Reformvorschlag aber gescheitert. Ich war mit der ÖVP einig, aber im entscheidenden Moment hat mich mein eigener Klub im Stich gelassen.

STANDARD: Dabei wollten Sie gern Bundeskanzler werden.

Einem: Nein, ich hatte diesen Ehrgeiz nicht, sonst hätte ich mich anders verhalten. Der Innenminister ist dafür kein günstiges Sprungbrett.

STANDARD: Sprungbrett schon, aber nach unten...

Einem: ...in den Gatsch.

STANDARD: Sie hätten sich jetzt im Fall Arigona gut positionieren können.

Einem: Ich bin außenpolitischer Sprecher meiner Partei, ich muss nicht nachgackern in einem Bereich, in dem ich nicht mehr tätig bin.

STANDARD: Untypisch für einen Politiker?

Einem: Vielleicht unorthodox, aber ich hatte auch nie das Bedürfnis, Populist zu sein. Mein Haltung in Fremdenrechtsfragen ist weithin bekannt, dafür muss ich den Mund nicht aufmachen, dafür reicht es, dass ich da bin.

STANDARD: Aber so verändern Sie nichts.

Einem: Das würde ich so nicht sehen.

STANDARD: Dann dürften Sie jetzt aber erst recht nicht gehen.

Einem: Es stimmt halt auch nicht, dass man nie gehen darf.

STANDARD: Was wollten Sie denn werden, damals, in der Sandkiste?

Einem: Autobuschauffeur zwischen Ramsau am Dachstein und Schladming. Eine Strecke mit schrecklichen Kehren, ist mir damals sehr gefährlich vorgekommen. Die Fahrer dieser Busse waren die Helden.

STANDARD: Sie haben dann aber brav am Akademischen Gymnasium maturiert, Jus studiert, in einer großen Wohnung am Alsergrund gelebt und waren dabei, Banker zu werden, hatten schon Praktika bei Privatbanken in Köln und Paris. Plötzlich wurden Sie Bewährungshelfer. Emanzipation vom Großbürgertum?

Einem: Das ging nicht plötzlich, es fing an, mir fad zu werden, in den Banken habe ich mit vielen grauen Mäusen gearbeitet. Ich habe während meines Studiums viele Leute übungshalber verurteilt, auf die Idee, dass die in Wirklichkeit im Gefängnis sind, bin ich nicht gekommen. Ich habe dann ein Praktikum in einer Strafanstalt in Köln absolviert. Da wurde ich mit einer sozialen Realität konfrontiert, die mir als behütetes Großbürgerkind völlig fremd war.

STANDARD: Stimmt es eigentlich, dass Sie alle Opern Ihres Vaters Gottfried von Einem auswendig singen und rezitieren können?

Einem: Summen und Pfeifen.

STANDARD: Seit Ihrer Jugend malen Sie. Warum eigentlich so gern dicke Frauen?

Einem: Beim Zeichnen habe ich einen Hang zum Hässlichen. Aber ich male nicht nur dicke Frauen. Bei figürlichen Formen will ich sehen, ob man mit wenigen Strichen den Eindruck hervorrufen kann, den sie als Lebende hervorrufen.

STANDARD: Wie gefällt Ihnen die SPö, die Sie beruflich verlassen?

Einem: Die SPÖ hat mir nie gut genug gefallen, als dass ich mich zurücklehnen hätte können. Das ist jetzt nicht anders.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, Sie hätten aufgrund Ihrer Erziehung "keine Angst vor den Großen, keine Lebensangst". Wie meinen Sie das?

Einem: Ich erzähle es Ihnen an einem Beispiel. Mitten in den Tatblatt-Turbulenzen war ich zu einem informellen Besuch beim deutschen Innenminister Manfred Kanter eingeladen. Unser Botschafter hat mir erklärt, was für ein Herrenreiter der ist, das werde ganz fürchterlich, auch wegen der Tatblatt-Geschichte. Wir kommen ins Ministerzimmer, dort hängt ein großes Porträt von Otto von Bismarck. Da sage ich: "Herr Minister, ich freu mich, dass ich hier sein darf, zumal es ein gutes Omen ist, dass Sie meinen Urgroßonkel an der Wand hängen haben." Er ist zerflossen und aus war's, mit der Herrenreiterei. Niemand hat ihn je so freundlich und weich gesehen. Ich habe daheim gelernt, wie man mit großen Leuten umgeht, wir hatten immer wieder mal Minister zum Abendessen, mir wurde beigebracht, dass man sich vor niemandem fürchten muss. Das ist sehr, sehr hilfreich. Gerade, wenn man sich einer Schlacht stellen muss.

STANDARD: Letzte Frage: Worum geht's im Leben?

Einem legt den Kopf schief. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27./28.10.2007)