Eckart Witzigmann – mal ohne Kochjacke

Foto: helge kirchberger/red bull hangar-7

Hier ist Ellbogentechnik gefragt. Im Entree des Salzburger Restaurants Ikarus im Hangar-7 drängen sich die Gäste. Sie alle sind gekommen, um Eckart Witzigmann zum Geburtstag zu gratulieren. Und natürlich, um das neue Menü des vor kurzem mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants zu essen. Der Star des Abends bleibt entspannt und tut, was man von ihm verlangt. Hände schütteln da, ein kurzer Smalltalk dort – den verschmitzt grinsenden Mann scheint nichts aus der Ruhe zu bringen. Nicht mehr zumindest.

Witzigmann, der gerade seinen 75. Geburtstag feiert, hat nahezu alle Preise und Auszeichnungen erhalten, kochte für die Queen und George Bush und schrieb unzählige Kochbücher. Heute ist er vor allem beratend tätig und steht jeden Monat für einige Tage in der Küche des Hangar-7. Nicht um zu kochen, sondern um sich mit internationalen Gastköchen auszutauschen, zu beobachten und zu lernen. Mit seiner kleinen Digitalkamera hält der Spitzenkoch alles fest, was in der Küche passiert – zum Beispiel, wenn Roland Trettl den Steinbutt aus der Salzkruste holt und ihn vor den Augen der Küchencrew filetiert. "Das lege ich alles in einem riesigen Archiv ab", antwortet er auf die Frage, was er mit den vielen Fotos mache.

Witzigmann hat seine kleine Digitalkamera immer dabei und fotografiert beispielsweise, wenn Roland Trettl (links) den Fisch filetiert.
Foto: Alex Stranig

Trettl, der ehemalige Schüler Witzigmanns und langjährige Executive Chef des Ikarus, kocht den ganzen Juli über gemeinsam mit fünf weiteren Sterneköchen ein spezielles Menü zu Ehren des Jubilars. Ihm verdanken die heute gefeierten Küchenstars viel. Schließlich können sie sich rühmen, bei einem der einflussreichsten Köche Europas gelernt zu haben. Und dabei hätte alles ganz anders kommen sollen.

Der Weg ist das Ziel

Witzigmann, der 1941 in Bad Gastein geboren wurde, sollte eigentlich das Geschäft seines Vaters, eines Schneidermeisters, übernehmen. Gegen den Willen seiner Eltern begann der 16-Jährige aber die Kochlehre im Gasteiner Hotel Straubinger, um die Heimat ein paar Jahre später zu verlassen. Nach Stationen in Deutschland zog es ihn in die Schweiz.

Und genau da war er eines Tages, der berühmte Moment, bei dem man genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein scheint. In einer Warteschlange vor dem Skilift in Davos traf der 22-jährige Witzigmann zufällig Sternekoch Paul Haeberlin, der mit seinem Bruder Jean-Pierre damals das Restaurant L'Auberge de l'Ill im Elsass betrieb. Witzigmann wusste, diese Chance bekommt er kein zweites Mal, und sprach ihn an. Unzählige Briefe führten dazu, dass die Haeberlin-Brüder den hartnäckigen Jungkoch einluden und schließlich einstellten. Offenbar brachte er alles mit, was man braucht, um irgendwann zu den Besten zu gehören. Denn das wollte Witzigmann um jeden Preis. "Um ein Spitzenkoch zu werden, muss man handwerkliches Können, Talent, Kreativität, Ausdauer, Neugierde, Mut und eine Prise Besessenheit mitbringen", ist er heute wie damals überzeugt. Eigenschaften, die er auch seinen Schülern abverlangte.

Unter ihnen der Zwei-Sterne-Koch Karlheinz Hauser, der ebenfalls einen Gang zum Geburtstagsmenü des Chefs beisteuert: bretonischen Hummer mit Karotte, Kokos und Yuzu. Die Detailverliebtheit, die Hauser auf dem Teller an den Tag legt, hat er offenbar ebenfalls von seinem Lehrmeister. "Ich habe Eckart Witzigmann immer als absolut genialen Koch gesehen, der eine unfassbare Liebe zum Produkt hatte. Wenn er eine Artischocke oder einen Chicorée in der Hand hielt, hat er sie erst einmal gestreichelt, und wir haben uns im Team überlegt, was wir daraus machen", erinnert sich Hauser, der ebenso als Souschef an der Seite des Jahrhundertkochs arbeitete wie Hans Haas, Küchenchef im Restaurant Tantris.

Eckart Witzigmann wirkt sehr vertraut mit seinen ehemaligen Schülern. (v.li. Harald Wohlfart, Eckart Witzigmann, Hans Haas, Marc Haeberlin)
Foto: helge kirchberger / red bull hangar-7

"Er war ein wunderbarer Chef. Natürlich war er auch streng, aber er war immer fair", sagt Haas. Auch heute redet Witzigmann noch gerne mit, wenn die Spitzenköche ein neues Gericht entwickeln. So vertrage die Sauce zu den Flusskrebsen von Bobby Bräuer mehr Cayennepfeffer, konstatiert der Chef – und Bräuer macht. Schließlich redet man nicht zurück, wenn der Chef etwas sagt.

Aufstieg

Doch auch Witzigmann musste einmal ganz unten anfangen. Bei Paul Bocuse, dem damaligen Star der französischen Küche, kochte er sich vom Gehilfen nach einiger Zeit bis an die Seite seines Lehrmeisters. "Das Besondere an Paul Bocuse sind die Dinge, die er bewegt und durchgesetzt hat. Er hat, was Frische, Bekömmlichkeit und Nachhaltigkeit anbelangt, Akzente gesetzt, die bis heute ihre Gültigkeit haben", schwärmt Witzigmann. Es klingt, als habe er in Bocuse seinen Mentor, sein großes Vorbild gefunden. Heute ist er auf Augenhöhe mit dem französischen Spitzenkoch.

Jahrhundertköche unter sich: Paul Bocuse (Mi.) war und ist ein großes Vorbild für Witzigmann (li.). Die beiden Köche verbindet eine Freundschaft.
Foto: privat

Nach Bocuse folgten Stationen in Stockholm, Brüssel, London und Washington. In den USA bekam Witzigmann ein Angebot, als Privatkoch für die Kennedys zu arbeiten. Heute ist er froh, dass er es abgelehnt hat. Schließlich sollte wenig später sein wohl prägendstes Erlebnis folgen: Bauunternehmer Fritz Eichbauer hörte von dem jungen Ausnahmekoch und flog in die USA, um Witzigmann die Baupläne eines neuen Restaurants in München zu zeigen, für das er ihn als Küchenchef gewinnen wollte.

1971 folgte schließlich die Eröffnung des Restaurants Tantris in München mit Witzigmann als Küchenchef, der fortan begann, gegen die deutsche Hausmannskost anzukochen. Statt üppiger Saucen, fetten Fleisches und riesiger Knödel wollte er etwas ganz anderes, etwas Feineres. Mutig und mit viel Gegenwind führte er die damals noch unbekannte Nouvelle Cuisine in Deutschland ein. Während der Koch aufblühte, wussten die Gäste dessen Küche überhaupt nicht zu schätzen. Das Tantris hatte zu kämpfen.

"Der Gast von heute ist gut informiert, sucht sich gezielt sein Restaurant aus und glaubt manchmal, mehr zu wissen als der Koch. In den Sechziger- und Siebzigerjahren war diese Infrastruktur noch gar nicht vorhanden, da waren wir Köche Missionare und die ersten Gäste Entdecker", ist Witzigmann überzeugt. In Nacht-und-Nebel-Aktionen fuhr er damals mehrmals mit anderen Spitzenköchen nach Paris, um Trüffel, abgehangenes Fleisch oder gesalzene Butter zu kaufen.

Viele Schüler, die in Witzigmanns (links) Aubergine lernten, sind heute selbst gefragte Sterneköche. Unter ihnen Jörg Wörther (Dritter von rechts).
Foto: privat

Auch wenn er ab und zu daran dachte, alles hinzuschmeißen, verfolgte er weiter beharrlich seinen Weg, bis schließlich die Presse auf den Salzburger aufmerksam wurde und es 1973 den ersten Michelin-Stern gab. Der zweite Stern folgte ein Jahr danach. Als er vom kürzlich verstorbenen Restaurantkritiker Wolfram Siebeck als "wahrscheinlich einer der größten Küchenchefs, die je in der deutschen Gastronomie arbeiteten", beschrieben wurde, ging es steil nach oben, und das Tantris wurde zu einem der besten Restaurants Deutschlands, Witzigmann zum gefeierten Star.

Sein 1978 eröffnetes Edelrestaurant Aubergine in München erhielt auf Anhieb als erstes Restaurant in Deutschland drei Michelin-Sterne. Der Restaurantname spiegelt Witzigmanns Linie wider – die volle Konzentration auf das Produkt; in dem Fall die Aubergine – oder Melanzani, wie man das Gemüse hierzulande nennt.

Viele Sterneköche führen bei Interviews oder auf Websites den Titel "Witzigmann-Schüler" an. Nicht nur weil es gut aussieht, sondern weil er für viele ein Vorbild war und ist.

Erinnerungen eines Schülers

Karlheinz Hauser erinnert sich gerne an seine Zeit im Aubergine zurück: "Er hat immer das ganze Team in die Rezeptentwicklung einbezogen. Witzigmann wusste genau, was er will, war aber nie laut oder cholerisch. Wenn man seine Philosophie verstanden hat, dann konnte man eine tolle Zeit mit ihm haben."

Witzigmann (links) holte Hans Haas damals als Souschef ins Aubergine. Heute ist er Küchenchef im Restaurant Tantris in München.
Foto: privat

Und Hauser hat seine Philosophie offenbar verstanden, gehört er doch heute zu den gefragtesten Köchen Deutschlands und steht neben der Küche auch in TV-Shows vor der Kamera.

"Die Köche von heute sind Popstars, so habe ich mich nie gesehen. Ich war mehr ein Missionar. Zu Beginn meiner Mission wurde ich fast von den Ungläubigen gesteinigt", sagt Witzigmann. Generell habe sich viel verändert: "Der Koch war früher zwar existent, aber niemand sah ihn, niemand kannte ihn, die haben in ihren Küchen fast anonym vor sich hingewerkelt." Heute gehen die meisten Gäste gerade wegen des Kochs in ein Restaurant und wollen ihn sehen.

Ob Witzigmanns Rückzug vom Herd 1993 zur Schließung seines Restaurants führte, darüber kann nur spekuliert werden. Den Restaurantführer Gault-Millau hinderte es jedenfalls nicht daran, Witzigmann die Auszeichnung als "Koch des Jahrhunderts" zu verleihen. Diese Ehre wurde davor nur seinem Lehrmeister Paul Bocuse sowie Joël Robuchon und Frédy Girardet zuteil.

Heute entwickelt Witzigmann unter anderem Menüs für die Betriebskantine von BMW oder konzipiert eine App für krebskranke Menschen. Ans Aufhören denkt der gefeierte Spitzenkoch nicht, plant er doch gerade wieder Projekte in Nordkorea und Vietnam. "Ab und zu lege ich schon mal eine Pause ein und freue mich meines Lebens. Meine Absicht ist, das zukünftig häufiger zu tun. Aber ganz ohne Arbeit kann ich mir mein Leben nicht vorstellen", sagt der Koch, bevor er wieder freundlich in die Kamera lächelt. (Alex Stranig, RONDO, 22.7.2016)