Hält EU-Rüstungsfonds, militärisches Kerneuropa und Militärunion mit Neutralität vereinbar: Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil.

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Normalität scheint es mittlerweile zu sein, dass Fragen der Sicherheit fast ausschließlich mit Themen wie Rüstung, Mauerbau oder Marineeinsatz verhandelt werden. Natürlich verklausuliert: Rüstung heißt jetzt Verteidigungskapazität, aus Mauern werden niedliche Poller, der Marineeinsatz "Sophia" bekommt den Namen eines somalischen Mädchens mit rührender Geschichte, und alles andere nennt sich Krisenmanagement. Die Militärintervention wurde längst zur humanitären Intervention oder zum Stabilisierungseinsatz. Bloß kostspielig und martialisch soll es nach Möglichkeit nicht klingen.

Vor gut einem Jahr wurde die EU-Globalstrategie verabschiedet. Festgelegt wurde dort, es "benötigen die Mitgliedstaaten bei den militärischen Spitzenfähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen". Das heißt, "dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeseitigen Fähigkeiten (...) zur Verfügung stehen muss". Klingt schon etwas teurer. In einer Mischung aus Zweckoptimismus und Rüstungsanstrengungen hat die hohe Vertreterin der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini kürzlich verkündet, dass "in diesem Feld in den letzten zehn Monaten mehr erreicht wurde als in den letzten zehn Jahren".

Rüstungsfonds für Forschung und Entwicklung

Im Juni wurde der "European Defence Fund" von der EU-Kommission präzisiert. Das Ziel lautet, "den Mitgliedstaaten zu helfen, das Geld der Steuerzahler effizienter auszugeben". Der Fonds umfasst die Bereiche Forschung und Entwicklung und teilt sich in zwei Phasen. Für die Forschung greift die EU – vollständig und direkt finanziert – in die Schatulle. 90 Millionen Euro jährlich bis 2020 und 500 Millionen jährlich ab 2020. Bei den Entwicklungskosten greifen vorwiegend die Mitgliedstaaten in den Topf. 2,5 Milliarden Euro bis 2020 und fünf Milliarden danach. Gemeinsam sollen EU und die Mitgliedstaaten im Bereich Forschung und Entwicklung ab 2020 etwa 5,5 Milliarden Euro jährlich ausgeben.

Wenn es zu keinen Änderungen des Gesamtbudgets kommt, so bedeutet die Ausweitung der Ausgaben in diesem Bereich eine Einsparung in anderen Politikbereichen. Zivilmacht EU sieht anders aus. Der sonst so hoch gehaltene freie Markt wird im EU-Rüstungsbereich in Teilen außer Kraft gesetzt. Staatsschulden zur Erhöhung des Sozialbudgets sind verpönt. Schulden zum Kauf von Waffen werden salonfähig. Die EU macht der Bevölkerung diese Ausgaben über das Arbeitsplatzargument schmackhaft.

In der Außenpolitik gibt es in wichtigen Fragen Uneinigkeit. Keine gemeinsame Haltung in Sachen Flüchtlingen, Palästina oder Kosovo, keine Gemeinsamkeit beim kürzlich in der Uno beschlossenen Atomwaffenverbot oder bei den Russland-Sanktionen. Die Realität zeigt, wie das Gemeinsame wirklich funktioniert. Ungern beantworten Verantwortliche die Frage, warum man der EU noch mehr Militär und noch mehr Rüstung finanzieren muss, um uneinige Interessen durchzusetzen. Kritiker meinen, dass eine Armee und militärische Muskeln eine Außenpolitik nicht ersetzen dürfen. Im besten Fall ist dies wirkungslos, im schlimmsten Fall gefährlich.

Militärisches Kerneuropa

Kerneuropa ist nichts Neues. Auch beim Euro oder beim Schengener Abkommen machen nicht alle EU-Staaten mit. Im Bereich der Sicherheitspolitik gibt es mehrere Arten von Kerneuropa. Der Rat kann eine Gruppe von Staaten beauftragen. Die zweite Variante ist die "Ständig Strukturierte Zusammenarbeit", also eine Liste von Staaten, die schneller vorangehen. Das sind militärisch Fähige und politisch Willige oder jene, die einfach gern mitmachen. Österreich hat sich – zumeist im Windschatten Deutschlands – stets als Musterschüler generiert. Auch im Bereich Rüstungsindustrie gibt es Kerneuropamodelle. Nicht alle werken im Bereich Drohnen, Weltraumrüstung oder Seestreitkräfte. Im EU-Sicherheitsbereich ist nicht die Überwindung, sondern die Hierarchisierung der Nationalstaaten das Ziel.

Zweck ist, Rüstungsprojekte und Militäreinsätze der EU erleichtern. Unfähige und Unwillige werden regelkonform abgekoppelt, und niemand soll jene mit den größten Muskeln bremsen. Kerneuropa ist jedenfalls mehr denn je eine Funktion aus deutsch-französischen Interessen. Zur Selbstverständlichkeit ist auch geworden, dass die Nato mit am Tisch sitzt. Das Gegenteil von Kritik kam dazu von Österreichs Außen- und Verteidigungsministern. Das unterkühlte Verhältnis zwischen Nato und EU während der Ära von George W. Bush ist Schnee von gestern. Die Neutralen und Bündnisfreien sind heute über die EU enger denn je mit dem transatlantischen Pakt und seinen militärischen Abenteuern in aller Welt verbunden.

Das Heer als Jolly Joker

Dass Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil die jüngsten Entwicklungen um den EU-Rüstungsfonds, das militärische Kerneuropa und die Militärunion mit der Neutralität vereinbar sieht, liegt an seinem Neutralitätsverständnis. Seine "interessengeleitete Neutralität" ist ein militärisches Konzept und lässt sich nahtlos mit einer Militärmacht EU verstricken. Begriffe wie Abrüstung, Entspannungs- und Entwicklungspolitik, Dialogstiftung, Völkerrecht oder die OSZE sind keine Kategorien der "interessengeleiteten Neutralität".

Wir stecken in einem veritablen Versicherheitlichungsprozess. Die Armee erhält – nicht nur in Österreich – fast naturgesetzlich Zuständigkeiten für Aufgaben, die bisher aus guten Gründen in anderen Ressorts angesiedelt waren. Heer gegen Botschaftsbedrohung, Heer an der Grenze, Heer gegen Gefahr aus dem Internet, Heeresflugzeuge schieben Flüchtlinge ab, Heer übernimmt Häftlingstransporte. Heer als Jolly Joker gegen alles, was man als Bedrohung einstuft. Und sogar neue Jobs gibt’s beim Heer. Beim Studium bunter auflagenstarker Tageszeitungen vermag der Eindruck entstehen, das Regierungsprogramm mutiert gerade zur Sicherheitsdoktrin. Bis 2020 kriegt das Heer 1,3 Milliarden Euro dazu. Bei der versicherheitlichten Debatte werden andere zivile Instrumente an den Rand gedrängt.

Was tun?

Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg und von Bedrohungen. Sicherheitsapparate – von Militär, Polizei bis Geheimdienst – haben einen eingeschränkten und zum Teil auch falschen Werkzeugkasten, um globale Herausforderungen wie Klimawandel, Armut oder ungleiche Verteilung – also einige der Fluchtursachen – zu bearbeiten. Zu einfach wäre die Forderung, Heeresgeld ins heimische Sozialbudget zu lenken.

Ziviles Kerneuropa

Vorgeschlagen wird hier ein offenes und ziviles Kerneuropa. Partner innerhalb und außerhalb der EU ergeben sich aus den Aufgabenfeldern: zivile Krisenprävention, Versöhnung, Vermittlungstätigkeit, ziviles Krisenmanagement, Unterstützung und Initiierung von Abrüstung, Begleitung von Friedensprozessen, vertrauensbildende Maßnahmen, konfliktsensitive Berichterstattung oder nichtmilitärische Konfliktnachsorge.

Dieses zivile Kerneuropa kann im Sinne eines gesamtstaatlichen Ansatzes begriffen werden: enge Abstimmung mit internationalen Organisationen, Unterstützung durch die Forschung, Begleitung und Umsetzung auf gleicher Augenhöhe mit der Zivilgesellschaft und kritische Beobachtung durch die Medien. Basis dieses Handels ist das völkerrechtlich geregelte Gewaltverbot der Uno. Die Lösung der miteinander verbundenen globalen Herausforderungen ist kein Almosenverteilungsprojekt, sondern liegt im gemeinsamen Interesse. Eine umfassende Präventionsagenda ist auch ein Beitrag gegen neue Zäune und Mauern in und um Europa. (Thomas Roithner, 11.9.2017)