Donald Trump lässt auf Twitter die Muskeln spielen.

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Die Worte kommen zwar von einem Präsidenten, der Zuspitzungen liebt, aber in der aktuellen Situation steht nun tatsächlich eine militärische Antwort auf den mutmaßlichen Giftgaseinsatz im syrischen Douma im Raum. "Russland, mach dich bereit", twitterte Donald Trump am Mittwoch. "Schöne, neue, smarte" Raketen würden kommen. Das US-Verteidigungsministerium hatte erst gesagt, zum präsidialen Tweet keinen Kommentar abgeben zu wollen.

Dann gab US-Verteidigungsminister James Mattis doch bekannt, dass das Pentagon bereit sei, Trump militärische Optionen zur Verfügung zu stellen. Aber: Noch prüfen die USA Informationen zu dem mutmaßlichen Giftgasangriff. Gefragt, ob er genügend Beweise dafür gesehen habe, um die syrische Regierung für den Angriff zu beschuldigen, sagte er: "Wir sind noch dabei, die Geheimdienstinformationen auszuwerten, wir selbst und unsere Verbündeten."

ORF-Korrespondentin Eva Twaroch hält einen französischen Einsatz in Syrien für denkbar, Carola Schneider (ORF) spricht über die Reaktionen Russlands auf die US-Drohungen.



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Zu den Verbündeten gehört etwa Großbritannien. Premierministerin Theresa May habe zwar noch keine finale Entscheidung darüber getroffen, ob Großbritannien bei einem Militärschlag mitziehen würde, aber "bereit" dazu, das Okay zu geben, sei sie allemal. Dafür würde sie auch nicht auf eine Zustimmung des Parlaments warten, berichtete die BBC. So orderte sie auch an, britische U-Boote in Raketenreichweite zu Syrien zu bringen. Die wären dann ab Donnerstagabend dort in Stellung. Für Donnerstag berief May eine Kabinettssitzung zu Syrien ein, wie ein Sprecher am Mittwoch mitteilte. Laut Sky News wird erwartet, dass sie dabei die Zustimmung ihrer Minister für einen Schulterschluss mit den USA einholen will.

Das Weiße Haus stellte am späten Mittwochabend klar, dass Trumps Twitter-Nachricht eine von mehreren Optionen sei, die alle noch auf dem Tisch lägen. Sprecherin Sarah Sanders erklärte, dass Trump noch keine Zeitplan für einen Syrien-Attacke ausgearbeitet hätte. Er bewerte noch die Lage.

Folgenreicher Tweet

Der Tweet versetzt aber alle Akteure in Alarm-Bereitschaft. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacha-rowa ließ Trump ausrichten, "smarte Raketen sollten nur in Richtung von Terroristen fliegen und nicht gegen eine legitime Regierung", schrieb sie.

"Wir beteiligen uns nicht an Twitter-Diplomatie", ließ Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Mittwoch wissen. Am Vorabend hatte man in New York versucht, auf diplomatischer Ebene zu einer Lösung zu kommen. Vor der Versammlung des UN-Sicherheitsrats umarmten sich US-Vertreterin Nikki Haley und ihr russischer Kollege Wassili Nebensja noch. Während der Sitzung war dann von Freundschaftlichkeit keine Spur mehr.

Veto

Beide Seiten überhäuften sich mit scharfen Vorwürfen. Nebensja blockierte zunächst eine von den USA eingebrachte UN-Resolution zur Aufklärung des mutmaßlichen Giftgasangriffs. Es war bereits das zwölfte russische Veto zu einem Syrien-Beschluss im Sicherheitsrat. Haley revanchierte sich anschließend mit zwei Vetos zu russischen Resolutionen und kündigte notfalls einen amerikanischen Alleingang im Nahen Osten an. Anschließend beschuldigten sich Moskau und Washington gegenseitig, eine objektive Aufklärung verhindern zu wollen.

Für die russische Seite ist die Sache klar: Moskau bezeichnet den Giftgasangriff als Fake, der einen Vorwand für eine militärische Eskalation liefern soll. Das russische Außenministerium spricht von einer (Des-)Informationskampagne, das Verteidigungsministerium bezichtigte die syrische Organisation "Weißhelme", die zuerst über den Angriff berichtet hatte, schon mehrfach Aufnahmen gefälscht zu haben.

"Die Drohungen, die Sie jetzt gegenüber Syrien aussprechen", sagte Nebensja, "müssen uns alle zutiefst beunruhigen, weil wir an der Schwelle zu sehr traurigen und schwerwiegenden Ereignissen stehen könnten. Ich bitte Sie daher noch einmal darum: Nehmen Sie Abstand von den Plänen, die Sie womöglich gegenüber Syrien hegen", warnte er vor seinem Abgang aus dem UN-Plenarsaal.

Ein am Mittwoch veröffentlichter Bericht der investigativen Internetplattform Bellingcat macht die syrischen Streitkräfte für den folgenschweren Angriff verantwortlich. Die Plattform um den britischen Aktivisten Eliot Higgins hat sich durch die Auswertung online frei erhältlicher Informationen zu Vorfällen einen Namen gemacht.

Direkte Konfrontation

In russischen Medien wurden derweil bereits Szenarien eines bewaffneten Konflikts in der Region mit russisch-amerikanischer Beteiligung durchgespielt. Moskau behalte sich das Recht vor, nicht nur US-Raketen, die auf syrisches Territorium abgefeuert würden, zu bekämpfen, sondern auch Schläge gegen die Feuerquellen selbst zu führen, sagte der russische Botschafter im Libanon, Alexander Sasypkin. Mit anderen Worten: Russland wäre bereit, auch die US-Zerstörer vor der Küste anzugreifen.

Vor allzu hurrapatriotischen Kriegsspielen warnt inzwischen allerdings bereits die ansonsten als nationalkonservativ bekannte Internetzeitung Wsgljad. Russlands militärisches Potenzial sei zu gering, um die Mittelmeerflotte der USA auszuschalten, zitiert das Medium mehrere Militärexperten. Spannend, dass just am Mittwoch Putin mit dem indischen Präsidenten Narendra Modi telefonierte, um eine strategische Partnerschaft zwischen Russland und Indien zu diskutieren.

Worst-Case-Szenario

Eine direkte militärische Konfrontation der beiden Atommächte wäre freilich das Worst-Case-Szenario. Dessen ist sich auch der französische Präsident Emmanuel Macron bewusst, der Trump Unterstützung zusicherte, aber Beweise für einen tatsächlich erfolgten Giftgasangriff abwarten will. Pariser Diplomaten rechnen damit, dass sich Macron einem US-Militäreinsatz mit eigenen Flugzeugen anschließen würde. Macron machte klar, dass sich der Einsatz nicht gegen Verbündete des Regimes – gemeint waren Russland oder Iran – richten würde. Ziel wären einzig Installationen zur Herstellung chemischer Waffen, fügte er an.

Offen ist die Frage, ob Macron auch im Falle US-amerikanischer Zurückhaltung militärisch intervenieren würde. An sich scheint Macron bei seinem ersten Härtetest bereit zum Eingreifen. Im vergangenen Jahr hatte er schon erklärt, jeder Chemieeinsatz hätte "sofort eine Antwort Frankreichs" zur Folge.

Der entschlossene Tonfall dieser Worte erinnerte an Vorgänger François Hollande, der 2013 mit den Amerikanern gegen Assad eingreifen wollte, die Intervention aber im letzten Moment abbrechen musste, weil der damalige US-Präsident Barack Obama zurückkrebste.

Iran sichert Syrien Solidarität zu

Der Iran wiederum hat dem Verbündeten Syrien seine Solidarität gegen die USA und Israel zugesichert. "Der Iran unterstützt Syrien in seinem Kampf gegen Amerika und das zionistischen Regime", sagte Ali Akbar Velayati, der Spitzenberater des geistlichen und politischen Oberhaupts Ayatollah Ali Khamenei am Mittwoch. "Wir werden an der Seite der syrischen Regierung gegen jegliche ausländische Aggression stehen."

Während Bolivien den UN-Sicherheitsrat gebeten hat, am Donnerstag über die "eskalierende Rhetorik" zu beraten, begann das syrische Militär seine Flugzeuge zu verschieben, um sie vor möglichen Attacken zu schützen.

Uno-Generalsekretär warnt vor Kontrollverlust

Uno-Generalsekretär Antonio Guterres hat angesichts der Zuspitzung im Syrien-Konflikt einen eindringlichen Appell an den UNO-Sicherheitsrat gerichtet. Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates müssten dafür sorgen, dass die "Situation nicht außer Kontrolle" gerate, forderte Guterres am Mittwoch.

Er zeigte sich "tief beunruhigt" über die derzeitige Spaltung des Sicherheitsrates in der Syrien-Frage. "Ich habe die Entwicklungen im Sicherheitsrat genau verfolgt und bedaure, dass der Rat bisher nicht in der Lage war, zu einer Einigung in dieser Frage zu kommen", erklärte Guterres mit Blick auf die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien. Es dürfe nicht vergessen werden, dass die UNO-Bemühungen letztlich darauf abzielen müssten, "das schreckliche Leid des syrischen Volkes zu beenden". (André Ballin aus Moskau, Stefan Brändle aus Paris, Manuela Honsig-Erlenburg, red, 11.4.2018)

Update Donnerstag 5.50 Uhr: Reaktion von Uno-Generalsekretär Antonio Guterres