Hunderte Kinder begrüßten Greta Thunberg bei ihrer Ankunft in New York. Ernst Ulrich von Weizsäcker, der die Schwedin getroffen hat, beschreibt sie als bescheidene junge Frau.

APA / Kena Betancur

Die wöchentlichen Klimaproteste rund um Greta Thunberg haben in der Politik gehörigen Druck erzeugt, meint der Umweltwissenschafter Ernst Ulrich von Weizsäcker. Der ehemalige Co-Präsident des Club of Rome spricht sich für eine CO2-Steuer und die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen aus.

STANDARD: Sie haben 2018 gesagt, man könne mit populistischem Aktionismus die Klimakrise nicht lösen. Sind Sie nach einem Jahr der Klimaproteste noch dieser Meinung?

Weizsäcker: Ich halte Fridays for Future nicht für Aktionismus, sondern für Aufklärung – in Protestform, zugegeben. Aber wenn junge Menschen merken, dass die Alten ihre Zukunft verbrennen, ist das nicht Aktionismus, sondern eine Wahrnehmung, die artikuliert wird.

STANDARD: Was ist populistischer Aktionismus dann?

Weizsäcker: Zu sagen, dass man innerhalb der nächsten Monate das letzte Kohlekraftwerk in Deutschland schließen will. Natürlich bin ich für den Kohleausstieg, aber während wir hier sitzen, werden weltweit mehr als tausend neue Kohlekraftwerke geplant oder gebaut. Da ist es physikalisch gesehen ziemlich irrelevant, was Österreich und Deutschland in Bezug auf den Kohleausstieg tun.

STANDARD: Dass Österreichs Emissionsausstoß global gesehen kaum Gewicht hat, ist ein Argument, das auch in der Politik gern verwendet wird. Zu Recht?

Weizsäcker: Es ist zutreffend, wird aber meistens als Argument für die falsche Sache eingesetzt. So als sei es egal, was Österreich macht. Die Europäer könnten jetzt die Initiative ergreifen und beispielsweise in Entwicklungsländern Lizenzen für weitere Kohleverbrennung einkaufen. Entwicklungsländer würden keine Kohlekraftwerke mehr bauen, weil der Verkauf von Lizenzen lukrativer ist. Das ist viel wirksamer, als hier schnell alles zuzumachen.

STANDARD: Sie beschäftigen sich seit gut 50 Jahren mit dem Klima. Waren Sie überrascht, dass das Thema auf einmal so präsent ist?

Weizsäcker: Am Anfang war ich skeptisch. Was sollen diese netten Schüler ausrichten? Dann habe ich gemerkt, wie die Resonanz in der Öffentlichkeit war. Ich habe dann auch eine Scientists-for-Future-Gruppe mitgegründet. Dennoch: Die wirklichen Lösungen müssen auf politischer Ebene gefunden werden, zynischen Wirtschaftsbetrieben ist es egal, was die Jugendlichen fordern. Sie haben jedenfalls genau den richtigen Moment erlebt. Hätte Thunberg das Gleiche ein Jahr früher gesagt, hätte niemand zugehört.

STANDARD: Wieso?

Weizsäcker: 2018 gab es in Schweden große Waldbrände. Da sah es ein wenig so aus wie jetzt in Brasilien. Da wusste jeder in Schweden: Das Mädchen hat recht.

STANDARD: Hat Thunberg die Debatte verändert?

Weizsäcker: Ja, eindeutig. Die deutsche Umweltministerin hatte schon vor über einem Jahr intensiv für eine CO2-Steuer plädiert und ist damit hoffnungslos bei der CDU aufgelaufen. Seit die Schüler begonnen haben zu streiken, ist die Stimmung im Volk so positiv geworden, dass nun auch einige in der CDU gesagt haben: gut, machen wir. Das Gleiche gilt für Maßnahmen, die EU-Präsidentin Ursula von der Leyen angekündigt hat. Ohne die Thunberg-Bewegung hätte von der Leyen das politisch nie hinbekommen.

STANDARD: Wieso wird die junge Frau so angefeindet?

Weizsäcker: Es ist bequem, ein 16-jähriges Mädchen als wissenschaftlich lächerlich zu bezeichnen. Natürlich ärgert sich mancher in der Wirtschaft, dass dieses Mädchen und die Hunderttausenden, die ihr folgen, die Politik stärker beeinflussen als manche Ingenieure, Chemiker und Investoren.

STANDARD: Sollen Europas Staaten eine CO2-Steuer einführen?

"Nach dem, wie sich Bolsonaro verhalten hat, müssen wir das Mercosur-Abkommen verhindern", meint Ernst Ulrich von Weizsäcker.
/ Fabrice Coffrini

Weizsäcker: Aus ökologischen Gründen bin ich natürlich dringend dafür, dass man das auf EU-Ebene macht. Es funktioniert aber auch auf nationaler Ebene, wie das Beispiel Schweden zeigt. Dort war man von dem Waldsterben stark betroffen. Die Schweden haben daraufhin eine Stickoxidsteuer auf nationaler Ebene eingeführt. Die Industrie hat damals gesagt: Wenn ihr das macht, dann wandern wir aus. Die Regierung hat gekontert: Ihr bekommt das Geld zurück, aber nicht pro Tonne Gift, die ausgespuckt wird, sondern für den geschaffenen Mehrwert. Es ist niemand ausgewandert, und die schwedische Industrie hat keine Krone verloren.

STANDARD: Wie schätzen Sie das Mercosur-Abkommen ein?

Weizsäcker: Die Kosten-Nutzen-Abwägung spricht eindeutig dagegen. Nach dem, wie sich Bolsonaro verhalten hat, müssen wir das Abkommen verhindern. Der Schaden für Europas Kleinbauern und für das Klima ist riesig, Nutznießer sind die deutsche Automobil- und Chemieindustrie.

STANDARD: Mitglieder des Club of Rome haben vorgeschlagen, dass Frauen in Europa, die nur ein Kind bekommen, Prämien erhalten sollen. Geht das nicht zu weit?

Weizsäcker: China hat durch die Ein-Kind-Politik floriert, und Europa würde es überhaupt nicht schaden, wenn es eine solche Prämie gäbe.

STANDARD: Wir sind also zu viele?

Weizsäcker: Ja, aber die Hauptentwicklung der Bevölkerung findet in Afrika statt. Jene Länder, die eine weitere Bevölkerungsvermehrung haben, sind die großen Verlierer. Und diejenigen, die ihre Bevölkerung stabilisiert haben, sind die großen Gewinner.

STANDARD: Wie schaut unser Planet in hundert Jahren aus?

Weizsäcker: Wenn ich eine prophetische Prognose abgeben soll, würde ich sagen: Es sieht ganz schlimm aus. Aber ich sage das auch mit einer Absicht: damit Leute wie Greta Thunberg politischen Erfolg haben, muss man heute das Richtige machen.

STANDARD: Was ist das Richtige?

Weizsäcker: Die Klimaverpestung muss teurer werden und darf nicht länger lukrativ sein. Derzeit werden hundert Milliarden Dollar in die Subventionierung von Fossilverbrennung gesteckt. Das muss dringend korrigiert werden. Subventionen müssen so umgepolt werden, dass der, der etwas Enkeltaugliches macht, besser verdient und der schlechter verdient, der die Natur ruiniert. (Nora Laufer, 30.8.2019)